Die Stuttgarter Bäckerei Sailer kämpft mit steigenden Kosten durch den Mindestlohn. Drohen Preiserhöhungen oder gibt es andere Lösungen? Ein Blick hinter die Ladentheke.

Mit der Mindestlohnerhöhung zum Jahreswechsel steigt der Kostendruck weiter, daraus macht Stefanie Sailer-Puritscher keinen Hehl. Wie das auf Dauer weitergehen soll, müsse man sich schon fragen, sagt die Geschäftsführerin der Stuttgarter Bäckerei Konditorei Sailer, die mit ihren Geschwistern den Familienbetrieb in dritter Generation führt. Die Kostensteigerung sei ein Riesenproblem, sagt sie.

Ob höhere Preise für Brot, Brötchen und Torten drohen, weil der Mindestlohn steigt? „Eine Preiserhöhung ist schlicht nicht durchsetzungsfähig, weil wir damit rechnen müssen, dass uns die Kunden dann wegbleiben“, sagt sie mit einer Bestimmtheit, die verblüfft. Man sei dann nicht mehr wettbewerbsfähig, weil im Lebensmitteleinzelhandel mittlerweile Tiefkühl-Teiglinge aufgebacken würden, die meist aus Osteuropa stammten, wo eine Mindestlohn-unabhängige und günstige Produktion noch möglich sei.

Geschwister mit Eltern (von links): Jörg Sailer, Ulrike Sailer-Keil, Claudia Sailer, Stefanie Sailer-Puritscher und Gerhard Sailer. Foto: Bäckerei Sailer

Ab 1. Januar 2026 soll der Mindestlohn von derzeit 12,82 Euro pro Stunde auf 13,90 Euro steigen, was einer Erhöhung um 8,4 Prozent entspricht. Die Stuttgarter Bäckerei muss rund 40 der 120 Beschäftigten den Mindestlohn erhöhen. „Wir haben eben viele Aushilfen“, sagt die Chefin. Dass Hilfskräfte, die beispielsweise Tische abräumen, spülen, belegte Brötchen richten, mehr verdienen sollen, damit habe sie „keinen Schmerz“. Das Problem sei, dass das Lohngefüge nicht mehr passe und der Mindestlohn somit Auswirkungen auf die gesamte Belegschaft habe.

„Wir sind Handwerk, produzieren regional in Stuttgart

Wenn Ungelernte mehr Geld bekämen, müsse sie auch Fachkräften etwa in der Produktion und im Verkauf mehr bezahlen, beschreibt sie das Dilemma. Damit stiegen die Personalkosten dann auf mehr als 50 Prozent des Umsatzes.

Der Druck auf die Marge nimmt zu. Bereits von 2019 bis 2024 sind die Stundenlöhne bei dem Betrieb allein im Verkauf um rund 30 Prozent gestiegen, die Verkaufspreise hingegen nur um 20 bis 25 Prozent.

„Unsere Brötchen müssen wir schon echt sauer verdienen im Handwerk“, sagt Sailer-Puritscher. Die Konkurrenz werde ja nicht weniger, meint sie mit Blick auf Discounter, Backshops und Backstationen, für die vieles günstig in Osteuropa vorproduziert werde. „Wir sind Handwerk, produzieren regional in Stuttgart und eben nicht im Ausland und beschäftigen vor allem Mitarbeiter aus der Region“, sagt die Chefin.

Eine Brezel geht für 1,20 Euro über die Theke

Irgendwann werde es kritisch und lohne sich nicht mehr, sagt sie mit Blick auf die Branche. Immer mehr Handwerksbäckereien verschwinden. Beispiele gibt es auch in Stuttgart. Erst Ende Oktober etwa hat die Traditionsbäckerei Hafendörfer geschlossen. Bundesweit gibt es noch rund 8900 Bäckereien, vor zehn Jahren waren es noch mehr als 12.000. Besonders kleine Handwerksbetriebe könnten im Preiskampf mit der Backindustrie, die mit weniger Personal produzieren könne, kaum noch mithalten, heißt es beim Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks.

