Das Publikum der Ausstellung „Hier“ von Andrzej Steinbach in der Kunsthalle Erfurt wird von einer Serie großformatiger Schwarz-Weiß-Fotografien empfangen. Darauf immer dieselbe, schlanke Gestalt, in einem weitgehend nüchternen Raum. Nur die Kleidung variiert, und das Modell des Fotoapparates in ihrer Hand. Auf einem der Bilder kniet sie in schwarzer Montur und mit kugelsicherer Weste hinter einer Art Kiste, die Kamera erhoben und bereit, im richtigen Moment auf den Auslöser zu drücken.

„Das ist vielleicht auf einer Demo oder das ist vielleicht ein Krisengebiet oder so“, erläutert Andrzej Steinbach. Reale Gefahr droht der Figur auf dem Bild keine. Denn Steinbach hat die Fotos sorgfältig im Studio inszeniert. Wie in einer Versuchsanordnung spielt er mögliche Situationen aus dem Arbeitsalltag eines Fotografen durch.

Fotos über das Fotografieren

„Sobald man das aber alles wegnimmt – das Krisengebiet, die Demo – können wir auf einmal anfangen, selber diese Figur zu studieren. Uns überlegen, wie sieht eigentlich so ein Körper aus?“, beschreibt Steinbach seine künstlerische Intention. „Apparat“ heißt die Serie ebenso nüchtern und prägnant, wie die Bilder selbst. Für Steinbach, der Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig studierte, ist der Titel aufgeladen mit Bedeutung.

So sei damit nicht nur der Fotoapparat gemeint: „Auch der Bewegungsapparat, also der Körper. Und der gesellschaftliche Apparat, in dem das alles passiert. Also wir haben den Körper, wir haben den Kontext und wir haben das Gerät selbst“, fasst Steinbach zusammen.

Ausstellung in Erfurt bietet Überblick

Mit der Ausstellung „Hier“ zeigt die Kunsthalle Erfurt Fotoserien, Video- und Soundarbeiten von Andrzej Steinbach aus den vergangenen zehn Jahren, inhaltlich verbunden durch ihren konzeptuellen Ansatz. Gegenstände, Machtverhältnisse, Konstellationen menschlicher Körper – in nahezu allen seinen Arbeiten schält Steinbach seine Motive aus ihrer Umgebung heraus, setzt sie in ein sachliches Interieur und verleiht ihnen damit etwas Beispielhaftes. Prototypen nennt es der Künstler.

Wir gehen mal schön in dieses schäbige, alte Labor und da gucken wir uns das an, wie das so aussieht in dieser eigenartigen Welt.

Andrzej Steinbach, Fotokünstler

Für Steinbach symbolisieren sie die verheißungsvollen Möglichkeiten des Vorläufigen: „Mir gefällt der Ausdruck, weil er bedeutet, Dinge ausprobieren zu können, die noch nicht funktionieren müssen“, erläutert der Fotograf. Seine Serien entstehen nach langwieriger Planung und einer genau ausgearbeiteten Partitur, bei der Variation und Wiederholung wichtige Stilmittel darstellen. In der realen Welt vor der Studiotür trifft man Steinbach mit der Kamera stattdessen eher nicht. „Das klingt vielleicht ein bisschen feige“, schmunzelt der Fotograf. „Aber das ist wirklich eher so gedacht: Wir gehen mal schön in dieses schäbige, alte Labor, was so wie ein Büro ist oder so, und da gucken wir uns das an, wie das so aussieht in dieser eigenartigen Welt.“

Was den Künstler Andrzej Steinbach prägte

Wie ein Naturforscher ist Andrzej Steinbach auch in seiner Fotoserie „Autoerotik“ vorgegangen. Alltägliche Werkzeuge hat er praktisch unter die Lupe genommen und in Bilder von großer formaler Strenge übersetzt. In ihnen finden sich Anspielungen an künstlerische Vorbilder: Die russischen Avantgardisten, namentlich Alexander Rodtschenko, haben Steinbach ebenso beeinflusst, wie August Sander oder der Bauhaus-Fotograf László Moholy-Nagy.

Mit der Serie sei er einer „Bildpsychologie der Erotik“ auf der Spur gewesen, erklärt Steinbach. Angeregt durch eine Kindheitserinnerung des Philosophen Walter Benjamin, der das blinde Ertasten von Wollsocken in einem Schrank als eine Art frühen sinnlichen Erkenntnisgewinn beschrieb. „Ich glaube, das ist der Moment der allen Menschen innewohnt, dass wir eigentlich immer dazu geneigt sind, den Dingen näher kommen zu wollen und zu durchdringen“, formuliert es Steinbach. „Was auch etwas Erotisches ist. Etwas, was ich komplett nachvollziehen kann“, fügt er hinzu.

Für den in einem Arbeiterhaushalt aufgewachsene Fotografen übernehmen Schraubzwingen, Schraubenschlüssel und Bohrer diese Aufgabe. So setzen seine Fotografien in ihrer schlichten Schönheit auch einer langsam im Verschwinden begriffenen Arbeitswelt ein Denkmal.