„Trop, c’est trop“ („Genug ist genug“) – unter diesem Motto begehren seit Wochen Unternehmensvertreter aus ganz Frankreich gegen ausbleibende Reformen, wachsende Vorschriften und steigende Steuern auf. Die Bewegung nahm ihren Ausgang in einem offenen Brief in der Zeitschrift „L’Express“. Anfangs 300, haben ihn inzwischen mehr als 2000 Unternehmer und Führungskräfte aus der mittelständischen Wirtschaft unterzeichnet. „Wir haben durchgehalten, oft schweigend, aber die Alarmschwelle ist überschritten“, heißt es in dem Brief unmissverständlich. Das Pro-Kopf-Vermögen sinke, während sich die öffentlichen Dienstleistungen trotz Rekordausgaben verschlechterten.
„Bevor wir das Land mit immer mehr Steuern ersticken, sollten wir die öffentlichen Ausgaben effizienter gestalten“, schreiben die Mittelständler. Frankreich werde sein Sozialmodell nicht bewahren können, wenn es weiter die treibenden Kräfte schwäche, die es finanzieren. Das trifft den Nerv großer Teile der Wirtschaft. Seit der Parlamentsauflösung im Sommer 2024 wächst der Frust über die Politik beständig.
Vor allem Mittelständler in ländlichen Regionen treibt er immer stärker in die Arme der Rechtspopulisten – oder gar weg aus Frankreich. „Die Verlockung des Exils“, titelte die Zeitung „Le Parisien“ am Freitag auf Seite eins. Müde von der politischen Instabilität und enttäuscht von den jüngsten Haushaltsentscheidungen erwögen immer mehr Unternehmer, ins Ausland zu ziehen.
Investitionspläne stammen aus den Vorjahren
Die Unternehmen seien „machtlose Zuschauer der Haushaltsdebatten, in denen Steuererhöhungen im Vordergrund stehen“, fasste auch „Le Figaro“ die schlechte Stimmung vor wenigen Tagen zusammen. Im Mittelstand seien in den vergangenen Quartalen netto entweder nur wenige Stellen geschaffen oder Stellen abgebaut worden, nachdem es zuvor jahrelang rund 50.000 im Jahr waren, zitierte die Zeitung den Arbeitgeberverband Meti. So etwas habe es seit 2008 nicht mehr gegeben.
Die gesamtwirtschaftliche Lage mag weiter solide sein. Notenbankgouverneur François Villeroy de Galhau kündigte an, die Wachstumsprognose von bislang 0,7 Prozent in diesem und 0,9 Prozent im kommenden Jahr gar leicht nach oben zu korrigieren. Die Stimmung im Mittelstand ist jedoch eine andere. Die Lohnkosten stiegen, die Liquiditätslage verschlechtere sich, so Meti. Wenn die Investitionen der Unternehmen heute noch stabil seien, dann nur, weil derzeit umgesetzt werde, was in den Jahren 2022, 2023 oder 2024 beschlossen wurde.
Kompromisse nötig
Am Mittwoch kommen Vertreter der „Trop, c’est trop“-Bewegung in Paris auf einer Veranstaltung zusammen. Auch wenn noch unklar ist, welche Wucht sie zu entfalten vermag, nimmt man sie auf Regierungsseite ernst. Neben Patrick Martin, dem Chef des größten Arbeitgeberverbands Medef, hat deshalb auch Finanz- und Wirtschaftsminister Roland Lescure seine Teilnahme an der Veranstaltung angekündigt. Premierminister Sébastien Lecornu wiederum bemühte sich vor einigen Tagen mit einem vierseitigen Schreiben darum, die Gemüter zu beruhigen. Er betonte, dass die Haushaltspläne auch nicht seinen Überzeugungen entsprächen. Die fragilen Mehrheitsverhältnisse im Parlament erforderten aber nun mal Kompromisse.
Tatsächlich trägt der am Dienstag von der Nationalversammlung verabschiedete Sozialversicherungshaushalt erkennbar die Handschrift der Sozialisten. Sie verlangten dem Präsidentenlager nicht nur die Aussetzung der Rentenreform, sondern auch den Verzicht auf milliardenschwere Ausgabenkürzungen ab. Im Tauziehen um den Staatshaushalt für 2026 droht sich das Spiel nun zu wiederholen.
Statt um substanzielle Ausgabenkürzungen fokussiert sich die Debatte auf höhere Abgaben für Großunternehmen und Vermögende. Entlastungen wie die versprochene Senkung der gewinnunabhängigen Produktionssteuer – Mittelständlern schon seit Jahren ein Dorn im Auge – sind dem Vernehmen nach vom Tisch. Spätestens am 23. Dezember muss der Haushaltsentwurf von der Nationalversammlung verabschiedet werden.
Ziele für das Defizit werden aufgeweicht
Gelingt das nicht, könnte zwar wie vor einem Jahr der laufende Haushalt mit einem Sondergesetz fortgeschrieben werden. Die Debatte würde damit aber nur ins kommende Jahr vertagt. Wichtige Vorhaben wie etwa die Erhöhung des Wehretats lägen zudem auf Eis, und an anderer Stelle gäbe es vorerst keine Einsparungen. Dabei hat schon der Sozialhaushalt in seiner finalen Version die Schuldenziele in weite Ferne rücken lassen.
Nach 5,4 Prozent in diesem Jahr hatte Paris das staatliche Gesamtdefizit kommendes Jahr ursprünglich auf 4,6 Prozent der Wirtschaftsleistung zurückzuführen versprochen. Das gilt als wichtige Etappe auf dem Weg in Richtung drei Prozent im Jahr 2029. Doch schon der erste Haushaltsentwurf der Regierung sprach nur noch von 4,7 Prozent, und inzwischen lautet ihr Ziel nur noch „unter fünf Prozent“.
Für die Anleihemärkte war zuletzt nach allgemeiner Lesart die relative politische Stabilisierung wichtiger als Frankreichs kaum verbesserte Finanzlage. Doch Ökonomen warnen vor den langfristigen Risiken. „Die Verringerung der politischen Unsicherheit hat ihren Preis: eine unzureichende Reduzierung der Staatsausgaben“, so die Volkswirte der Allianz. Noch besorgter zeigten sich in einem viel beachteten Beitrag in der Zeitung „Les Echos“ Ökonomen um den Berkeley-Professor Antoine Lévy. „Dieser Haushalt ist zweifellos der gerontokratischste, den wir in den letzten Jahren gesehen haben“, schrieben sie. Um die „französische Vorliebe für den Ruhestand“ zu finanzieren, blieben Sozialausgaben unangetastet, während Investitionen etwa in Bildung, Hochschulen und Forschung gekürzt würden. „Wir opfern die Zukunft und die Produktivität den Launen der Gegenwart“, so die Anklage der Ökonomen.