Mehrere Veranstaltungen, Plakataktionen und eine Kundgebung prägten am Samstag in Halle (Saale) den sogenannten „ACAB-Day“. Anlass war der 13. Dezember, der in bestimmten politischen Szenen aufgrund der Zahlenkombination 13-12 als symbolisches Datum gilt. Im Mittelpunkt standen scharfe Vorwürfe gegen die Polizei, gegen staatliche Sicherheits- und Ordnungspolitik sowie gegen kapitalistische und patriarchale Strukturen. Die Beiträge reichten von lokaler Polizeikritik über Fragen von Rassismus und sexualisierter Gewalt bis hin zu internationaler Politik und dem Nahostkonflikt.

Symbolischer Aktionstag und nächtliche Plakataktion

Bereits in der Nacht zum Samstag kam es in Halle zu ersten Aktionen. Am Polizeirevier im sogenannten Ritterhaus wurden Plakate angebracht, die unter der Parole „Die Polizei tötet“ standen. Auf den Plakaten waren die Namen von Menschen aufgeführt, die in den vergangenen beiden Jahren durch Polizeischüsse ums Leben gekommen sind. Nach Angaben der Veranstaltenden seien es im vergangenen Jahr 22 Menschen gewesen, in diesem Jahr bislang 16.

Die Aktion zielte darauf ab, tödliche Polizeigewalt sichtbar zu machen und als strukturelles Problem darzustellen. Der Ort der Plakatierung – direkt am Polizeirevier – war dabei bewusst gewählt, um Konfrontation zu erzeugen und Verantwortlichkeiten zu markieren. Die Darstellung folgte der Sichtweise der beteiligten Gruppen, wonach diese Todesfälle nicht als tragische Einzelfälle verstanden werden dürften, sondern Ausdruck eines tieferliegenden Systems seien.

Am Abend zogen zudem mehrere Personen durch die Ludwig-Wucherer-Straße. Begleitet wurde dieser Zug von Pyrotechnik; auf einem Frontbanner war die Zahl „1312“ zu lesen, die in der Szene als Chiffre für die Ablehnung der Polizei verwendet wird. Der Zug blieb offenbar überschaubar, markierte jedoch einen weiteren Baustein des Aktionstages.

Zentrale Kundgebung am Leipziger Turm

Der Schwerpunkt der Aktivitäten lag am Nachmittag auf einer Kundgebung am Leipziger Turm. Organisiert wurde diese vom „Solidaritätsnetzwerk“, das auch unter dem Namen „Solinetz“ auftritt. Am Infozelt war ein großes Banner angebracht, auf dem die Parole „Überall Polizei, nirgendwo Gerechtigkeit“ zu lesen war. Dort wurden Flyer verteilt, heiße Getränke ausgeschenkt und Lebkuchen angeboten, was der Veranstaltung einen niedrigschwelligen, offenen Charakter verleihen sollte.

In mehreren Redebeiträgen formulierten die Beteiligten eine umfassende Kritik an Polizei, Staat und gesellschaftlichen Machtverhältnissen. Ein zentraler Punkt war die Zurückweisung der Vorstellung, Polizeigewalt sei auf einzelne Fehlverhalten oder individuelle Eskalationen zurückzuführen. Stattdessen wurde betont, dass hinter Polizeigewalt und tödlichen Einsätzen ein System stehe, das bestimmte Interessen schütze und durchsetze.

Kurzzeitig vor Ort war auch Halles Poliuzeichefin Petra Paulick.Sie unterhielt sich kurz mit den eingesetzen Beamten. Die Polizei hielt sich im Hintergrund. Uniformierte Polizisten waren nicht im Umfeld, dafür mehrere Zivilkräfte

Kritik am Bild der Polizei als „Freund und Helfer“

Ein wiederkehrendes Motiv war die Ablehnung des Leitbildes der Polizei als „Freund und Helfer“. In einem Redebeitrag aus dem Umfeld des Solidaritätsnetzwerks wurde darauf verwiesen, dass viele Menschen mit diesem Bild aufgewachsen seien. Dieses Narrativ sei jedoch irreführend und diene dazu, Vertrauen und Gehorsam gegenüber einer Institution zu erzeugen, die tatsächlich Gewalt ausübe.

