
AUDIO: Bildschöne Bücher: „Anton Corbijn“ (4 Min)
Stand: 14.12.2025 12:23 Uhr
Anton Corbijn gilt als einer der wichtigsten Porträt-Fotografen im Pop- und Rock-Business. Davon zeugt ein monumentaler Bildband aus dem Belser Verlag: eine vom Fotografen selbst zusammengestellte Werkschau.
„Was für ein arrogantes – Genie!“ möchte ich ausrufen beim Anblick dieses Fotos. Elvis Costello quer hingefläzt auf einem Bettsofa, in dunklem Anzug und Krawatte, spöttischer Blick durch die schwarzgerahmte Nerdbrille, eine Fender E-Gitarre liegt auf seiner schmächtigen Brust wie eine Waffe – oder ein Schutzschild gegen den sehr aufdringlichen Fotografen. Der beugt sich nämlich halb über sein Objekt für diese Aufnahme des Jungstars im Jahr, als dessen Debütalbum erschien. Dazu ruht ein VOX-Gitarrenverstärker auf dem Kopfkissen, der bunt bedruckte Gardinenvorhang limitiert den Platz auf dem ohnehin schon schmalen Bett noch mehr. Doch was soll’s, scheint die Aufnahme zu sagen, Hauptsache zappeliger 70er-Rock’n’Roll!
Costello war damals knapp 23, Corbijn ein Jahr jünger; zwei Jungspunde, die den Rock&Pop-Olymp erklimmen wollten, und denen das auch bald gelang. Wobei Costello das Stil-Chamäleon wurde, Corbijn dagegen der deutlich kommerziellere Pop-Gott: ein äußerst freundschaftsbegabter Fotograf, der für diese Freunde – wie vor allem U2 und Depeche Mode – Auftragsarbeiten erledigt, indem er Bands und Solisten auf Plattencovern und in Musikmagazinen toll aussehen lässt. Oder, positiv ausgedrückt: ein Bildkünstler, der den Musikern in unserer Augenwelt die nötige Aufmerksamkeit verschafft.
Zwischen Kunstanspruch und Kommerzauftrag
Man kann es so oder so sehen: Kommerz oder Kunst. Um diese beiden Pole kreist Corbijns Bildwerk. Und dieser Band beweist es. „Generell finde ich es schwierig, über mein eigenes Werk zu sprechen“, schreibt Corbijn selbst. „Manche meiner Bilder frustrieren mich, von manchen bin ich total begeistert.“ Was soll ich sagen als Rezensent: Mir geht es genau so.
Ausdrucksstark: Sex-Pistols-Sänger John Lydon alias Johnny Rotten mit Kippen und Bierflasche in irgendeinem Hausflur, teppichbespannte Treppe, Nikotinschwaden vor der Punk-Visage – ein Mix aus Coolness und Prekariat.
Oder Annie Lennox auf akkurat gemähtem Rasenhügel; Rundbrille, Kurzhaarschnitt und vor allem dieser Hey-Lust-über-Shelley-zu-debattieren?-Blick der Literaturdozentin: eine Mischung aus Intelligenz und Sex-Appeal.
Dagegen steht leider die Industrieware des Pop: Aufnahmen von The Police, Depeche Mode, Coldplay – alle Personen sorgsam aufgestellt, die Frisuren sitzen. Der Fotograf ist definitiv ein Könner – aber ist er auch ein Künstler?
Faszination trifft Ernüchterung
Johan Faes schreibt in dem langen Vorwort: „Corbijns Definition eines gelungenen Fotos umfasst drei Punkte. Erstens: Es muss etwas über die Person aussagen, die man fotografiert. Zweitens: Es muss etwas über einen selbst aussagen. Und drittens: Es darf noch nie auf diese Weise gezeigt worden sein. Die prozentuale Verteilung ist egal, aber diese drei Dinge sollte man ankreuzen können.“
Blöd nur: Nach diesen Kriterien fallen zahlreiche Aufnahmen dieses Bandes durch. Cool herumstehende Jungs und makellos schöne Fotomodels, die sich mühen, geheimnisvoll zu gucken; all das kannte die Welt bereits vor dem schüchternen Holländer mit der Kamera. Und doch nimmt er sie in diesen hochpreisigen, 560-Seiten-starken Bildband mit auf – warum bloß? Weil sie Stars zeigen, und die Leute nun einmal Stars sehen wollen? Oder weil das Buch eine Werk-Retrospektive ist, in der auch massentaugliche Standardware nicht verschwiegen wird? Kommerz und Kunst. Beides dauerhaft umkreist von einem Fotografen, der dabei selbst zum Star wurde.
Und dann, nach einiger Frustration, blättere ich weiter – und bin wieder begeistert: Fantastisch das Porträt von David Gilmour aus dem vorigen Jahr! Ein älterer Kopf wie eine Skulptur; markant, zerfurcht, grau-weiß aus dem schwarzen Hintergrund herausragend. Herausragend!

Anton Corbijn
von Anton Corbijn, Marlene Dumas, Samantha Morton, Tom Waits
- Seitenzahl:
- 560 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Verlag:
- Prestel
- ISBN:
- 978-94-6494-160-9
- Preis:
- 145 €