Beide können problemlos für sich allein bestehen. Schrift braucht keine gemalte oder gezeichnete Beihilfe, um sich mitzuteilen und verstanden zu werden. Gleiches gilt für das Bild. Es teilt durch seine bildnerischen Mittel mit, was zu sehen sein soll, dazu bedarf es nicht zusätzlicher Schriftform.
Und doch, seit Beginn der künstlerischen Moderne gehen beide, Bild und Schrift, gerne zusammen, stellen vielgestaltige Gemeinschaft her, man denke nur an die Schrift-Bild-Werke in künstlerischen Stilzusammenhängen wie Kubismus, Surrealismus oder Dada. Das Miteinander hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg eher noch intensiviert, die Forderung nach politisch-gesellschaftlichem Engagement und Appell hat der Verbindung von Schrift und Bild noch einmal zusätzliches Potenzial verschafft.
Eine Sammlung bringt Ost und West zusammen
In Deutschland hat sich seit 2010 eine Privatsammlung, die Written Art Collection, auf das planvolle Zusammentragen dieser hybriden Kunstform spezialisiert. Seit ein paar Jahren pflegt die Pinakothek der Moderne eine Kooperation mit dieser Sammlung – zum Vorteil des Münchner Museums nicht zuletzt deswegen, weil die Written Art Collection nicht nur das westliche Kunstgeschehen in den Blick nimmt, sondern über den europäisch-nordamerikanischen Tellerrand hinausschaut auf Entwicklungen im Nahen, Mittleren und auch im Fernen Osten. Weltregionen, die über reiche künstlerische Traditionen in der Schrift-Bild-Verbindung pflegen. Erstmals widmet die Pinakothek der Moderne ihrer Zusammenarbeit mit der Written Art Collection nun eine umfangreiche und faszinierende eigene Ausstellung, betitelt „Sweeter than Honey“.
Akzentuiert die bezuggebende Arbeit – ein schwarzes, für islamische Architektur typisches holzgedrechseltes Fenstergitter mit eingearbeiteten Schriftzeichen – vor allem den Wert jeglichen Wissens und damit auch dessen Vermittlung durch Schrift („Wissen ist süßer als Honig“ lautet der exakte Werktitel bei der ägyptisch-deutschen Künstlerin Susan Hefuna), so entfaltet gleich nebenan ein Quartett hoher Bücherregale das politische Potenzial der Written Art. In dem Werk der indischen Künstlerin Shilpa Gupta liegen metallene Abgüsse von Büchern, auf deren Deckeln und Rücken Zitate aus literarischen Werken stehen – Hinweise auf Bücher und deren Autoren, die aufgrund von Zensur und Verfolgung nicht die beabsichtigte Wirkung entfalten konnten. Eine nachdenklich stimmende Arbeit, auch der kleinen Glühbirnen wegen, welche die Leerstellen zwischen den Büchern beleuchten und wiederum als Zeichen dafür stehen, dass wir von so vielen unterdrückten Werken und ihren Autoren gar keine Kenntnis haben. Auch Jenny Holzers „War Paintings“, die Verhörprotokollen des US-Militärs als Bildgrundlage verwenden, sind gerade wegen ihres durch Schrift bezeugten Dokumentencharakters eindrucksvolle Anklagen gegen jegliche Form von Willkür.
Bild und Schrift, Schrift-Bilder: Da stellt sich rasch die Assoziation an Kalligrafie, an Kunst mit Tusche und Pinsel ein. Erhellend verweist die Ausstellung – kuratiert wurde sie von Madeleine Freund und Oliver Kase zusammen mit der Written Art Collection – auf die Inspirationsanleihen, die Mitte des 20. Jahrhunderts Künstler des Westens vornahmen auf der Suche nach unverbrauchten Formen des Ausdrucks, vorneweg Künstler des Informel. Aber auch in umgekehrter Richtung gab es Impulse, überschritten etwa japanische Kalligrafen die Grenzen der nationalen Tradition.
Die Kunst-Welten befruchten sich gegenseitig
Aber nicht nur Japan, auch der Nahe und Mittlere Osten verfügt über eine umfangreiche bildschriftliche Überlieferung, die von zeitgenössischen Künstlern aufgegriffen wird. Die libanesische Künstlerin Mounira Al Solh beispielsweise hat ein Zelt in einem der Ausstellungsräume aufgeschlagen, das subtile Kritik an patriarchalischen Strukturen artikuliert. Waren solche Zelte einst Machtsymbol männlicher Herrscher, so wird jenes von Mounira Al Solh nun im Innern beherrscht von kurzen Erzählungen über weibliche Emanzipation.
Zu den eindrucksvollsten der insgesamt rund 120 Arbeiten von knapp 60 Künstlern umfassenden Ausstellung gehören vier Schrift-Bilder von Thierry De Cordier. Monumentale Tafeln, eine jede drei Meter hoch und eineinhalb breit, Teile eines noch umfangreicheren Werkzusammenhangs. Der Belgier De Cordier hat eine jede von ihnen handschriftlich beschrieben, die Worte dicht an dicht gesetzt, die Zeilen oft überlappend, eine erdrückende Masse an Schrift. Es sind nicht beliebige Sätze, die der Künstler hier zu Papier gebracht hat: De Cordier hat tausende, von unterschiedlichsten Autoren stammende Gottes-Definitionen niedergeschrieben. Und man sieht es dem Schriftduktus an in seiner Schräglage, seinem Drängen, dem Furor geradezu, dass den Künstler hier ein persönliches Interesse vorwärtstrieb – das jedoch, so scheint die Anmutung dieser Tafeln nahezulegen, nirgendwo in eine letztgültige Antwort einmünden wollte.
Die Vermessung der Welt mit Tusche und Schrift
Es ist nicht die einzige riesenhafte Arbeit in der Ausstellung. Der Chinese Qiu Zhijie belegt mit 20 Tafeln aus seinem „World Map“-Projekt, eine jede immerhin auch zweieinhalb Meter hoch, ein ganzes Kabinett. Tuschezeichnungen, die auf den ersten Blick wie alte Landkarten aus dem Reich der Mitte anmuten mit Umrissen von Ländern und Küsten, Bergen und Flüssen – fiktive Umrisse, die sich zudem bei näherem Herantreten als Kartografien des Wissens zu erkennen geben. Gewidmet allen nur denkbaren Themenbereichen wie dem menschlichen Körper, den Tieren, der Naturwissenschaft, der Architektur, dem Glauben, dem Reisen und und und, miniaturhaft beschriftet in Chinesisch wie in Englisch. Eine poetisch-wimmelige Vermessung der Welt, in der man sich festsehen, einen ganzen Ausstellungsbesuch lang verlieren kann.
Sweeter than Honey. Ein Panorama der Written Art. Bis 12. April in der Pinakothek der Moderne in München. Der Katalog (Hatje Cantz) kostet im Museum 34 Euro.
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Stefan Dosch
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