In diesem Zusammenhang wurde auch die historische Herkunft des Begriffs thematisiert. Er gehe auf die Weimarer Republik zurück und sei später von Heinrich Himmler aufgegriffen und propagiert worden, um die Identifikation der Bevölkerung mit den staatlichen Repressionsorganen zu fördern. Aus Sicht der Rednerinnen und Redner sei dieses Erbe bis heute wirksam: Noch immer werde von der Bevölkerung erwartet, denjenigen zu vertrauen, die Zwang ausübten, Menschen einsperrten oder im Extremfall erschössen.

Die Polizei wurde in den Beiträgen als Machtapparat beschrieben, der im Interesse der herrschenden Klasse agiere und Profitinteressen durchsetze. In dieser Logik sei sie kein neutraler Akteur, sondern ein Instrument zur Aufrechterhaltung bestehender gesellschaftlicher Verhältnisse.

Waffenverbotszone und soziale Alternativen

Konkretisiert wurde diese Kritik am Beispiel der Waffenverbotszone am Riebeckplatz. Diese wurde als Ausdruck einer sicherheitspolitischen Strategie kritisiert, die auf Kontrolle, Repression und Kriminalisierung setze, anstatt soziale Ursachen von Unsicherheit zu bekämpfen. Durch die Waffenverbotszone habe die Polizei weitreichende Befugnisse, etwa zu anlasslosen Kontrollen, Identitätsfeststellungen und Durchsuchungen.

Aus Sicht der Rednerinnen und Redner zeige sich hier das Interesse der herrschenden Klasse: Nicht Prävention oder gesicherte Lebensverhältnisse stünden im Vordergrund, sondern die Möglichkeit, bestimmte Bevölkerungsgruppen verstärkt zu kontrollieren. Demgegenüber wurde der Aufbau von Anlaufstellen, sozialen Zentren und niedrigschwelligen Hilfsangeboten als sinnvollere Alternative benannt.

Die Kritik verband sich mit der grundsätzlichen These, dass jede Person, die staatliche Profitinteressen infrage stelle, potenziell Opfer von Polizeigewalt werde. Als aktuelles Beispiel wurden Demonstrationen gegen die Gründung einer AfD-Jugendorganisation in Gießen genannt. Während aus dem Bundestag von linksextremer Gewalt die Rede sei, zeigten im Internet verbreitete Videos nach Darstellung der Rednerinnen und Redner Polizeibeamte, die mit Fäusten und Wasserwerfern gegen Demonstrierende vorgingen.

Kapitalismus, Gewalt und staatliche Ordnung

Mehrere Beiträge stellten einen direkten Zusammenhang zwischen kapitalistischer Wirtschaftsweise und staatlicher Gewalt her. Die Polizei wurde dabei als Garant für das Funktionieren des kapitalistischen Systems beschrieben. Ohne einen Gewalt- und Unterdrückungsapparat könne kapitalistische Ausbeutung nach dieser Auffassung nicht aufrechterhalten werden.

Diese Analyse führte zu einer grundsätzlichen Infragestellung staatlicher Sicherheitslogiken. Polizeigewalt wurde nicht als Fehlentwicklung, sondern als notwendiges Mittel innerhalb des bestehenden Systems interpretiert. Daraus leitete sich die Forderung nach grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen ab, die über Reformen innerhalb der bestehenden Ordnung hinausgehen.

Sexualisierte Polizeigewalt und patriarchale Strukturen

Ein weiterer Schwerpunkt der Kundgebung war das Thema sexualisierte Polizeigewalt. Eine Rednerin aus dem Umfeld der Internationalen Jugend machte deutlich, dass Übergriffe durch Polizeibeamte aus ihrer Sicht kein Randphänomen seien. Vielmehr handele es sich um den Ausdruck eines Systems, in dem Macht weitgehend unkontrolliert ausgeübt werde und patriarchale Strukturen fortbestünden.

Besonders Frauen und queere Menschen seien von entwürdigenden Kontrollen, Übergriffen und Machtmissbrauch betroffen. Diese Taten würden nicht zufällig geschehen, sondern in einem Apparat, der sich selbst schütze und in dem Täter häufig ohne Konsequenzen blieben. Sexualisierte Gewalt wurde als Mittel der Einschüchterung beschrieben, das dazu diene, ohnehin marginalisierte Menschen weiter zu unterdrücken.

Als Gegenentwurf wurde eine gesellschaftliche Transformation gefordert, die patriarchale Gewalt an ihren Wurzeln angreife. Sicherheit solle nicht aus Zwang entstehen, sondern aus Solidarität und gegenseitiger Unterstützung.

