Das Dublin-Zentrum in Hamburg ist ein bundesweites Pilotprojekt. Es soll Rückführungen vor allem von alleinreisenden Männern ermöglichen – und zwar in die Staaten, die eigentlich für ihren Asylantrag zuständig sind.
Jeder Winkel dieses Komplexes strahlt monotone Nüchternheit aus: die Mehrbettzimmer, der große Aufenthaltsraum, die langen Flure. Wer hier lebt, der soll sich auch gar nicht erst einrichten oder gar wohlfühlen. Er ist gekommen, um so schnell wie möglich wieder zu gehen.
300 Schlafplätze gibt es, doch gerade einmal 20 Männer haben Hamburgs sogenanntes Dublin-Zentrum bisher als Abschiebe-Kandidaten von innen gesehen. Sechs von ihnen wurden bereits abgeschoben. 14 warten darauf. Das sind die jüngsten Zahlen aus der Innenbehörde. Vor knapp einem Monat, Mitte März, wurde das Zentrum eröffnet, dessen Innenleben entfernt an das eines Gefängnisses erinnert, auch wenn es keines ist, auch keine geschlossene Einrichtung im juristischen Sinne. Die hier Untergebrachten sind zwar mit einer sogenannten Wohnsitzauflage belegt, dürfen Hamburg nicht verlassen – das Zentrum aber schon.
Was hier, in einer Gewerbehalle am Bargkoppelstieg, im Rahlstedter Ortsteil Meiendorf, umgesetzt wird, ist ein bundesweites Pilotprojekt. Eines mit Strahlkraft, hoffen Bund und Länder. Eines, das die Menschenwürde mit Füßen tritt und verfassungswidrig ist, kritisieren linke Oppositionspolitiker.
Das Dublin-Zentrum soll für eine schnellere Rückführung von Asylsuchenden sorgen. Nicht in deren Heimatländer, sondern in jene Staaten, in denen sie zuerst registriert wurden, als sie in die Europäische Union kamen. Dort also, wo sie laut Dublin-Verordnung eigentlich ihren Asylantrag hätten stellen müssen, was in den seltensten Fällen funktioniert. Dublin-Zentren sind ein Teil jener Antwort, die auf den Ruf nach verschärften Migrationsregeln nach den Anschlägen in Solingen und Aschaffenburg folgte.
„Zu früh, um wirklich Bilanz zu ziehen“
„Es ist eines unserer größten Probleme, dass die Verteilung der Geflüchteten innerhalb Europas und die Überstellung mit dem EU-Mitgliedstaat, der für das Verfahren zuständig ist, nicht gut funktioniert“, sagt Innensenator Andy Grote (SPD). Er zeigt sich verhalten optimistisch über den Start: „Das Pilotprojekt läuft jetzt erst wenige Wochen, daher ist es noch etwas früh, um wirklich eine Bilanz ziehen zu können.“ Ziel sei es, diese Zahl sukzessive zu steigern, es geht vor allem um alleinreisende Männer.
Abschiebeanfragen an andere EU-Staaten laufen dabei weiterhin über das BAMF, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Grote sagt, dass einige Abläufe und Vereinbarungen mit dem Bundesamt bereits gut funktionierten, anderes müsse sich noch einspielen, um die Erfolgsquote weiter zu verbessern. Er verweist dabei auf den bisherigen Erfolg Hamburgs im vergangenen Jahr: „Da lagen wir immerhin bei gut 31 Prozent, während bundesweit gerade mal 13 Prozent aller Rücküberstellungen erfolgreich waren.“ Und bei den Dublin-Rücküberstellungen sei kein anderes Bundesland „so konsequent und erfolgreich“.
Hamburg hatte sich aktiv für den Betrieb des Zentrums entschieden. „Wir waren einfach nur schnell und wollten die Chance nutzen, Dublin-Verfahren schneller und effizienter zu machen“, erklärt Grote. Ein weiteres Zentrum gibt es im brandenburgischen Eisenhüttenstadt. Während das Hamburger Zentrum für alle Fälle aus Hamburg zuständig ist, sollen in Eisenhüttenstadt alle Asylsuchenden zentral untergebracht werden, die aus Polen über die Grenze nach Deutschland gekommen sind.
