Liebe Leserin, lieber Leser,

ab heute kühlt es sich ab, und zwar gewaltig.
Expertinnen und Experten erwarten einen Temperatursturz auf minus 271 Grad
Celsius. Binden Sie sich also vielleicht einen Schal um, wenn Sie das Haus
verlassen.

Okay, das war ein Scherz. Also: das mit dem Schal. Nicht die minus 271
Grad. Diese Temperatur soll tatsächlich bald in Hamburg erreicht werden, ganz
im Westen der Stadt, im Tunnel des European XFEL, der von Bahrenfeld in
Richtung Schleswig-Holstein führt.

Der European XFEL ist eine Art
Hochleistungs-Röntgengerät. Optisch hat es wenig mit jenen Röntgengeräten
gemein, die man vom Arzt oder Flughafen kennt. Stellen Sie sich stattdessen
eine schnurgerade und gefühlt endlos lange unterirdische Betonröhre vor, groß
genug, dass man darin laufen und sogar Fahrrad fahren kann, aber zu klein, als
dass eine U-Bahn hineinpassen würde.

In dieser Betonröhre wiederum verläuft ein dickes, knallgelbes Rohr, das
vage an eine Tunnelrutsche im Schwimmbad erinnert, aber ebenfalls schnurgerade
verläuft. Und in dieses Rohr wird ab heute flüssiges Helium eingeleitet. Das
Helium erzeugt die extrem niedrige Temperatur, die notwendig ist, damit
Elektronen durch das Rohr schießen können und dabei fast Lichtgeschwindigkeit
erreichen. Um genau zu sein: 99,99999996 Prozent von Lichtgeschwindigkeit. Acht
Stellen hinter dem Komma, das gibt einen Eindruck von der Präzision, mit der
hier gearbeitet wird.

Nach nicht ganz zwei Kilometern, ungefähr beim
Osdorfer Born, werden die rasenden Elektronen dann ins Schleudern gebracht.
„Schleudern“ ist nicht der korrekte wissenschaftliche Begriff, aber lassen Sie
uns der Anschaulichkeit halber bei dieser saisonalen Metapher bleiben. Dabei
entsteht extrem helles Röntgenlicht, das umgeleitet und kurz hinter der hamburgischen
Landesgrenze in Schenefeld für allerhand Experimente verwendet werden kann.

© ZON

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Elbvertiefung – Der tägliche Newsletter für Hamburg

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Forschende aus der ganzen Welt bewerben sich darum,
in kleinen, unterirdischen Hütten zu hocken und experimentieren zu dürfen
(„Hütten“ klingt ähnlich falsch wie „Schleudern“, ist aber der gebräuchliche
Begriff). Weltweit gebe es nur zwei Anlagen, die mit dem European XFEL
technisch mithalten könnten, eine in den USA und eine in China, sagt Sara
Casalbuoni, die aus Italien nach Schenefeld gekommen ist und dort eine
Forschungsgruppe leitet.

Der European XFEL, ein Gemeinschaftsprojekt von
zwölf Ländern, wurde 2017 in Betrieb genommen. In den vergangenen sechs Monaten
war die Anlage abgeschaltet, wurde gründlich gewartet und teilweise erneuert.
Zum Beispiel wurde die sogenannte „Gun“ ausgetauscht, mit der die Elektronen in
Bahrenfeld losgeschossen werden. Sie soll bis zu 30 Prozent leistungsfähiger
sein.

Diese Arbeit ist nun abgeschlossen, ab heute wird
die Anlage also auf Betriebstemperatur gebracht: minus 271 Grad Celsius. Rund
250 Ingenieure und Technikerinnen arbeiten daran, sie anschließend exakt
einzustellen. Das wird planmäßig einige Monate in Anspruch nehmen. Ab März
sollen wieder Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den Hütten sitzen und
experimentieren.

Wenn Sie mehr über die Anlage erfahren wollen und über die Forschung, die
sie ermöglicht: Seit Ende des vergangenen Jahres gibt es ein Besucherzentrum
mit Ausstellung. Der Eintritt ist frei, weitere Infos finden Sie hier.

Ich wünsche Ihnen ein erholsames
Wochenende!

Ihr Oskar Piegsa

Wollen Sie uns Ihre Meinung sagen,
wissen Sie etwas, worüber wir berichten sollten? Schreiben Sie uns eine E-Mail
an hamburg@zeit.de.

WAS HEUTE WICHTIG IST

© Julian Stratenschulte/​PA

Hamburg hat im
neuen Kinderrechte-Index gut abgeschnitten. Der 2019 erstmals erstellte Index bildet die Umsetzung der
UN-Kinderrechtskonvention in den Bundesländern ab. In Hamburg wurden unter
anderem Beteiligungsrechte, Bildung und kulturelle Angebote gelobt. Deutlicher Verbesserungsbedarf
bestehe hingegen etwa bei der Bekämpfung von Kinderarmut.

