
AUDIO: Bundesfinanzhof: „Eventin“ darf vorerst nicht eingezogen werden (1 Min)
Stand: 11.12.2025 10:57 Uhr
Juristische Schlappe für den deutschen Zoll: Der mit russischem Öl beladene Schattenflotte-Tanker „Eventin“ darf mitsamt seiner Ladung vorerst nicht eingezogen und verwertet werden. Das hat der Bundesfinanzhof nun entschieden.
Im Januar dieses Jahres war der Tanker mit 99.000 Tonnen Öl an Bord nach einem Maschinenausfall auf die Küste der Insel Rügen zugetrieben. Knapp zwei Monate später beschlagnahmte der Zoll Schiff und Ladung. Begründung: Der Tanker und das russische Öl an Bord fielen unter EU-Sanktionen. Seitdem streiten der Zoll und der Eigner, die auf den Marshallinseln ansässige Laliya Shipping Cooperation, ob die Einziehung rechtmäßig war.
Gericht: Tanker ist nicht absichtlich in EU-Gewässer gefahren
Der Bundesfinanzhof (BFH) sieht „begründete Zweifel“ an der Einziehung, wie das Gericht am Vormittag mitteilte. Demnach sei das Schiff nach der Havarie nicht willentlich in EU-Gewässer getrieben. Zudem müssten völkerrechtliche Aspekte wie das Nothafenrecht berücksichtigt werden. Danach wird Schiffen in Notfällen die Einfahrt in einen Hafen gestattet. Wie es jetzt mit der „Eventin“ weitergeht, ist unklar.
Das Öl muss erstmal an Bord bleiben und der deutsche Zoll darf es vorerst noch nicht einziehen.
Anette Kugelmüller-Pugh, Richterin am Bundesfinanzhof
Juristisches Tauziehen könnte weitergehen
Fest steht: „Schiff und Ladung können zunächst nicht in das Eigentum der Bundesrepublik Deutschland überführt werden und somit kann das an Bord befindliche Öl vorerst nicht durch den deutschen Zoll abgepumpt werden“, wie die BFH-Richterin Anette Kugelmüller-Pugh der ARD sagte. An der Lage, dass das Schiff vor Rügen liegt, werde sich daher vorerst nichts ändern. Die Entscheidung des BFH erfolgte im Rahmen eines sogenannten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens. Daher könnte das juristische Tauziehen um Schiff und Ladung in einem Hauptsacheverfahren noch weitergehen.

Seit Monaten liegt die „Eventin“ vor Rügen. Ihr Fall könnte zur juristischen Hängepartie werden und löst Ängste vor einer Umweltkatastrophe aus.
Tanker trieb manövrierunfähig vor Rügen
Die „Eventin“ war Anfang Januar auf dem Weg vom russischen Hafen Ust-Luga in Richtung Ägypten unterwegs. Durch einen Maschinenausfall trieb das Schiff manövrierunfähig auf die Insel Rügen zu. Notfallschlepper konnten bei stürmischem Wetter eine Seilverbindung herstellen und den Öltanker nach Sassnitz schleppen.
Finanzgericht setzte Beschlagnahmung außer Vollzug
Der Tanker wird der sogenannten russischen Schattenflotte zugerechnet, gegen die Sanktionen gelten, weil Russland über sie Öl- und Gastransporte abwickelt. Der Eigner sah das allerdings anders und geht gegen die Einziehung durch den deutschen Zoll und auch gegen die Europäische Union vor. Der Eigner argumentiert, das Schiff sei unfreiwillig durch einen technischen Defekt in deutsche Gewässer geraten. Man habe nie beabsichtigt, sanktionierte Ölprodukte in die EU zu transportieren, heißt es in der Klagebegründung in dem Verfahren gegen den Europäischen Rat.
Das Finanzgericht Greifswald hatte die Einziehung der „Eventin“ und des Öls bis zur Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren außer Kraft gesetzt. Dagegen hatte der Zoll beim Bundesfinanzhof Beschwerde eingelegt. Der BFH bestätigte nun die Entscheidung der Greifswalder Richter.
Auf Rügen wird Havarie befürchtet
Auf der Insel löst die Anwesenheit des Tankers vor der Küstse große Besorgnis aus: „Sie muss hier so schnell wie möglich weg. Sie liegt seit fast einem Jahr vor Rügen und stellt eine permanente Bedrohung für die gesamte Insel dar“, so Hannes Knapp vom Verein „Insula Rugia“. Anwohner fürchten, dass der mit Öl beladene Tanker auf seinem Reedeplatz fünf Seemeilen vor der Ostküste der Insel bei Winterstürmen havarieren könnte.
Reedeplatz vor Rügen gilt als „Vorzugsvariante“
Laut Umweltminister Till Backhaus (SPD) hat das Bundesfinanzministerium verschiedene Alternativen für einen Liegeplatz für den 274 Meter langen Tanker geprüft. „Im Ergebnis musste festgestellt werden, dass es in Deutschland keinen geeigneten Hafen für eine Verlegung der ‚Eventin‘ gibt und die derzeitige Position (…) die Vorzugsvariante darstellt“, heißt es in einem Brief des Ministers an einen Einwohner.
Putin füllt Kriegskasse mit Öltransporten durch Ostsee
Mit der Einziehung des Tankers und des Öls wollten deutsche Behörden ein Zeichen setzen, dass man den russischen Öltransporten durch die Ostsee nicht tatenlos zusieht. Dieses Zeichen, so der Sanktionsexperte Sascha Lohmann von der Stiftung Wissenschaft und Politik, sei inzwischen verpufft. Nach Einschätzung von Greenpeace passieren täglich drei bis vier Tanker der russischen Schattenflotte die Ostsee. Bei der Schattenflotte handelt es sich um marode Öl- und Gastanker, mit denen Russlands Machthaber Wladimir Putin gezielt Sanktionen umgeht, um seine Kriegskasse zu füllen. Greenpeace zählt 192 Schiffe zur russischen Schattenflotte, darunter auch die „Eventin“.

Immer häufiger gibt es auf der Ostsee Störungen an Schiffs-Navigationssystemen. Der Reeder-Verband sieht eine erhöhte Kollisionsgefahr.

Schiffe, die westliche Behörden zu Putins Schattenflotte zählen, manipulieren weltweit ihre Positionsdaten doppelt so häufig wie vor dem Angriffskrieg. Das zeigt ein Datenprojekt von NDR, WDR, SZ und internationalen Partnern.