Noch mehr Zentren, etwa für Frauen oder Familien, sind laut Innenbehörde aktuell nicht geplant. „Zunächst werden im Rahmen des laufenden Pilot-Verfahrens nur alleinreisende Männer im Dublin-Zentrum versorgt, für die keine besonderen Unterbringungsbedarfe ersichtlich sind“, heißt es aus der Behörde. Auch über den dauerhaften Standort des Zentrums sei noch nicht entschieden. Erst einmal sollen Erfahrungen gesammelt werden.
Parallel dazu verzeichnet Hamburg seit Monaten rückläufige Zugangszahlen von Geflüchteten und Asylsuchenden – ein Trend, der sich fortsetzen könnte. „Die gemeinsamen Anstrengungen in Bund und Ländern haben zuletzt spürbar Wirkung gezeigt“, sagt Grote. 2024 sei ein spürbarer Rückgang bei den Zugangszahlen erreicht worden, „der sich auch in den ersten Monaten dieses Jahres fortsetzt“. Die Zugangszahlen zu Jahresbeginn seien so niedrig wie seit Beginn des Ukraine-Krieges nicht mehr. Eine Entlastung im Unterbringungssystem sei bereits spürbar, wenngleich die Situation in der Ukraine ein Unsicherheitsfaktor bleibe.
„Gegenüber dem Vergleichszeitraum Januar bis März 2024 sind im Jahr 2025 die Registrierungen um 31 Prozent, der Verbleib in Hamburg um 20 Prozent und der Unterbringungsbedarf um 19 Prozent gesunken“, heißt es präzisierend aus der Hamburger Sozialbehörde. Während bundesweit aktuell vor allem Menschen aus Syrien nach Deutschland kommen, um hier einen Asylantrag zu stellen – nahezu jeder dritte Betroffene stammt aus dem Land – kommen die meisten neu in Hamburg aufzunehmenden Geflüchteten aus Afghanistan. Sie machen in der Hansestadt im Jahr 2025 bisher etwa 26 Prozent der Asylsuchenden aus. Dahinter folgen Ghanaer mit neun Prozent und Türken mit 8,5 Prozent.
Bisher geht man in der zur Sozialbehörde gehörenden Stabsstelle Flüchtlinge davon aus, dass man bis Ende des Jahres etwa 14.000 Menschen neu in Hamburg unterbringen muss. Die Prognose beruht auf den Zugangszahlen des Jahres 2024, eine neue Prognose wird es Mitte Mai geben. Dann werden die Zahlen wohl nach unten korrigiert. Aber Behördensprecher Wolfgang Arnhold schränkt ein: „Aufgrund der unverminderten Kriegshandlungen in der Ukraine und anderer weltweiter Krisenlagen werden sich Zugänge sowie die Unterbringungsbedarfe absehbar fortsetzen, insbesondere im Vergleich zu den Jahren vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine.“
Mehr als 95 Prozent der Plätze belegt
Derzeit leben knapp 46.000 Menschen in den öffentlichen Unterkünften der Stadt, Ankunftszentren eingerechnet. Damit sind mehr als 95 Prozent der Plätze belegt. „Eine der großen Herausforderung ist, dass auch immer wieder wegfallende Plätze kompensiert werden müssen“, erklärt Arnhold. Im Jahr 2024 seien 28 Standorte mit rund 4600 Plätzen geschlossen und in sechs Wohnstätten Platzkapazitäten von zusammen rund 150 Plätze reduziert worden.
Eine der Unterkünfte, die im vergangenen Jahr geschlossen werden mussten, lag an der Notkestraße 25 in Bahrenfeld. Platz war dort für knapp 600 Menschen. Im August vergangenen Jahres zogen die letzten Bewohner aus. Auf dem Gelände errichtet die Universität ein neues Forschungsgebäude mit dem Kurznamen Hafun.