In den Bezirken werden 30 neue
Stellen für die Allgemeinen Sozialen Dienste geschaffen.
Davon verspricht
sich Familiensenatorin Ksenija Bekeris (SPD) unter anderem eine frühere
Erreichbarkeit von Familien, passgenauere Hilfen und eine Verbesserung des
Kinderschutzes. Die Fachkräfte sollen näher am Alltag der Kinder, Jugendlichen
und ihrer Familien arbeiten und starke lokale Netzwerke aufbauen. Zudem soll
das zusätzliche Personal mehr Zeit für die individuelle Betreuung der Familien
ermöglichen.

Im Prozess um die
mutmaßliche Kindesentführung in der Familie Block hat
der mutmaßliche Organisator ein Treffen mit der angeklagten Christina
Block geschildert.
Demnach sei sie über die geplante
Rückholung der Kinder informiert gewesen und habe das Team persönlich im Hotel
getroffen. Laut seiner Aussage zahlte die Block-Seite hohe
Geldsummen für den Auftrag, den Block selbst weiterhin bestreitet.

In aller Kürze

Cornelia Zumbusch, Professorin für Neuere
deutsche Literatur an der Universität Hamburg, wird mit dem Leibniz-Preis
ausgezeichnet
, der als renommiertester Forschungsförderpreis Deutschlands
gilt Laut der Verbraucherzentrale Hamburg, gibt es aktuell mehr
Beschwerden zu Online-Einkäufen
. Viele Händler melden kurz vor Weihnachten,
Retouren würden sie nicht oder nur teilweise erreichen, weshalb Verbraucher
ihren Versand sorgfältig dokumentieren sollten In Niendorf hat sich
ein 15-Jähriger beim offenbar unsachgemäßen Zünden eines Silvesterböllers
schwer an der Hand verletzt
, sein Freund erlitt einen Schock

AUS DER HAMBURG-AUSGABE

© Eibner-Pressefoto/​pa

„So sind wir. Keiner kann Noten lesen“

Die Hamburger Goldkehlchen sind der populärste
Chor der Stadt, dabei können die meisten von ihnen gar nicht singen. Kommende
Woche wird ihr Traum wahr: ein Konzert in der Elbphilharmonie. ZEIT:Hamburg-Redakteurin
Viola Diem war bei einer Probe dabei. Lesen Sie hier einen Auszug aus ihrem
Interview mit Chorleiter Paul Jungeblodt, Chorsänger und -manager Markus
Tiedemann und den beiden Chorgründern Flemming Pinck und Max Michel.

DIE ZEIT: 2016 haben Sie die Hamburger Goldkehlchen
gegründet. Der Claim war damals „70 Männer, keiner kann singen“. Würden Sie das
heute noch so unterschreiben?

Flemming Pinck: Wir sind definitiv besser als damals, weil jetzt
schon ein paar wissen, wie sie mit ihren Stimmen umgehen müssen, aber ’ne
Solokarriere traue ich keinem zu.

Max Michel: Zehn Prozent singen gut.

Markus Tiedemann: Ich würde sagen, 15 Prozent. Es gibt auch Jungs,
bei denen man echt denkt: ogottogott!

Paul Jungeblodt: Ich würde sagen, 20 Prozent können was. Ich
glaube aber, dass auch jemand gut singen kann, der nicht weiß, wie man Vibrato
nutzt, einen Ton schön absenkt oder phrasiert. Bei uns gibt es Stimmen, die
sehr authentisch klingen. Diese Unbedarftheit, einfach loszulegen, ist das
Besondere. Gerade in Deutschland haben sich sehr lange Menschen beim Singen
geschämt. Das wandelt sich gerade.

ZEIT: Bei Ihren Konzerten stehen Sie inzwischen mit 100
Männern auf der Bühne, singen Lieder wie My Heart Will Go On und Umbrella
von Rihanna, die Zuschauer schmettern mit. Das Konzert in der Barclays Arena im
September war nach 76 Minuten ausverkauft, die letzten Konzerte im Stadtpark
nach nicht mal zwei Minuten. Wie erklären Sie sich den Hype um die
Goldkehlchen?

Jungeblodt: Ich glaube, der Identifikationsgrad ist hoch. Man
sieht bei unseren Konzerten Amateure auf der Bühne, die null abgeklärt sind und
das lieben, was sie tun. Das reißt die Menschen im Publikum mit.

Pinck: Was das musikalische Können angeht, reicht uns
ein Mittelgut. Bei uns geht es eher um die Show und das Entertainment.

Michel: Und um die Energie!

Tiedemann: Lange hatten wir vor allem Fans in Hamburg. In
der Pandemie hat Social Media geholfen, uns darüber hinaus bekannter zu machen
– wir passten zu dem Trend, sich authentisch und unperfekt zu zeigen. Vom
Konzert im September wissen wir, dass nur 30 Prozent der Besucher aus Hamburg
kamen, 70 Prozent aus anderen Teilen Deutschlands, aus Österreich und der
Schweiz.

