Von Münster nach Bochum, vom Münsterland ins Ruhrgebiet zu kommen, das war im Herbst 2025 mein Plan. Drei Monate pendeln, mit der Deutschen Bahn. Das kann doch eigentlich nicht so schwer sein. Oder?

[ruhr-guide] Mit den Regionalzügen der Deutschen Bahn und dem Deutschlandticket drei Monate zwischen Münster und Bochum pendeln, geht das? Die Entfernung der beiden Städte liegt bei knapp 75 Kilometern, die der Zug in rund einer Stunde zurücklegen soll. ‚Das klingt einfach‘, dachte ich mir … und erlebte in den nächsten drei Monaten mein blaues Wunder.
Aller Anfang ist … noch ganz in Ordnung
Und so ging es dann los. Ab zum Münsteraner Hauptbahnhof und ab nach Bochum! Es war nicht mein erstes Rodeo mit der Deutschen Bahn, also hatte ich schon von Anfang an knapp eine Stunde mehr eingeplant, zur Sicherheit. Und die brauchte ich auch.
Aber erstmal ging das Meiste gut. Klar, die unabdinglichen fünf Minuten Verspätung gab es so ziemlich jeden Tag, der Zug hielt nicht nur einmal mitten in der Pampa an, weil dann doch noch irgendwer Vorfahrt hatte. Aber meistens ging alles gut und ich stand schon eine halbe Stunde zu früh am Bochumer Hauptbahnhof.
‚Die anderen Pendler:innen müssen das wirklich dramatisch übertrieben haben‘, dachte ich. ‚So schlimm ist das alles ja gar nicht‘. Berühmte letzte Worte …
Das gefürchtete Glockengeläut
Was Pendler:innen am meisten Angst einjagt? Dieses bestimmte Glockengeläut, das in der Deutschen Bahn vor den Durchsagen gespielt wird. Denn diese Durchsagen können nur eins bedeuten: Verspätungen. Nicht zu knapp. Sobald dieser Ton zu hören ist, erkennt man schnell, wer Berufspendler:in ist. Das sind die Fahrgäste, die sofort aufstöhnen, die Augen verdrehen oder sich, vollkommen desillusioniert, in ihren Sitz zurückfallen lassen. Die anderen nehmen ihr Handy heraus und rufen an, wen auch immer sie eigentlich besuchen wollten. „Ja, ich komme später, es dauert länger. Ja, die Deutsche Bahn wieder, kennst du doch.“
Währenddessen sagt die freundliche Stimme über den Lautsprecher so etwas wie: „Aufgrund der Vorfahrt eines anderen Zuges verzögert sich unsere Weiterfahrt noch um wenige Minuten.“ Meistens stimmt das. Manchmal auch nicht. Dann wird die Durchsage einfach nochmal abgespielt.
Heute keine Weiterfahrt bis …
Der Zug in Richtung Düsseldorf fährt nicht nach Düsseldorf und der Zug nach Dortmund nicht nach Dortmund. Das macht keinen Sinn? Passiert aber nicht gerade selten.
Den RE7 nach Düsseldorf trifft es besonders häufig. Der fährt über Wanne-Eickel und Essen, von da aus kann man nach Bochum umsteigen. Und an diesen Stationen hält er auch meistens noch. Aber die Male, an denen es die Fahrgäste wirklich nach Düsseldorf geschafft haben, lassen sich leider an einer oder vielleicht noch zwei Händen abzählen. Viel wahrscheinlicher ist es, dass es mitten auf der Fahrt heißt: „Aufgrund der hohen Verspätung endet unsere Fahrt heute in …“ beziehungsweise „Aufgrund der hohen Verspätung erfolgt heute keine Weiterfahrt bis …“
Wenn die Durchsage beendet ist, bricht das Chaos aus. Fahrgäste mit Taschen, Koffern und allem dazwischen tauschen Blicke aus. Die Flüge sind gebucht und es erfolgt keine Weiterfahrt bis zum Düsseldorfer Flughafen? Und jetzt? Die Durchsage meldet sich wieder: „Alle Fahrgäste mit Ziel Düsseldorf Flughafen können in Essen umsteigen in den Regionalzug xy mit Ziel yz.“ Allgemeines Aufatmen, bis fünf Minuten später die nächste Durchsage folgt: „Aufgrund der hohen Verspätung erreichen Sie den Anschluss xy leider nicht mehr. Bitte achten Sie auf die Anzeigen am Bahnhof.“
Von Münster nach Bochum. Über Essen, Dortmund, Wanne-Eickel …
Es gibt mehr als nur eine Art von Münster nach Bochum und wieder zurück zu kommen.
Wenn man den RE7 nach Düsseldorf nimmt, kann man in Wanne-Eickel aussteigen. Dann muss man allerdings knapp 20 Minuten auf die Bahn nach Bochum warten. Oder manchmal auch länger, denn auch die kommt gerne mit Verspätung.
Man kann auch in Essen aussteigen und dann die S-Bahn in Richtung Dortmund nehmen und in Bochum aussteigen. Das funktioniert meistens, dauert aber etwas länger.
Nimmt man den RB50 nach Dortmund, geht meist alles gut. Die Züge sind allerdings später und brauchen länger.
Der Zug nach Mönchengladbach hält in Recklinghausen, von dort aus geht es per S-Bahn nach Bochum. Das klappt meistens. Aber manchmal bleibt die S-Bahn dann eben auch mitten auf der Strecke stehen und die Fahrt verzögert sich (ohne Durchsage) Minute um Minute, bis die Bahn dann schließlich, mit knapp 20 Minuten Verspätung, in Bochum eintrudelt.