Die Unterkunft an der Notkestraße war 2015 geplant und 2016 eröffnet worden. Es war die Zeit der großen Flüchtlingsankünfte, die Zahl der Schutzsuchenden stieg sprunghaft. Damals mussten viele neue Unterkünfte entstehen. Das Areal zwischen DESY und Trabrennbahn war da bereits verplant, der Baubeginn jedoch in weiter Ferne. Die Sozialbehörde griff zu und sicherte sich das Grundstück für fünf bis sieben Jahre. Am Ende wurden acht daraus.
Ähnlich klingt die Geschichte der Flüchtlingsunterkunft an der Sophienterrasse. Geplant wurde der Umbau des ehemaligen Kreiswehrersatzamtes seit 2014. Als Flüchtlinge in großer Zahl kamen, konnte die Stadt trotz zahlreicher Proteste auf keinen Fall mehr auf das für rund 200 Menschen ausgelegte Heim verzichten.
Am Ende eines Streits vor Gericht einigte sie sich in einem Vergleich mit den klagenden Anwohnern. Bis September 2024 waren 190 Bewohnerinnen und Bewohner gestattet. Das endgültige Aus für die Unterkunft wurde dann aber noch mal um neun Monate nach hinten verschoben. Am 30. Juni schließt die Unterkunft im Stadtteil Harvestehude endgültig. Familien mit schulpflichtigen Kindern können bis zu Beginn der Sommerferien in der Unterkunft verbleiben.
Bis dahin werden auch drei weitere Unterkünfte geschlossen, die größte das frühere AWO-Haus Billetal mit 355 Plätzen. Eröffnet oder erweitert werden bis zum Sommer lediglich zwei neue Einrichtungen. An der Stiftstraße 50 in St. Georg stehen seit dieser Woche 190 Plätze zur Verfügung, in Rahlstedt wird die Unterkunft an der Stapelfelder Straße um Zelte erweitert. Statt 40 können dann in Notsituationen bis zu 70 Asylsuchende dort untergebracht werden. Im Herbst dann schließlich soll auch die Unterkunft am Loki-Schmidt-Garten eröffnen. Auch gegen diese hatte es Proteste gegeben. Mittlerweile laufen dort die Bauarbeiten.
Stadt setzt auf steigende Rückführungszahlen
Während die Stadt hofft, dass der Zustrom weiter sinkt, setzt sie auch auf steigende Rückführungszahlen. Der Blick in die Statistik zeigt einen Anstieg auf: 976 Rückführungen gab es 2022, 1479 im Jahr 2023, 1746 im Jahr 2024 und 492 im ersten Quartal 2025. Rückführungen nach Syrien finden weiterhin nicht statt, nach Afghanistan gab es einen bundesweiten Abschiebeflug – allerdings ohne Beteiligung Hamburgs. Hinzu kommen die Rückführungen aus dem Dublin-Zentrum.
Das aber beschäftigt bereits die Justiz. Hintergrund ist, dass die dort Aufgenommenen keine regulären Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) erhalten. Ihnen stehen nur Überbrückungsleistungen zu, darunter ein Einmalbetrag über 8,85 Euro. Schließlich sollen sie nach zwei Wochen zurückgeführt werden.
Das jedoch funktioniert laut Carola Ensslen, fluchtpolitische Sprecherin der Hamburger Linken-Fraktion, nur eingeschränkt. Mindestens sieben der Insassen warteten bereits länger als zwei Wochen auf ihre Rückführung, wie aus der Antwort auf eine Senatsanfrage hervorgehe. Auch deshalb habe das Sozialgericht in drei Fällen entschieden, dass die regulären Leistungen weiterzuzahlen seien. Ensslen fordert eine Schließung des Dublin-Zentrums, aber das wird Grote kaum veranlassen.
Denis Fengler arbeitet als Redakteur in der Hamburger Redaktion von WELT und WELT AM SONNTAG. Er berichtet über Themen der inneren Sicherheit und spannende Kriminalfälle. Redakteurin Julia Witte genannt Vedder arbeitet ebenfalls in der Hamburg-Redaktion von WELT und WELT AM SONNTAG. Seit 2011 berichtet sie über Hamburger Politik.