Die Power-100-Liste des Kunstbetriebs erregt heuer Aufsehen: Sie markiert eine Verschiebung der Kräfte hin zu Afrika und dem Nahen Osten. Auf Platz eins Ibrahim Mahama, der heuer in der Kunsthalle Wien eine große Ausstellung hatte.
Seit 2002 gibt es in der Kunstwelt die Power-100-Liste. Rund 30 Künstler, Kritiker und Kuratoren werden dafür vom britischen Online-Magazin „Artreview“ jährlich um Vorschläge gebeten, wie die globalen Machtstrukturen und Entwicklungen abzubilden seien. Abgesehen von der Fragwürdigkeit, einen so komplexen Betrieb auf 100 Namen oder Schlagworte herunterzubrechen, ist diese Liste doch immer wieder ein großes Ereignis – und fällt heuer sensationell aus. Es zeigt sich eine gravierende Verschiebung vom geopolitischen Westen als Machtzentrum hin zu einer dezentralen, konsequent globalen Landkarte. Waren 2016 noch 70 Prozent der Genannten weiß, dominiert jetzt eine multi-ethnische Herkunft. Auf den ersten fünf Plätzen stehen Akteure aus Ghana, Katar, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Ägypten und Singapur. Welch ein Wandel gegenüber 2002, als ein Kunstinvestor (Charles Saatchi), zwei Galerie-Unternehmen (White Cube; Hauser & Wirth) und ein Maler (Gerhard Richter) die Liste anführten.
Zehn Jahre später belegte immerhin mit Carolyn Christov-Bakargiev, der damaligen Documenta-13-Leiterin, erstmals eine Frau den ersten Listenplatz. Aber noch immer folgten allzu viele Galeristen, was zunehmend kritisiert wurde. Letztes Jahr kündigte sich dann eine zunehmende Verschiebung an. Sheikha Hoor al-Qasimi, die in dem arabischen Emirat Sharjah eine der wichtigsten globalen Biennalen organisiert, in den Sharjah Art Spaces ein hochkarätiges Jahresprogramm zeigt und zunehmend auch als Kuratorin arbeitet, führte die Liste an.
Jetzt ist die in London lebende Tochter des Herrschers auf Platz drei gerückt. Ihr vorgereiht ist Sheikha al-Mayassa bint Hamad bin Khalifa al-Thani. Al-Mayassa ist die Schwester des Herrschers von Katar und bekleidet die offizielle Rolle „protector of culture“. Seit Jahren verwandelt sie Doha konsequent in eine kulturell höchst spannende Destination mit Museen, einer Designbiennale und einer 2026 geplanten Quadriennale. Beide Frauen kommen aus autoritär geführten Erbmonarchien und verfügen über stattliche Budgets für ihre Aktivitäten. Damit bauen sie eine kulturelle Infrastruktur in ihren Ländern auf, wie es sich kein westliches Länder mehr leisten kann.
Die größte Überraschung ist der erste Listenplatz: Ibrahim Mahama. Auch er schafft eine neue künstlerische Infrastruktur in seinem Heimatland. Bekannt ist der 1987 in Ghana geborene Künstler für seine monumentalen Installationen mit gebrauchten Kakao- und Kaffeesäcken. In seiner großen Personale in der Kunsthalle Wien hat er heuer eine ausrangierte Diesellokomotive gezeigt, aufgestellt auf gebrauchten Emailleschüsseln aus seiner Heimat – beides Elemente, mit denen er von der Geschichte seines Landes erzählt. Seine Werke erzielen bis zu 100.000 Euro in Galerien. Seinen Anteil davon investiert er seit 2019 in das Savannah Centre for Contemporary Art in Tamale, zu dem ein Studio- und Atelierkomplex sowie die Institution Nkrumah Volini gehören.
Einblick in die Ausstellung von Ibrahim Muhama in der Kunsthalle Wien. Markus Woergoetter
Mahama ist nicht der erste Afrikaner unter den Power 100. Aber der erste auf dem Spitzenplatz. Auf Platz vier folgt ihm der ägyptische, sich ebenfalls lokal engagierende Wael Shawky. 1971 in Alexandria geboren, gründete Shawky dort 2010 das Non-profit-Zentrum Mass zur Künstler-Förderung. Voriges Jahr gehörte sein Video-Drama über einen ägyptischen General zu den Höhepunkten der Biennale Venedig und vor wenigen Wochen wurde er zum Kurator für die kommende erste Art Basel Katar berufen. Mit Mahama und Shawky wird weniger dem Kunstmarkt gehuldigt als Aspekte wie Gemeinschaftsbildung, Infrastrukturaufbau und lokales Engagement gewürdigt.
Noch eine weitere Veränderung ist ablesbar: Unter den ersten 16 Nennungen sind auffallend viele schwarze Künstler, etwa die in Europa wenig bekannte Malerin Amy Sherald (Platz sechs), die 2018 ein Portrait von Michelle Obama malte. Erstaunlich weit unten ist Marina Abramović (Platz 28), deren Ausstellung gerade in der Albertina Modern einmal mehr beweist, wie wegweisend sie für die Performancekunst war und ist.
Die Galeristen sind weit abgerutscht, hinter den saudischen Kulturminister Badr bin Abdullah al-Saud (Platz 21) oder die indische Künstlergruppe CAMP (Platz 51). Erfreulich sind die vielen Förderinnen, die Schweizer Hoffmann-La-Roche-Erbin Maja Hoffmann (Platz 17), die im französischen Arles das Kunstzentrum Luma finanziert, oder die italienische Industrielle Patrizia Sandretto Re Rebaudengo (Platz 36), die in Turin eine Ausstellungshalle betreibt.
Aber es finden sich nicht nur finanzkräftige Damen, auch global agierende Kuratorinnen wie Diana Campbell, die gerade eine grandiose erste Biennale in Buchara, Usbekistan, verantwortet hat, oder Antonia Carver, die seit 2016 das Jameel Art Center in Dubai leitet. Den letzten Platz belegt die einstige Britpop-Queen Tracey Emin – komplett verabschieden will sich diese Liste wohl doch noch nicht vom Kunsthandel.
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