Pinck: Ich wurde schon am Strand von Costa Rica und am
Flughafen von Detroit angesprochen: Ey, bist du nicht der von den Goldkehlchen?

Tiedemann: Für einige Menschen, das sehen wir immer wieder an
Fanpost, hat das eine krasse Bedeutung, was wir machen. Letztes Jahr hat sich
ein todkranker Mann gemeldet, sein letzter Wunsch war es, uns live zu sehen.
Wir haben Geld zusammengelegt und ihn und seine Familie hergeshuttelt.

Michel: Oder Dierk. Der war auf all unseren Konzerten, jeder
kannte ihn.

Tiedemann: Auf seiner Beerdigung wurden Goldkehlchen-Songs
gespielt, und unser Fanschal lag vor dem Altar, das war schon krass für uns.

Wer vor dem Elbphilharmonie-Konzert am meisten Respekt
hat und was der Chor getan hat, um dort singen zu dürfen, lesen Sie in der ungekürzten Fassung auf zeit.de.

DER SATZ

© Daniel Bockwoldt/​picture alliance/​dpa

„Bürgerinnen und Bürgern dieselbe Frage ein zweites Mal
zu stellen, weil sie beim ersten Mal eine unerwünschte Antwort gegeben haben:
Darin liegt eine Missachtung des Volkswillens.“

Hamburg erzwang per Volksentscheid eine
entschlossenere Klimapolitik. Nun versuchte die CDU, die Sache zu kippen – und
stärkte damit ausgerechnet ihre Gegner. Lesen Sie hier den Kommentar von ZEIT:Hamburg-Redakteur Frank
Drieschner
.

MAHLZEIT – Die Gastrokritik

Dass gerade
Weihnachtszeit ist, macht die Deko im Bistro La Fée liebenswert
deutlich. Auf das Jahr 2025 käme man nicht so leicht. Das liegt vor allem an
den Gastgebern, die sich selbst „Die Klewis“ nennen. Sie führen das Lokal auf
der Uhlenhorst zwar „erst“ seit zwölf Jahren, dass aber mit der Gemütsruhe von
Menschen, die schon lange in der Branche sind und sich nicht bemüßigt fühlen,
Trends hinterherzuhecheln.

Ernst-Wilhelm
Klewinghaus, die kochende Hälfte des Paars, hat in Spitzenrestaurants
gearbeitet, als Frankreich noch das Maß aller Dinge war. Das merkt man seinen
Tellern bis heute an, auch wenn er viel Deutsches einarbeitet, jetzt im Winter
zum Beispiel Wurzelgemüse.

Die Kalbsroulade auf Tomatensud ist mit
Kohlrabi gefüllt, was erst mal wenig Eindruck macht, aber dem zarten Fleisch
Raum lässt. Und der Ofenkartoffel, die simpel aussieht, aber dank
ausgeklügelter Schnitttechnik fast wie die französische Spezialität Pommes Anna
schmeckt.

Diese „Unterfeinerung“
gehört offenbar zum Konzept. Niemand, der gern bürgerlich isst, muss sich hier
verloren fühlen.

Was nicht heißt, dass
Klewinghaus sich zurücknimmt. Sein Jakobsmuschel-Carpaccio ist ein wirklich
verrücktes Gebilde: eine Halbkugel ganz in Weiß. Die Muschelscheiben bedecken
einen warmen Salat aus Parmesan, Trüffelhonig und wieder einmal Kohlrabi.
Darüber und auf das Sahnesüppchen sind gute schwarze Trüffel gehobelt, sehr
spendabel für den günstigen Preis.

Ob das alles
zusammenpasst, kann man diskutieren. Aber es hat Charakter – wie das ganze La
Fée. Wenn die Arbeit getan ist, kommt der Koch zu seiner Frau Felicitas ist den
Gastraum. Lehnt sich an die Wand, schaut den Gästen beim Essen zu und grinst,
wenn es ihnen schmeckt.

Michael
Allmaier

Bistro La Fée, Hofweg
50, Uhlenhorst. Tel. 18 98 31 66

DARAUF KÖNNEN SIE SICH FREUEN

Wenn Sie noch nicht genug
von der Adventszeit haben: Das Feierabendkonzert des Kammerkunstvereins im
Oberhafen steht unter dem Titel „Weihnachten“.
Neben Kerzen, Stollen und Glühwein gibt es Werke von unter anderem Mozart,
Schubert und Strauss.

17.12., 18 Uhr, Oberhafen, Halle
424, Stockmeyerstraße 43, Tor 43; Tickets gibt es hier

MEINE STADT

Adventszeit am Horner Kreisel © Michaela Bevot

HAMBURGER SCHNACK

Zwei Hamburg-Redakteurinnen stehen auf der
Weihnachtsfeier der ZEIT:

Viola: „Boah, ist das laut hier!“

Annika: „Ja, megawarm!“

Gehört von einer von ihnen

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