„Bei uns kostet die Brezel 1,20 Euro“, sagt Sailer-Puritscher. Die Preise noch weiter zu erhöhen, sei den Kunden kaum zu verkaufen. Irgendwann sei auch deren Schmerzgrenze erreicht. „Wenn man nicht mehr soviel verkauft wie vorher, macht eine Preiserhöhung keinen Sinn. Da kann man mit Qualität punkten wie man will“, sagt sie. Wenn man nicht an der Preisschraube drehe, gehe das zu Lasten des Gewinns. Der aber sei wichtig, denn mit dem Gewinn würden notwendige Investitionen getätigt – das reicht von neuen Maschinen und Arbeitsgeräten bis zu den Ladeneinrichtungen.

Sailer-Puritscher verweist auf einen Bäckerkollegen aus Brandenburg. Tobias Exner aus Beelitz hat in der „Bild“-Zeitung vorgerechnet, welche Kosten bei einem Brot anfallen und was unterm Strich bleibt – nahezu null Euro. So verteilen sich die Kosten bei einem bei einem Verkaufspreis von 4,80 Euro (davon 0,31 Cent Mehrwertsteuer).

  • Personalkosten/Lohn 2,25 Euro
  • Miete und Energie 0,68 Euro
  • Rohstoffe 0,71 Euro
  • Abschreibung 0,32 Euro
  • Reparaturen 0,06 Euro
  • Verpackung 0,06 Euro
  • Kfz-Kosten 0,06 Euro
  • Zinsen 0,04 Euro
  • Versicherung 0,04 Euro
  • Werbung 0,04 Euro
  • Sonstiges 0,20 Euro.

Auch Exner versucht die Preise trotz Mindestlohnerhöhung zu halten. Falls doch nötig, sollen Brötchen um zwei bis drei Cent teurer werden, Brote um zehn bis 20 Cent.

Um die Kosten im Griff zu halten, setzt Sailer-Puritscher auf mehrere Ideen, denn jammern ist ihre Sache nicht. Die Bäckerei mit elf Filialen in der Landeshauptstadt und einigen Lieferkunden, die mit frischen Brötchen, Brot und süßen Teilchen versorgt werden, hat schon vor zwei Jahren das Sortiment an Kuchen und Torten eingeschränkt. Auch beim Brot gibt es nicht täglich zig Sorten, sondern nur bestimmte, und das im Wechsel – ein sogenannter Brotfahrplan. Weniger Sorten, dafür mehr Masse bedeute günstigere Herstellungskosten, zudem ließen sich Retouren minimieren und damit Kosten sparen, sagt sie. Kompromisse bei der Frische oder den hochwertigen Zutaten will die Handwerksbäckerei aber auf keinen Fall machen. Man versuche auch Maschinen einzusetzen. Das funktioniere aber nur begrenzt – bei klassischen runden Torten etwa gar nicht.

Zimtsterne werden von Hand ausgestochen

Aufs Weihnachtsgebäck verzichtet Sailer-Puritscher nicht – auch wenn sie von vielen Kollegen weiß, dass die keines mehr herstellen. Zwölf oder 15 Euro für eine Tüte Weihnachtsgebäck zahle niemand, so deren Argument. Der Lohnanteil bei Vanillekipferl, Haselnuss-Makronen, Springerle & Co. sei deutlich höher als bei Brot und Brötchen und damit kaum noch wirtschaftlich darstellbar. „Unsere Zimsterne werden von Hand ausgestochen, müssen von Hand eingepackt und dann noch verkauft werden“, nennt sie ein Beispiel.

Ihr Fazit: Mit dem Mindestlohn werde es dann halt viele Jobs nicht mehr geben. „Wenn man viel bezahlen muss, ist es irgendwann unattraktiv, Angelernte zu beschäftigen, die man nur für bestimmte Tätigkeiten einsetzen kann“, sagt sie.

Wie der Mindestlohn steigt

Einführung
Am 1. Januar 2015 wurde der allgemeine gesetzliche Mindestlohn in Deutschland eingeführt, der bei 8,50 pro Stunde lag. In den folgenden Jahren wurde er schrittweise erhöht.

Anpassung
Seit 1. Januar 2025 beträgt der Mindestlohn 12,82 Euro pro Stunde. Zum 1. Januar 2026 soll er auf 13,90 Euro steigen, ab dem 1. Januar 2027 dann auf 14,60 Euro.

Beschäftigte
Bis zu 6,6 Millionen Beschäftigte (knapp 17 Prozent aller Arbeitnehmer) profitieren laut Statistischem Bundesamt von der Mindestlohnerhöhung.