Auf der Rückfahrt macht das Ganze gleich noch mehr Spaß. Verspätungen, überfüllte Züge und Gleise, Warten im Dunkeln. Am Bahnhof Bochum muss die wichtigste Entscheidung getroffen werden. Steige ich in Wanne-Eickel um, in Essen, in Dortmund oder ganz woanders? Jede Entscheidung kann hier die Falsche sein …
Das Drama von Dülmen. Und Dortmund. Und und und …
Und dann gibt es diese Tage, an denen einfach alles schief läuft.
Dortmund. Es ist kalt und es regnet. Nein, es schüttet eher, aus Kannen. Wir befinden uns mitten in einem Unwetter, das so stark ist, dass eine Sturmwarnung herausgegeben wurde. Ich warte mit etlichen anderen Fahrgästen unter dem kleinen überdachten Bereich neben der Rolltreppe, die zum Gleis führt. Wir warten auf den Zug nach Münster, der einmal stündlich kommt und gleich da sein soll. 5 Minuten vergehen, 10, 15 … Der Zug kommt nicht. Erste Fahrgäste kramen ihr Handy heraus. Aber auf der DB App wird nichts zu unserem Zug angezeigt. Auf der Anzeigentafel auch nicht. Und so geht es dann weiter. Schlussendlich kommt der Zug nicht. Er ist nicht zu spät, er ist nicht ausgefallen, er kommt einfach nicht. Wir werden wohl nie erfahren warum.
Dülmen. Der RE7 hält in Dülmen und die Fahrgäste sind verwirrt. Eigentlich sollte der Zug nach Düsseldorf fahren, dann wurde angezeigt, dass er nur bis Haltern am See durchfährt. Und jetzt steht er in Dülmen, an der ersten Haltestelle und fährt nicht. Es dauert nicht lange, bis die Durchsage kommt: „Dieser Zug endet heute in Dülmen. Wir bitten alle Fahrgäste hier auszusteigen.“ Wir steigen aus und machen uns auf den Weg in Richtung Ausgang. Dort befindet sich eine DB Information, in der eine Mitarbeiterin sitzt, die sonst vor allem dafür zuständig ist, den Fahrgästen zu erklären, wo Gleis 31 ist (denn Dülmen hat drei Gleise: 1, 2 und 31). Aber nicht heute. Nein, heute strömen plötzlich dutzende Fahrgäste in das kleine Büro und wollen wissen, warum ihr Zug nicht weiterfährt. „Wie komme ich nach xyz?“, „Gibt es einen Schienenersatzverkehr? Fährt Zug xy oder yz?“
„Hier fährt erstmal gar nichts mehr“, antwortet die Mitarbeiterin. Ich denke, sie meint nichts mehr in Richtung Düsseldorf. Aber sie meint den gesamten Zugverkehr. Keine Züge fahren mehr, technisches Problem. Aber der Bus nach Münster soll in wenigen Minuten kommen.
Ich entscheide mich also, zurück nach Münster zu fahren, voran geht es ja sowieso nicht. Aber der Bus kommt nicht. Nicht nach den angekündigten zwei Minuten, nicht nach fünf und auch nicht nach zehn.
Nachdem wir alle eine Weile im Kreis gelaufen sind und sich die ersten Fahrgäste in kleinen Gruppen zusammengeschlossen haben, um ein Taxi zu nehmen, kommt schließlich der Schienenersatzverkehr an: Ein einzelner Bus und nicht mal in Standardgröße. Alle steigen ein, egal ob sie nach Münster wollten oder nicht. Und alle sind mit den Nerven am Ende. Ich höre mir die Geschichten der anderen Fahrgäste an. Von dem Security-Mann, der in gerade von der Nachtschicht kommt und nur nach Hause fahren wollte, von dem Pärchen, das auf dem Weg in den Urlaub ist und von sehr vielen Pendler:innen auf dem Weg zur Arbeit. Wir bilden eine Leidensgemeinschaft und rufen alle nacheinander unsere Chef:innen an, um anzukündigen, dass wir heute im Homeoffice arbeiten. Und ich erreiche, drei Stunden nachdem ich losgefahren bin, schließlich wieder Münster.
Der Lichtblick – die anderen Fahrgäste
Ein unerwarteter Lichtblick bei dem Ganzen sind am Ende die anderen Fahrgäste.
Der Security-Mann öffnet seinen Handy-Hotspot für mich, damit ich mein Handy im Bus nutzen kann, gibt seinen Platz für eine ältere Dame auf und fragt mich schließlich in Münster: „Brauchst du noch Internet? Dann lasse ich es an.“
Eine Mutter und ihr Kind sitzen mir gegenüber, das Kind spielt an meiner Handtasche herum und will zwischendurch meine Hand halten. Wenn es davon genug hat, flitzt es durch die Gänge und staubt die Snacks ab, die die anderen Fahrgäste ihm anbieten.
Ein junger Mann öffnet seine Essensvorräte, bestehend aus einer Tupperdose voller Müsliriegel, für mich, als wir auf einen Zug warten, der eigentlich schon vor einer Stunde ankommen sollte. Im Zug angekommen, reicht er mir seine Jacke, damit ich mich wieder aufwärmen kann.
Wir bilden Leidensgemeinschaften im Zug und am Gleis, werden zu Bekannten, reden über unseren Tag, die Deutsche Bahn, das Leben. Und wünschen uns am Ende mit einem Augenzwinkern „Viel Glück!“. Wir können es gebrauchen …
Foto: Leah Kenedi