Tierschützer-Demo auf dem Wasen: Pferde im Weltweihnachtscircus: Stress pur oder tiefe Vertrautheit? Tierrechtsaktivisten demonstrieren für ein Tierverbot im Weltweihnachtscircus. Foto: Ferdinando Iannone

Auf dem Cannstatter Wasen demonstrieren Tierschützer gegen Tierdressuren im Zirkus. Die Artisten verteidigen ihre Pferdehaltung vehement.

Der Mann mag es gar nicht hören. „Ach was, Peitsche – die gibt es auch in vielen Schlafzimmern“, sagt er und folgt seiner Frau zum Eingang in den Weltweihnachtscircus. Die Handvoll Aktivisten vom Kollektiv Tierbefreiung, die am Samstag vor dem Zelteingang für einen völligen Verzicht auf Tierdressuren demonstrieren, würdigt er keines Blickes. Ja, die meisten wollten einfach ihren Spaß haben und in Ruhe die Zirkusvorstellung genießen, sagt Emilia Schühle. Und dieses Vergnügen wolle man ja auch niemandem nehmen. „Aber wir wollen, dass dafür keine Tiere ausgebeutet werden“, sagt die 29-jährige Aktivistin.

Schon 2019 hat die Stadt Stuttgart ein kommunales Wildtierverbot für den Wasen und andere Flächen verhängt. Löwen und Tiger sind seither bei Zirkusgastspielen tabu. Der Weltweihnachtscircus hat sie sogar noch früher aus dem Programm genommen. Die letzte Wildtiernummer wurde vor zehn Jahren vorgeführt. Damals war René Casselly mit seinen Elefanten Betty und Mambo in Stuttgart aufgetreten.

Peitschen knallen, das Publikum tost: Zu viel für ein Pferd?

Doch den Männern und Frauen vom Stuttgarter Kollektiv Tierbefreiung genügt das nicht. „Zirkus ohne Tiere“ und „Tiere raus aus der Manege“, fordern sie auf Transparenten. Auch für Pferde und Tauben, wie sie beim diesjährigen Weltweihnachtscircus dabei sind, sei der Auftritt reiner Stress und Tierquälerei. „Pferde sind sensible Fluchttiere“, sagt Schühle. In der Manege seien sie grellen Lichtern, knallenden Peitschen und dem tosenden Publikum schutzlos ausgesetzt.

Der Auftritt von Angelina Richter ist bei der Premiere gefeiert worden. Foto: LICHTGUT

Im Zirkus selbst sieht man das naturgemäß anders. Angelina Richter stammt aus einer alten ungarischen Artistenfamilie. In Stuttgart tritt sie mit ihrem Bruder Florian und 21 Pferden auf. Mit ihrer Nummer „Ungarische Post“ erntete die 20-Jährige bei der Stuttgarter Premiere Standing Ovations und erhielt prompt eine Einladung zum Zirkusfestival in Monte Carlo. „Wir tun alles, damit die Pferde keinen Stress haben“, sagt sie und streicht Apollo, einem schwarzen Friesen, über das glänzende Fäll. Wichtig sei, dass die Tiere den Tag zusammen verbringen könnten. Und natürlich müsse man sie auch gut aufwärmen.

Mit 16 Jahren geht es in Pension

In zwei lange beheizten Zelten stehen die Tiere in ihren Boxen, jede mehr als zehn Quadratmeter groß. Mit vier Jahren ist Apollo das jüngste Tier in ihrer Herde, das älteste ist Szikla, ein Ungarisches Kaltblut, das nach dem Auftritt in Monte Carlo mit 16 Jahren endgültig in Pension gehen soll und auf der ungarischen Farm der Familie dann weiter leben darf. „Wenn die Tiere einem vertrauen, dann ist für sie ein Auftritt kein Problem“, ist Giulia Giona überzeugt. Auch sie ist mit einer Pferdedressur im Programm.

Angelina Richter mit zwei ihrer Pferde. Foto: Lichtgut/Ferdinando Iannone

Ein Zirkus ganz ohne Tiere und vor allem ohne Pferde ist für viele Zirkusleute immer noch undenkbar. „Der Zirkus hat sich aus der Vorführung von Pferdedressuren entwickelt“, sagt der Stuttgarter Zirkuschef Dalien Cohen. Auch Angelina Richter sieht es so: „Das ist ein Stück Identität. Zirkus riecht nach Pferdedung und Streu.“ Auch das Schnauben der Tiere gehöre dazu.

Ein krankes Pferd muss nicht arbeiten

Acht Minuten dauert die Nummer der Richters. Dann dürfen die Pferde wieder aus der Manege. Da seien für ein gesundes Pferd auch drei Vorführungen wie an den Weihnachtstagen zu schaffen. Wenn ein Pferd nicht fit sei, erhalte es eine Pause. Deshalb gibt es drei Ersatztiere. Die Aktivisten vor dem Zelt bezeichnen dies hingegen als „Wahnsinn“. Zudem verweisen sie darauf, dass laut den Zirkusleitlinien jedem Pferd zwei Stunden Auslauf pro Tag gewährt werden müssen. Es sei aber nicht einmal ein Außengehege auf dem Gelände ersichtlich. Der Zirkus verweist hingegen auf ein Paddock in einem Zelt, das dafür genutzt werden kann.

Derweil strömen weitere Besucher heran. Für Bärbel Vöhringer ist es ein besonderer Tag. Als vorgezogenes Weihnachtsgeschenk hat die 70-Jährige zusammen mit ihrer Tochter drei Großnichten und einen Großneffen zu einem Ausflug in den Weltweihnachtscircus auf dem Wasen eingeladen. Die Kinder, zehn bis 13 Jahre alt, sind dafür extra von der Alb angereist. Wahrscheinlich hätten die Aktivisten Recht mit ihrer Kritik, sagt Bärbel Vöhringer. „Aber es ist halt schon schön, wenn Pferde dabei sind.“ Und das finden auch die Kinder.