Steinhagen/Bielefeld. Es war eine lebensgefährliche Situation, sowohl für die Polizisten als auch für den Angeklagten: Als SEK-Beamte im Juni einen 30-jährigen Mann in Steinhagen festsetzen wollten, griff dieser mit einem Messer an – und wurde, wie berichtet, nur durch Schüsse gestoppt. Nun hat ihn das Bielefelder Landgericht wegen versuchten Totschlags zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.

Es war nicht das erste Mal, dass Jano I. (Name geändert) sich auffällig verhielt. Bereits zweimal hatte sich der 30-jährige Syrer aus Steinhagen in stationärer Behandlung befunden, eine Diagnose war ihm jedoch letztlich nicht gestellt worden. Als er am 21. Juni dieses Jahres wieder einmal seinem Vater gegenüber aggressiv wurde, wandte sich die Familie – ebenfalls nicht zum ersten Mal – an die Polizei. Gegen 16 Uhr trafen mehrere Beamte am Grundstück des von der Familie bewohnten Hauses an der Luisenstraße ein.

Zum Thema: Steinhagener (30) rastet aus und sticht mit Küchenmesser auf Polizisten ein

Der zunächst vor dem Haus sitzende Jano I. war den Polizisten gegenüber zwar nicht direkt aggressiv, machte jedoch kein Hehl daraus, dass er weder angefasst werden wolle noch das Grundstück verlassen werde. Vielmehr sollten sich die Beamten vom Hof scheren. Als schließlich zwei weitere Polizisten hinzustießen, schlug I. plötzlich einem von ihnen gegen den Arm und lief zu einem Gartenhäuschen, aus dem er sich ein Messer nahm. Auch hob er zwischendurch drohend eine Harke.

Schäferhund verbiss sich bei SEK-Einsatz in Wade des Angreifers

Nach Stunden riefen die Beamten ein Spezialeinsatzkommando (SEK) hinzu – Polizisten aus Dortmund und Düsseldorf trafen abends an der Luisenstraße ein. Schließlich sollte der Zugriff erfolgen – der Angeklagte hatte sich ins Obergeschoss zurückgezogen. Ein Hundeführer stieg mit seinem Tier auf der Schulter die steile Holztreppe hoch, unmittelbar gefolgt von mehreren Sicherungsbeamten. Als sie um eine 180-Grad-Kehre herumgegangen waren, stand Jano I. unmittelbar vor ihnen auf dem Treppenabsatz und stach unvermittelt wuchtig in Richtung Kopf oder Hals des Hundeführers.

Zum Prozess: Steinhagener greift an: SEK-Beamter schildert dramatische Sekunden

Diesem gelang es, dem Stich auszuweichen. Als I. ausholte, um ein weiteres Mal zuzustechen, gab der unmittelbar hinter dem Hundeführer gehende Beamte einen Schuss aus seiner Dienstwaffe ab, der I. jedoch verfehlte. Ein zweiter Schuss traf den Angreifer jedoch in die Brust. Jano I. fiel zu Boden, der Schäferhund verbiss sich in seine Wade und ein Polizist trat dem 30-Jährigen das Messer aus der Hand. Der lebensgefährlich verletzte I., der große Mengen an Blut verlor, verdankt sein Leben lediglich dem Umstand, dass bereits ein Notarzt vor Ort war. Jano I. wurde notoperiert, doch sein linker Arm ist bis heute gelähmt. Seinen Beruf wird der gelernte Maurer wohl nie wieder ausüben können.

Eine zentrale Rolle in dem Verfahren hatte die Frage nach einer etwaigen psychischen Erkrankung des Angeklagten gespielt. Doch trotz der sicherlich vorhandenen Auffälligkeiten vermochte auch der hinzugezogene Psychiater Martin Reker weder in der Verhandlung noch auf den Bildern der Bodycams der Polizisten psychiatrisch relevante Symptome zu entdecken. Auch hatte es im Nachgang zur Tat keinerlei entsprechende Schilderungen seitens der Klinik oder der Justizvollzugsanstalt gegeben, in der sich Jano I. seit seiner Entlassung aus dem Krankenhaus befindet.

Angeklagter nahm in Kauf, dass vielleicht Menschen sterben

Die Kammer unter dem Vorsitz von Richter Sven-Helge Kleine verurteilte den bislang nicht vorbestraften I. schließlich zu fünf Jahren Gefängnis. „Der Angeklagte hatte das Geschehen am 21. Juni richtig erfasst – und wollte sich gegen den Zugriff der Polizei wehren. Er hat in Kauf genommen, dass die Beamten dabei vielleicht sterben“, sagte Richter Kleine in der Urteilsverkündung.

Lesen Sie auch: Steinhagener schweigt vor Gericht nach Messerattacke auf Polizisten