Die Impfung gegen Herpes zoster, besser bekannt als Gürtelrose, könnte einen zusätzlichen gesundheitlichen Nutzen haben: Sie scheint das Risiko für Demenz zu senken – zumindest bei Frauen. Darauf weist eine aktuelle Studie aus dem Vereinigten Königreich hin, die in Nature veröffentlicht worden ist [1].

Die Forschenden analysierten Gesundheitsdaten von 80-jährigen Menschen in Wales – und zwar vor und nach Einführung der Herpes-zoster-Impfung. Ihr Ergebnis: Das relative Risiko einer Demenzdiagnosen sank in der geimpften Gruppe um 20%. 

„Die aktuelle Studie bestätigt frühere Beobachtungen, dass Personen, die eine Zoster-Impfung erhalten haben, seltener eine Demenz entwickeln“, kommentiert Prof. Dr. Peter Berlit. Er ist Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und niedergelassener Neurologe aus Essen. Allerdings seien in den bisherigen, registerbasierten Assoziationsstudien Personen mit Impfung mit Ungeimpften verglichen worden, ohne mögliche demenzbezogene individuelle Unterschiede berücksichtigen zu können.

 

Die aktuelle Studie bestätigt frühere Beobachtungen, dass Personen, die eine Zoster-Impfung erhalten haben, seltener eine Demenz entwickeln.
Prof. Dr. Peter Berlit

 

Zum Hintergrund: Im Jahr 2013 ergab sich für Forschende eine einzigartige Chance. Mit der Einführung der Herpes-zoster-Impfung in Wales bot sich erstmals die Möglichkeit, den Zusammenhang zwischen der Impfung und dem Demenzrisiko im Rahmen eines natürlichen Experiments zu untersuchen. 

Anders als in rein beobachtenden Studien konnten die Wissenschaftler dadurch kausale Hinweise statt bloßer Korrelationen gewinnen – ein bedeutender Schritt in der Erforschung möglicher präventiver Effekte der Impfung.

Wales: Einführung der Zoster-Impfung schuf Grundlagen für ein natürliches Experiment

„Wir nutzten die Tatsache, dass in Wales die Anspruchsberechtigung für den Zoster-Impfstoff auf Grundlage des genauen Geburtsdatums einer Person bestimmt wurde“, schreiben die Studienautoren um Dr. Markus Eyting von der Division of Primary Care and Population Health der Stanford University, Stanford, USA, und dem Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung SAFE in Frankfurt am Main. 

Personen, die vor dem 2. September 1933 geboren wurden, waren nicht impfberechtigt und blieben dauerhaft vom Impfprogramm ausgeschlossen. Wer hingegen am oder nach dem 2. September 1933 geboren wurde, hatte für mindestens 1 Jahr Anspruch auf die Herpes-zoster-Impfung. 

In der aktuellen Studie wurden somit 2 nahezu identische Gruppen von 80-Jährigen miteinander verglichen, die sich nur dadurch unterschieden, dass sie entweder in der Woche vor oder in der Woche nach dem Stichtag zur Welt gekommen waren. „Die Autorengruppe geht zu Recht davon aus, dass sich demenzrelevante Einflussfaktoren praktisch ausschließen lassen, zumal die Gesundheitsdaten der Kollektive berücksichtigt wurden und eine Regressionsanalyse erfolgte“, kommentiert Berlit.

Bei den 80-jährigen Personen, die in der Woche vor dem 2. September 1933 geboren wurden, lag die Impfquote gegen Herpes zoster praktisch bei 0% – konkret bei 0,01 %. Ganz anders sah es in der Gruppe aus, die eine Woche später geboren wurde: Hier wurden fast die Hälfte (47,2 %) geimpft. Verwendet wurde damals der inzwischen nicht mehr gebräuchliche Lebendimpfstoff gegen Herpes zoster

Von der Schutzwirkung profitieren vor allem Frauen

Forscher haben beide Geburtsgruppen über einen Zeitraum von 7 Jahren nachbeobachtet, um festzustellen, ob eine Demenzdiagnose gestellt wurde. Das Ergebnis: Insgesamt sank die Wahrscheinlichkeit, an Demenz zu erkranken, in der geimpften Gruppe um 3,5 Prozentpunkte – das entspricht einer relativen Risikoreduktion von 20%.

Der Schutzeffekt zeigte sich jedoch deutlich geschlechtsspezifisch: Bei Frauen reduzierte die Impfung das Demenzrisiko um 5,6 Prozentpunkte, während bei Männern kein signifikanter Effekt beobachtet wurde (-0,1 Prozentpunkte). 

„Vor dem Hintergrund, dass Zoster-Erkrankungen bei Frauen häufiger und früher auftreten als bei Männern, könnte diese Beobachtung ein erster Hinweis auf die biologischen Grundlagen des zugrundeliegenden antidemenziellen Effektes sein“, kommentiert Prof. Hartmut Hengel, Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Freiburg und Mitglied der Arbeitsgruppe Zoster der Ständigen Impfkommission (STIKO). 

