V or der Buchhandlung Lamartine im 16. Pariser Arrondissement stehen Fans und Neugierige am Mittwoch dieser Woche auf fast 300 Metern Länge Schlange. Rufe, wie „Nicolas, Nicolas!“ sind zu hören, als der Ex-Staatschef Nicolas Sarkozy eintrifft. Die Menge begrüßt ihn wie bei einer Wahlkampagne.

Die Menschen sind gekommen, um sich das neueste Werk des berühmten Autoren mit dem Titel „Tagebuch eines Häftlings“ signieren zu lassen. Dabei hat Sarkozy nach seiner Verurteilung zu fünf Jahren Haft wegen illegaler Wahlfinanzierung mit Geldern aus Libyen gerade einmal 20 Tage im Gefängnis verbracht.

Er habe seine Eindrücke in seiner Zelle mit Kugelschreiber niedergeschrieben und die Blätter via Anwalt seiner Sekretärin zukommen lassen, die alles „ins Reine“ geschrieben habe, erzählt Sarkozy in dem Buch. Es dürften die einträglichsten Tage hinter Gittern werden. Das Buch ist schon jetzt Nummer eins auf der französischen Bestsellerliste.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

„Wissen Sie, was ich machen werde, wenn ich nicht mehr Präsident sein werde? Geld und nochmals Geld!“, das hatte der „Blingbling-Präsident“ 2011 dem befreundeten Journalisten Franz-Olivier Giesbert verraten. Nach dem Ende seiner Präsidentschaft 2012 verdiente er gut – als Konferenzredner, privater Anwalt oder Berater in der Golfregion und Russland. Seinen Sinn fürs Geschäftliche hat sich Sarkozy bewahrt.

Spott und Häme gibt es auch

Die Memoiren betrachten jedoch nicht alle als Meisterwerk. Das Magazin Marianne spottet über „dieses Monument der Literatur“. Als „Albtraum“ schildert Sarkozy die Tage in seiner VIP-Einzelzelle mit zwei Leibwächtern in der Nachbarzelle. „Pathetisch“ findet das in Libération Sylvain Chazot: „Er jammert über die grauen Mauern im Gefängnis La Santé, die Dusche, den kleinen Sportsaal, die harte Matratze, den zu tief hängenden Spiegel und den Lärm anderer Gefangener.“ Chazot erinnert daran, dass Sarkozy als Innenminister härtere Haftbedingen gefordert hatte, und kommentiert: „Sarkozy entdeckt, dass das Gefängnis kein Club Med ist.“

Sarkozy aber scheut nicht den Vergleich mit Frankreichs berühmtestem Opfer eines Justizirrtums. Der jüdische Hauptmann Alfred Dreyfus war 1894 nach einer antisemitischen Verleumdung auf die Teufelsinsel verbannt worden. Schonungslos drückt Sarkozy auf die Tränendrüse. Er erzählt, er habe auf Knien betend seinen Glauben wiedergefunden und im Gefängnis „das Leben neu begonnen“. Vor allem in den Medien des rechtsextremen Magnaten Vincent Bolloré wird Sarkozys Buch deswegen gelobt.

Alle Rezensionen zitieren eine Passage, in der Sarkozy der Rechtspopulistin Marine Le Pen bei ihrem Anruf versprochen habe, sich bei den kommenden Wahlen öffentlich gegen die Brandmauer (in Frankreich „republikanische Front“) auszusprechen. Eine solche strategische Wende der Konservativen wäre „extrem gravierend“ für Frankreich, meint Sarkozys Nachfolger François Hollande auf RTL.

Stimmen aus der Leserschaft

Ganz vorne in der Schlange wartet der grauhaarige Gauthier (Name geändert), der mit seiner Tochter aus Angoulême angereist ist. „Wir schulden ihm das für alles, was er für Frankreich getan hat“, sagt er. Seine Tochter fügt an, sie sei „von Sarkozys menschlicher Seite und seinem Schicksal gerührt“.

Auch Corinne Marchand wartet. Sie arbeitet im Design. Ihr verstorbener Vater sei „leidenschaftlicher Anhänger von Sarkozy“ gewesen. Ihrer Mutter möchte sie das Buch mitbringen und ist der Ansicht, der Ex-Präsident sei „bestimmt Opfer einer Art Revanche“. Vor allem sei es absurd gewesen, ihn gleich einzusperren, weil er keine Bedrohung darstelle.

François ist Unternehmer, er war zu jung, um Sarkozy als Präsident erlebt zu haben, doch er habe alle seine Bücher gelesen. Was dessen Probleme mit der Justiz angeht, findet er: „Da kann jeder denken, was er will.“ Nach seinem Auftritt in Paris will Sarkozy auf Frankreichtour gehen: von Neuilly-sur-Seine über Cannes bis Versailles.