Standdatum: 13. Dezember 2025.
Autorinnen und Autoren:
Alexander Schnackenburg
Bild: Radio Bremen
Weniger Barrieren, immer mehr Aufgaben: Seit 20 Jahren gibt es in Bremen den Landesbehindertenbeauftragten. Er kann viel vorweisen – und blickt doch skeptisch in die Zukunft.
Dass es ihn gibt, ist das Ergebnis eines langen Kampfes der Behindertenbewegung im Land Bremen. Die Rede ist vom Landesbehindertenbeauftragten (LBB). Im Jahr 2002 hatten der Bund wie auch Bremen ein Behindertengleichstellungsgesetz eingeführt. Was dem Zwei-Städte-Staat aber noch fehlte, war eine Stelle, die darüber wacht, dass das Gesetz eingehalten wird.
Im Jahr 2004 schließlich verabredete die damalige Große Koalition unter Regierungschef Henning Scherf (SPD), die Stelle des LBB einzurichten – zunächst befristet bis zum Ende der Legislatur. Heute ist der LBB aus Bremen kaum wegzudenken, er spielt bei zahlreichen politischen Entscheidungsprozessen eine wichtige Rolle. Auch ist seine Stelle längst gesetzlich verankert. buten un binnen skizziert einige der größten Themen, Erfolge und Aufgaben des LBB.
1 Behindertengerechtes Bauen
Als erster Landesbehindertenbeauftragter Bremens tritt im Jahr 2005 der Arbeitsrichter Joachim Steinbrück an. Zu dieser Zeit ist Bremens Behindertengleichstellungsgesetz noch kaum bekannt – noch nicht einmal in den Behörden. Steinbrück moniert den Bau von Fahrstühlen im neuen Sozialzentrum Süd wie im Kulturressort am Wall. Denn in beiden Fällen sind die Fahrstühle zu eng für Rollstuhlfahrer – und in beiden Fällen hat der LBB mit seinen Einwänden Erfolg. Immobilien Bremen und der Vermieter am Wall müssen nachbessern.
Der blinde Arbeitsrichter Joachim Steinbrück war Bremens erster Landesbehindertenbeauftragte. 15 Jahre übte er das Amt aus.
Bild: Radio Bremen
Ähnliches glückt Steinbrück bei der Neugestaltung des Leibnziplatzes. Er erwirkt einen Baustopp, sorgt dafür, dass barrierefreie Querungsstellen mit abgesenkten Bordsteinen zu den Straßenbahnhaltestellen führen. Von nun an wird der LBB regelmäßig bei der Planung größerer öffentlicher Bauten einbezogen. Gleichzeitig wird das Behindertengleichstellungsgesetz in der öffentlichen Verwaltung bekannter. Details schildert Steinbrück in dieser Chronik.
2 Landesaktionsplan
Im Jahr 2009 tritt in Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft. Sie fordert die gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe behinderter Menschen in allen gesellschaftlichen Bereichen. Ihre Umsetzung aber ist eine Mammutaufgabe. Die Länder beschließen hierzu Aktionspläne. In Bremen entwickelt ein „Temporärer Expertinnen- und Expertenkreis“ (TEEK) aus Behindertenverbands- und Senatsvertretern ab 2012 den Aktionsplan – unter dem Vorsitz des LBB.
Arne Frankenstein trat im Mai 2020 als Landesbehindertenbeauftragter an – mitten in der Corona-Pandemie. buten un binnen schaltete ihn damals per Video zu.
Bild: Radio Bremen
Ende 2014 verabschiedet der Senat den Plan. Steinbrück sieht darin „einen Meilenstein für die Gleichstellung behinderter Menschen“. Der Plan enthält fast 200 Maßnahmen. Sie betreffen die Handlungsfelder: „Barrierefreie Mobilität“, „Bauen und Wohnen“, „Erziehung und Bildung“, „Arbeit und Beschäftigung“, „Gesundheit und Pflege“, „Kultur, Freizeit und Sport“, „Schutz der Persönlichkeitsrechte“, „Barrierefreie Information und Kommunikation“.
Der Aktionsplan wird laufend fortgeschrieben. Die aktuelle Fassung stammt aus dem Februar dieses Jahres.
3 Schlichtungsstelle für behinderte Menschen
Seit 2020 gibt es in der Dienststelle des LBB eine Schlichtungsstelle mit unabhängigen Schlichterinnen und Schlichtern. An diese Stelle können sich behinderte Menschen kostenlos wenden, wenn sie sich aufgrund ihrer Behinderung durch öffentliche Stellen benachteiligt fühlen. Zu diesen öffentlichen Stellen zählen auch private Unternehmen, die Geld von der öffentlichen Hand bekommen, etwa die Bremer Straßenbahn AG.
Frankenstein sieht in der Schlichtungsstelle eine große Errungenschaft: „Man kann auf diesem Weg niedrigschwellig Streits beilegen.“
Information zum Thema
Was macht der Landesbehindertenbeauftragte Bremen?
Bremens Behindertenbeauftragter setzt sich für die Rechte von Menschen mit Behinderung im Land Bremen ein. Er achtet darauf, dass sich Bremen und Bremerhaven an das Gleichstellungsgesetz halten. Er ist politisch unabhängig, vermittelt zwischen Menschen mit Behinderungen und Politik. Exekutive Befugnisse aber hat der Landesbehindertenbeauftragte in Bremen nicht. Mehr dazu auf dieser Website.
Ende der Information zum Thema
4 Medizinisches Behandlungszentrum
Am Klinikum Bremen-Mitte gibt es seit August 2021 das „Medizinische Behandlungszentrum für Erwachsene und/oder schweren Mehrfachbehinderungen“ (MZEB). Frankenstein hält das MZEB für ein „wichtiges Angebot“, zumal es etwas Vergleichbares vorher in Bremen nicht gegeben habe.
Viele Menschen mit komplexen Behinderungen sind in der Vergangenheit bei der ärztlichen Versorgung hinten runter gefallen.
Arne Frankenstein
5 Frauenärztliche Versorgung Schwerbehinderter
Der LBB hat zusammen mit der Bremer Landesfrauenbeauftragten eine Studie zur barrierefreien gynäkologischen Versorgung im Land Bremen initiiert. Sie ist im März dieses Jahres herausgekommen. „Die Studie zeigt, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht.“ Es mangele an frauenärztlichen Angeboten für Frauen, die in ihrer Mobilität beeinträchtigt sind. Frankenstein hofft nun auf die Hilfe von der Politik.
Behindertenbewegung in der Krise?
Der Corona-Pandemie folgten fast nahtlos der russische Angriff auf die Ukraine und eine Wirtschaftskrise. Die öffentlichen Haushalte gerieten in Schieflage – mit schwerwiegenden Folgen auch für die Belange behinderter Menschen: „Die Aufbruchstimmung, die es nach Inkrafttreten der Behindertenrechtskonvention gab, gibt es nicht mehr – im Gegenteil“, sagt Frankenstein. Viele Errungenschaften der Behindertenbewegung würden heute infrage gestellt. Sogar bei der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen drohten Kürzungen.
Es geht für uns darum, den Status quo zu halten und zu verhindern, dass Rechtsansprüche und konkrete Projekte Schwerbehinderter wegbrechen.
Arne Frankenstein
So gesehen befinde sich der LBB derzeit im „Krisenmodus“, erklärt Frankenstein.
Quelle:
buten un binnen.
Dieses Thema im Programm:
butenunbinnen.de, 20 Jahre Landesbehindertenbeauftragter in Bremen: Das hat er erreicht, 13. Dezember 2025, 14:21 Uhr




