Die transatlantischen Beziehungen haben seit Donald Trumps Amtsantritt stark gelitten. Die Veröffentlichung der Nationalen Sicherheitsstrategie (NSS) am 4. Dezember 2025 las sich für viele europäische Politiker wie ein offener Affront. In dem Strategiepapier, das jede US-Regierung dem Kongress vorlegen muss, beschreibt die Trump-Regierung Europa als einen Kontinent im Untergang. Wörtlich ist die Rede von einer „Zensur“ gegenüber freien Meinungsäußerungen in Europa, einer „Unterdrückung der politischen Opposition“ und einer wahrscheinlichen „Auslöschung der Zivilisation“ aufgrund der aktuellen Migrationspolitik.
Doch nun ist ein bislang unveröffentlichter angeblicher Entwurf der NSS geleaked worden, der noch deutlich heikler sein soll – und mehr ins Detail dazu geht, wie die USA zukünftig in Europa vorgehen möchten. Der Entwurf sehe vor, dass besonders die Zusammenarbeit der USA mit Italien, Österreich, Polen und Ungarn intensiviert werden solle, „mit dem Ziel sie [von der Europäischen Union] zu lösen“, zitiert das US-amerikanische Portal Defense One, das den Entwurf eingesehen haben will. Das Weiße Haus hat gegenüber Defense One die Existenz eines solchen Entwurfs bestritten.
Die neue Nationale Sicherheitsstrategie der USA, unterschrieben vom US-Präsidenten Donald TrumpBild: Jean Pierre Nguyen Van Hai Barbier/ABACA/picture alliance
Dennoch: Versuchen die USA, die Europäische Union zu spalten? Und warum sollen gerade diese vier Länder von der EU abgeworben werden?
Ungarn, Österreich, Polen, Italien
Am wenigsten überraschen auf der Länderauflistung dürfte Ungarn. Premier Viktor Orban und Präsident Donald Trump gelten als enge Verbündete. Orban unterstützte Trump bereits während des Präsidentschaftswahlkampfs 2016 – damals als einziger amtierender EU-Regierungschef. Beide wissen, was sie aneinander haben. Als ständiger Querschläger destabilisiert Orban die EU und schwächt damit eine Institution, gegen die Trump großes Misstrauen hegt.
Orban wiederum freut sich über die politische Rückendeckung durch die Supermacht. Angeblich hatten die USA Ungarn, ähnlich wie zuletzt Argentinien, sogar einen „finanziellen Schutzschild“ von 20 Milliarden Dollar angeboten – Ungarns Wirtschaft schwächelt zurzeit und wichtige EU-Gelder bleiben eingefroren. An diese Zusage konnte sich Trump in einem aktuellen Interview mit Politico zwar nicht mehr erinnern. Es soll aber Gespräche über eine finanzielle Zusammenarbeit geben. Trump ist immer wieder bereit, seinem „great friend“ entgegenzukommen.
Auch von Italiens Premierministerin Giorgia Meloni und ihrer postfaschistischen Partei Fratelli d’Italia schwärmt der US-amerikanische Präsident. Dennoch glaubt Daniel Hegedüs, Regionaldirektor für Mitteleuropa beim German Marshall Fund of the United States, dass es ein „Missverständnis“ der amerikanischen Regierung sei, dass Meloni sich gegen die EU stellen könnte. Denn obwohl es eine gewisse weltanschauliche Nähe von Meloni zu Orban gibt, ist sie nicht zu einer weiteren Blockiererin in der EU geworden, sondern steht ihr inzwischen recht pragmatisch gegenüber: Kaum jemand habe so gut verstanden wie Meloni, was eine stabile und funktionierende EU ihrem Land bringe, sagt Hegedüs der DW.
Der Politologe Daniel HegedüsBild: DW
Polen und Österreich haben zwar aktuell keine rechtpopulistischen Regierungen, jedoch waren bis vor Kurzem in beiden Ländern noch rechte und euroskeptische Parteien an der Macht, die auch weiterhin extrem einflussreich bleiben. So war die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) bei den letzten Wahlen stärkste Kraft und führt bei aktuellen Umfragen. In Polen konnte im Sommer mit Karol Nawrocki der Kandidat der rechtskonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) die Präsidentschaftswahl für sich entscheiden. Wahrscheinlich ist, dass die Trump-Regierung in beiden Ländern bald wieder größere Einflussmöglichkeiten vermutet.