Was in der Studie fehle, so Hengel, sei die Messung anderer neurodegenerativer Diagnosen nach Zoster-Impfung wie beispielsweise Parkinson oder Amyotrophe Lateralsklerose (ALS). Zudem sei, ergänzt Berlit, auch keine Differenzierung der Demenzdiagnosen erfolgt: „Das heißt, eine Aussage dezidiert zu Alzheimer ist nicht möglich.“

Die Studienautoren werten ihre Ergebnisse als deutlichen Hinweis auf eine Schutzwirkung der Herpes-zoster-Impfung – sei es in Form einer Verzögerung oder sogar Verhinderung des Auftretens von Demenz. „Durch die Nutzung eines einzigartigen natürlichen Experiments liefert unsere Studie Evidenz für einen demenzverhindernden oder demenzverzögernden Effekt der Herpes-zoster-Impfung, die weniger anfällig für Störfaktoren und Verzerrungen ist als die bisherige korrelative Evidenz“, schreiben sie. 

Daten bestätigen Hinweise aus früheren Studien

Hengel sieht den Mehrwert der Untersuchung vor allem in ihrem bestätigenden Charakter. Dass eine Impfung gegen Herpes zoster die Häufigkeit von Demenzdiagnosen reduziert, hatte im vergangenen Jahr auch eine Arbeitsgruppe um Dr. Maxime Taquet von der University of Oxford, Oxford, Großbritannien, anhand einer Studienkohorte mit US-Krankenversicherten gezeigt.

Er betont aber, dass die Qualität der Analysen und der Daten der aktuellen Untersuchung höher einzuschätzen sei, da die Autoren im Verlauf des über einjährigen Revisionsprozesses ihrer Studie verschiedene denkbare Störfaktoren und Selektionsfehler in dem von ihnen gewählten Studienansatz ausgeschlossen hätten.

Hinsichtlich der Ursache für die Schutzwirkung der Zoster-Impfung sind 2 Thesen plausibel: Einerseits könnte die Impfung durch die Verhinderung der Gürtelrose-Erkrankung und der Reaktivierung des inaktiven Virus im Körper vor Demenz schützen. Andererseits könnte auch ein virusunabhängiger Off-Target-Effekt des Impfstoffs das Immunsystem modulieren und somit die Demenzerkrankung beeinflussen.

Möglicherweise wirkt der Totimpfstoff besser als der Lebendimpfstoff

Hengel: „In Verbindung mit der früheren Arbeit von Taquet et al. erscheint eine direkte Beziehung der Infektion mit dem Varizella-Zoster-Virus und der Gehirnalterung beziehungsweise Demenzentwicklung durchaus wahrscheinlich.“

 

Eine direkte Beziehung der Infektion mit dem Varizella-Zoster-Virus und der Gehirnalterung beziehungsweise Demenzentwicklung erscheint durchaus wahrscheinlich.
Prof. Hartmut Hengel

 

Die Gruppe um Taquet hatte nämlich die beiden immunologisch sehr unterschiedlichen Zosterimpfstoffe analysiert. Zwar wiesen beide einen Schutzeffekt gegen Demenz auf, der aber unterschiedlich stark war. „Die bekanntermaßen bessere Schutzwirkung des adjuvantierten Totimpfstoffs gegen Gürtelrose korrelierte mit einer besseren Schutzwirkung gegen die Demenz, was einen direkten Zusammenhang von Varizella-Zoster-Virus-Infektion und Demenz nahelegt“, so Hengel.

In Deutschland wird von der Ständigen Impfkommission (STIKO) seit dem Jahr 2018 der neue Herpes-Zoster-Totimpfstoff (Shingrix) für alle Menschen ab 60 Jahren und für Risikogruppen ab 50 Jahren empfohlen. Seit dem Jahr 2013 war der Lebendimpfstoff Zostavax in Deutschland erhältlich, dessen Effekt auch in der Studie untersucht worden ist. 

Möglicher Demenzschutz als weiteres Argument für die Impfung

Berlit: „Die Effektstärke der Impfung auf das Verhindern oder Verzögern einer Demenz ist so groß, dass dies ein Argument für die Impfung über den Schutz vor einer Gürtelrose hinaus ist. Es ist zu diskutieren, ob nicht generell die Impfung ab 50 Jahren zumindest für Frauen empfohlen werden sollte.“

 

Die Effektstärke der Impfung auf das Verhindern oder Verzögern einer Demenz ist … ein Argument für die Impfung über den Schutz vor einer Gürtelrose hinaus.
Prof. Dr. Peter Berlit

 

Und gute Argumente scheinen dringend erforderlich: „Bedauerlicherweise sind die Impfraten der Zoster-Impfung in Deutschland unbefriedigend niedrig – im Bereich von 11,5% bei der 1. Dosis bzw. 7,7% bei der 1. Dosis“, so Hengel. „Es ist daher zu hoffen, dass sich der bestätigende Befund einer Schutzwirkung der Zoster-Impfung gegen Demenz günstig auf die Inanspruchnahme der Zoster-Impfung auswirkt.“