Wie ehrlich diese Figuren trauern, das fragt sich das Publikum ab Szene eins. Kälte und Kerzenschein, Leuchtkreuze und Bühnennebel im Altarraum: In der Barfüßerkirche proben drei Gestalten in Renaissance-Kleidern ihre Trauerreden. Der Verstorbene sei unter den Menschen „der talentierteste, der klügste und innovativste seiner Zeit“ gewesen, ein „Finanzgenie“. Nur ist der Mann noch gar nicht tot. Jakob Fugger ist nur schwer krank. Der Augsburger Kaufmann ist zur Spielzeit des Stücks der reichste Mann der Erde – und womöglich vergiftet worden. Sein Gesinde munkelt: Wer war‘s? Wer könnte Fuggers Tod ausnützen?
Im Tatort „Walsturz“ läuft das Publikum durch die Fuggerei
Fuggers Koch und sein Amtsschreiber, Fuggers Nichte und seine Leibwächterin, sie sind die Hauptfiguren in diesem Spiel. Ihrer Spur folgt der Krimi. Denn weiter geht‘s in die Fuggerei. Wer dem Tross folgen soll? „Alle!“, ruft Fuggers Nichte, dass es hallt und starrt eiskalt ins Publikum. Und circa 80 Zuschauer folgen ihr aufs Wort auf den Weg. So beginnt der neue Tatort des Staatstheaters Augsburg – ein Erfolgsformat an überraschenden Spielorten, mitten in der Stadt. Diesmal inszeniert David Ortmann ein Schauspiel, das Geschichtsstunde, Stadtführung und Modenschau ist – aber vor allem hintersinnig-philosophisches Theater.
Das Stück ist ein fiktiver Krimi nach einer mutmaßlichen Begebenheit: Im Jahr 1517 besuchten Jakob Fugger den neuen Bischof von Dillingen. Doch, zurück in Augsburg, soll er sich elend gefühlt haben. Wie … vergiftet? Nichts ist historisch belegt, und in diese Lücke zwischen den Fakten grätscht das Stück. Manche reale historischen Figuren – von deren Beziehung zu Fugger man hier viel, ja sehr viel erfährt – geraten unter fiktiven Verdacht. War es der Bischof, der die Macht will? Eine Figur wie ein James-Bond-Fiesling, gespielt von Michael Schrodt. Oder linst Fuggers Nichte nach dem Erbe? Herrlich herrisch, in Perlenkette: Katja Sieder. Und da ist Theo, der Schreiber, den Kai Windhövel spielt – Typ schlagfertiges Schlitzohr, auch im Smalltalk mit dem Publikum. Oder hat der Koch das Mahl vergiftet? Eine wunderbar aufgekratzte Erscheinung in Pastellfarben-Kluft: Jannis Roth.
Natalie Baudy hat den Augsburger Staatstheater-Tatort geschrieben
So schleichen sie durch die Gassen der Fuggerei, 1521 hat Jakob Fugger diese Siedlung gegründet. Die Zuschauer spazieren vorbei an einer Balkonszene. Bis hinein in die Hallen der Fuggerschen Stiftungen. Bis zu einer gedeckten Tafel, an der alles eskaliert und sich auflöst, wie wenn ein Agatha-Christie-Krimi endet. Natalie Baudy, geboren 1990 in der Nähe von Augsburg, hat das kluge, ausgefuchste Stück geschrieben. Sie verstrickt Themen: Macht, Adel und Klerus, Gerechtigkeit, Reichtum und revolutionäre Gegengedanken. Dabei imitiert sie den feinen Stil einer vergangenen Sprache – aber streut immer wieder Späße ein.
Ein Fest der Kostüme (Janine Dollmann) ist der Tatort obendrein: Zuschauer halten die Luft an beim Auftritt des Bischofs, der im wehenden, roten Lederrock durch die Fuggerei-Wege schreitet, wie ein Fashion-Statement. Geharnischt dagegen Fuggers Leibwächterin, mit einer Handtasche, aus der Morgenstern-Stacheln spitzeln (mit viel Witz in der Körpersprache: Elif Esmen). Perlen, Rüschen, Puffärmel, eine tolle Schau fürs Auge.
Alles dreht sich um Jakob Fuggers Reichtum in „Walsturz“
Der Stücktitel „Walsturz“ spielt auf ein Phänomen an: Stirbt ein großer, üppiger Wal im Meer, dann blüht die Natur um sein Kadaver auf. Fische essen sich satt an seinem Fleisch. Korallen wachsen aus den Knochen. Neues Leben. Und wenn man als kleiner Fisch nur ein bisschen abknapst vom mehr als satten, lebenden Wal? Wäre das Sünde? Oder nur fair? Über das Gleichnis vom Wal spekuliert das Gesinde – natürlich ohne jeden Bezug zur Realität. Zwinker. Dieser Tatort ist auch eine kleine Provokation, weil er fragt: Was darf Reichtum? Was die Revolution?
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Veronika Lintner
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Jakob Fugger
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