Warum nicht auch Slowakei und Tschechien?
Am meisten dürfte Beobachter überrascht haben, dass zwei EU-Länder nicht in der Länderauflistung des Entwurfs auftauchen: die Tschechische Republik und die Slowakei.
In Tschechien hat erst im Oktober die rechtspopulistische Partei ANO des Milliardärs Andrej Babis die Parlamentswahl gewonnen und ist eine Regierungskoalition mit der ebenfalls rechten Autofahrer-Partei (Motoriste) und der rechtsextremen Partei Freiheit und Direkte Demokratie (SPD) eingegangen.
Die Slowakei erlebt schon seit 2023 unter der Regierung von Robert Fico einen Rechtsruck. Seine nominell sozialdemokratische, faktisch jedoch größtenteils rechtsnationalistische Partei Smer-SD wurde jüngst aus der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) rausgeworfen.
Der slowakische Premier Robert FicoBild: Roman Hanc/TASR/dpa/picture alliance
Beide, Babis und Fico, sind ausgesprochene EU-Skeptiker, beide haben das Potential, bei europäischen Entscheidungsfindungen Chaos zu stiften und die Autorität der EU bei strategischen Fragen, vor allem in Hinblick auf Russland und die Ukraine, zu untergraben – Eigenschaften, die Trumps Regierung bei ihrer derzeitigen Ausrichtung eigentlich schätzen dürfte.
Dass sie trotzdem nicht auf dem Strategiepapier landeten, führt der Politologe Hegedüs auf die Wurzeln ihrer jeweiligen Parteien zurück. ANO ließ sich lange nicht im klassischen Links-Rechts-Spektrum einordnen, Smer-SD verstand sich zunächst als links. „Man kann ganz eindeutig sehen, wie durchidealisiert die amerikanische Herangehensweise ist“, sagt Hegedüs. „Weil Smer und ANO keine klassische rechtspopulistische Herkunft haben, zählen sie nicht als Gesinnungsgenossen, auch wenn sie vielleicht eine Politik machen, die für Trumps Regierung nützlich ist.“
Europäische Integration nach und nach zersetzen
Erste Einmischungsversuche der neuen US-Regierung in die demokratischen Prozesse in Europa Anfang des Jahres, etwa die provokative Rede von Vizepräsident JD Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz, waren von Beobachtern der transatlantischen Beziehungen teils noch beiseite geschoben worden – die neue Regierung in Washington müsse erst noch in ihre neue Rolle finden. Doch seitdem schaltete sich die US-Regierung wieder und wieder ein – in den deutschen, den rumänischen, den polnischen Wahlkampf. Die Einmischung folgt immer dem gleichen Muster: Unterstützt wird, wen die Trump-Regierung ideologisch als Verbündeten sieht – und wer Brüssel schwächt.
Das Ziel der USA dürfte kein Huxit, Italexit, Öxit oder Polexit sein, glauben deshalb Experten wie Hegedüs – sondern ein schleichender Zerfall der europäischen Integration, den sie durch diplomatische, politische und vielleicht sogar finanzielle Unterstützung fördern könnte.
Ungarns Premier Viktor OrbanBild: Nicolas Economou/NurPhoto/picture alliance
Erste Anzeichen dafür sind bereits jetzt zu sehen: So hat die EU zum Beispiel den schrittweisen Ausstieg aus der russischen Energieabhängigkeit vereinbart. Bis Ende 2026 soll so etwa der Import von Flüssigerdgas verboten werden, bis November 2027 der Gasimport über Pipelines. Ungarns Premier Orban hatte sich bei Trump schon im November eine Ausnahme von den US-Sanktionen auf russische Energieimporte abgeholt. Er erklärte, dass er die EU-Entscheidung nicht akzeptiere und den Fall vor den Europäischen Gerichtshof bringen werde. In einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan am Montag (08.12.2025) verkündete Orban dann, dass die Türkei Ungarn auch in Zukunft die Lieferung russischen Gases durch die TurkStream-Pipeline garantiere.
Der Experte Hegedüs glaubt, dass es in den kommenden Jahren immer mehr solcher Fälle geben werde, in denen Mitgliedsländer sich in einzelnen Bereichen nicht an die gemeinsam getroffenen Entscheidungen halten und so das Wesen der europäischen Integration immer mehr in Frage gestellt wird. So könnte die EU immer weiter ausgehöhlt werden – bis sie irgendwann dann tatsächlich an Bedeutung verloren hätte.