Polizeigewalt, Nahostkonflikt und Staatsräson

Auch internationale Politik spielte bei der Kundgebung eine Rolle. In einem Redebeitrag zum Nahostkonflikt wurde die fortgesetzte Bombardierung durch Israel thematisiert, die nach Ansicht des Redners auch mit deutschen Waffen erfolge. Gleichzeitig wurde auf eine zunehmende Gewalt gegen palästina-solidarische Menschen in Deutschland hingewiesen.

Insbesondere aus Berlin gebe es zahlreiche Videos in sozialen Medien, die zeigten, wie Demonstrierende ohne erkennbaren Anlass von der Polizei angegriffen würden. Zudem sei es bei einigen Versammlungen zu Verboten gekommen, andere Sprachen als Deutsch oder Englisch zu verwenden. Dies wurde als Ausdruck eines repressiven Umgangs mit palästina-solidarischem Protest gewertet.

Darüber hinaus wurde kritisiert, dass das Migrationsrecht gegen Demonstrierende instrumentalisiert werde. Im Zusammenhang mit der Einbürgerung wurde auf die Pflicht verwiesen, das sogenannte Existenzrecht Israels zu bekennen. Aus Sicht des Redners werde dabei faktisch überprüft, inwieweit Menschen bereit seien, sich mit dem palästinensischen Volk zu solidarisieren. Die Polizei nehme hierbei als ausführendes Organ des Staates eine zentrale Rolle ein, indem sie die Staatsräson mit Nachdruck durchsetze. Hinter dieser Staatsräson stünden wiederum kapitalistische Interessen.

Rassismus, Aufrüstung und Selbstschutz

In einem weiteren Redebeitrag wurde erneut betont, dass Polizeigewalt systematisch sei. Statt gegen rassistisches Morden vorzugehen, werde die Polizei aufgerüstet und stärker in Stadtteilen präsent gemacht. Ziel sei es nach dieser Lesart, rassistische Kontrollen gegenüber Migrantinnen und Migranten zu legitimieren.

Die Polizei wurde erneut nicht als schützende, sondern als herrschaftssichernde Institution beschrieben. Ihre Aufgabe bestehe darin, bestehende Verhältnisse zu sichern, in denen viele Menschen unterdrückt und ausgebeutet würden. Gewalt sei dabei ein legitimes und eingeplantes Mittel.

Als Antwort darauf wurde der Aufbau von Selbstschutzstrukturen im Stadtteil propagiert. Diese sollten gemeinsam organisiert werden, sich an den Interessen der Arbeiterinnen und Arbeiter orientieren und einen Schutz bieten, der nicht auf staatlicher Repression beruhe.

Der Aufruf: Militarisierung und Überwachung

Die in den Reden formulierten Positionen fanden sich auch im verbreiteten Aufruf zur Veranstaltung wieder. Darin wurde die Polizei als allgegenwärtige Kraft beschrieben, die bei Demonstrationen gegen Faschismus, bei Zwangsräumungen oder im Umgang mit häuslicher Gewalt auftrete. Sie wurde als Schlägertrupp des Staates charakterisiert, der Gewalt dort ausübe, wo er könne.

Besonders kritisch wurde die zunehmende Militarisierung und Aufrüstung nach innen bewertet. Die verstärkte Präsenz von Polizisten in Stadtteilen solle normalisiert und rassistische Kontrollen legitimiert werden. Zudem wurde vor einer neuen Ära der Überwachung gewarnt. Als Beispiel wurde ein in Berlin verabschiedetes Gesetz genannt, das den Einsatz von Kameradrohnen, fest installierten Kameras und die Nutzung des Internets zur Fahndung ermögliche. Die dabei gewonnenen Informationen könnten in einer KI-Datenbank gespeichert werden.

Aus Sicht der Verfasserinnen und Verfasser des Aufrufs dienten diese Maßnahmen nicht dem Schutz der Bevölkerung, sondern der leichteren Kontrolle, Unterdrückung und Verfolgung. Die Polizei wurde erneut als Instrument zum Schutz der herrschenden Klasse beschrieben. Als Konsequenz wurde der Aufbau von kollektivem Selbstschutz gefordert, der den Interessen der Arbeiterinnen und Arbeiter dienen und echte Sicherheit schaffen solle.