Wenn sich Wolodymyr Selenskyj in Berlin mit Friedrich Merz, europäischen Staatenlenkern, dem US-Sondergesandten und Donald Trumps Schwiegersohn trifft, dann mag dies nach hochrangiger Diplomatie aussehen. Doch was kann Diplomatie in einem Krieg bewirken, wenn der Aggressor unmissverständlich erklärt, an seinen Kriegszielen festhalten zu wollen? Und in Berlin auch nicht mit am Tisch sitzt.
Es gibt keine ernsthaften Signale aus dem Kreml, dass ein Wille zu einer Waffenruhe besteht; an einem Ende des Kriegs, der zehntausende Ukrainerinnen und Ukrainer das Leben gekostet hat. Russland simuliert Diplomatie, um einen Krieg weiterführen zu können, dessen Ziel die politische und militärische Unterwerfung der Ukraine bleibt. Putin will zu Bedingungen gewinnen, die sich seit Kriegsbeginn nicht verändert haben.
Während die Ukraine und der Westen bereit sind zu Kompromissen, gelang es Russland, ein mit den USA erarbeitetes Papier mit Maximalforderungen an die Öffentlichkeit zu bringen. Jeden Änderungsvorschlag der Europäer daran lehnt Putin bisher ab.

Laura Himmelreich ist stellvertretende Chefredakteurin des Tagesspiegels. Sie besorgt, wie sehr Putin auch in der öffentlichen Wahrnehmung teils noch immer unterschätzt wird.
Das Treffen in Berlin dient nun dreierlei: Selenskyj will sich die Unterstützung der Europäer sichern. In Richtung USA will er signalisieren, dass es nicht an ihm liegt, wenn der selbsternannte Friedensstifter Trump nicht seine nächste Waffenruhe bekommt. Denn er braucht die USA, um den Druck auf Putin zu erhöhen. Und Europa muss in Berlin Handlungsfähigkeit zeigen, um international nicht irrelevant zu erscheinen.
Merz weiß um den Ernst der Lage
Letzteres ist umso verständlicher, nachdem die US-Regierung per Nationaler Sicherheitsstrategie festgehalten hat, dass Europa aus ihrer Sicht ein sich im Niedergang befindender Kontinent ist. „Der Westen“ als Einheit existiert für die Trump-Regierung nicht mehr. Und mehr noch: Russland wird von den USA nicht mehr klar als zentrale Bedrohung benannt. In Berlin will Europa nun nicht zulassen, dass Russen und Amerikaner das Schicksal der Ukraine und damit eine neue Sicherheitsordnung ohne Europa verabreden.
Wir kennen Putin gut genug, um zu wissen, dass er nur jene respektiert, die Politik mit der gleichen Härte betreiben wie er selbst. Erst wenn die Kosten für Russland existenziell werden, wird er bereit zu ernsthaften Verhandlungen sein.
Laura Himmelreich
Merz wirkt, als sei ihm die Dramatik der Lage bewusst: „Putin hört nicht auf“, sagte er am Samstag. Es gehe ihm „um die grundlegende Veränderung der Grenzen in Europa“ und um eine Wiederherstellung der Sowjetunion in ihren früheren Grenzen.
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Nur, was folgt aus Merz‘ richtiger Analyse? Stand jetzt: noch nicht genug. Wir kennen Putin gut genug, um zu wissen, dass er nur jene respektiert, die Politik mit der gleichen Härte betreiben wie er selbst. Erst wenn die Kosten für Russland existenziell werden, wird er bereit zu ernsthaften Verhandlungen sein. Dafür müsste noch viel passieren.
Es braucht schärfere Sanktionen. Dazu gehört, Russlands Öltanker-Schattenflotte in der Ostsee systematisch zu kontrollieren und ihre Umgehung westlicher Preisdeckel zu unterbinden. Ebenso sollten die in Belgien eingefrorenen russischen Vermögenswerte klar und entschlossen zur Unterstützung der Ukraine genutzt werden. Ziel muss sein, die Kosten des Krieges so zu steigern, dass Stillstand für den Kreml teurer wird als Verhandlungen. Doch bisher ist Europa hier zu uneins und zu unentschlossen.
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Uneins ist Europa auch bei Waffenlieferungen. Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich erhöhten ihre Hilfen zwar deutlich, konnten aber nicht den Rückgang der Lieferungen aus anderen EU-Ländern kompensieren, geschweige denn den Rückgang der US-Hilfe. Setzt sich dieser Trend fort, könnte 2025 das Jahr mit den geringsten neuen Unterstützungsleistungen seit Beginn des Angriffskriegs werden.
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Putin wird nur verhandeln, wenn der Druck steigt – auch durch Waffen. Konkret bedeutet das: mehr Luftverteidigung und Munition. Dazu braucht es weitreichende Präzisionswaffen. Und für Deutschland heißt das: vor allem Taurus, damit die Ukraine russische Logistik, Depots und Kommandostrukturen hinter der Front treffen kann.
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„Wir leben nicht mehr allein im Frieden. Das muss uns klar sein“, sagte Merz am Samstag. Und das mag jetzt nicht die vorweihnachtliche Botschaft sein, die man gerne hört. Denn für Europa sind das riesige Lasten und Aufgaben.
Doch die neue US-Sicherheitsstrategie zeigt: Wenn wir die Dinge nicht selbst in die Hand nehmen, werden es die USA und Russland tun.