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Seit Oktober kursieren im Netz immer wieder Videos mit falschen Behauptungen über Weihnachtsmärkte – teilweise mit Millionen Aufrufen. Mit den Fakes scheint gezielt Stimmung gegen Muslime gemacht zu werden.
Von Lena Maurer, NDR Team Faktencheck
Feiernde Menschen schwenken syrische Flaggen und singen – im Hintergrund ist ein geschmückter Weihnachtsbaum zu sehen. „Muslime haben den Mainzer Weihnachtsmarkt gestürmt und dabei Allah und den islamischen Dschihad ausgerufen“, kommentiert jemand das Video auf der Plattform X. Ähnliche Behauptungen werden aktuell tausendfach in sozialen Netzwerken verbreitet, um offenbar Stimmung zum Thema Migration zu machen.
Zum Beispiel heißt es, auf dem Stuttgarter Weihnachtsmarkt sei laute „arabische Musik“ abgespielt worden oder anderswo hätten Muslime aggressiv gegen die Tradition des Weihnachtsmarktes demonstriert. Doch es handelt sich dabei um Falschinformationen und aus dem Kontext gerissene Bilder. Sie heizen die Debatten im Netz an, die sich seit Wochen auch um Sicherheitsmaßnahmen gegen Anschläge auf Weihnachtsmärkten drehen.
Menschen feiern den Sturz des Assad-Regimes
Viele Beiträge suggerieren, dass Menschen, die als Muslime gesehen werden, sich respektlos gegenüber der christlichen Tradition verhalten würden. In mehreren Videos, die seit dem zweiten Advent kursieren, sind Demonstrierende mit syrischen Flaggen in den Händen zu sehen. Im Hintergrund sind Weihnachtsbäume oder Weihnachtsmarkthütten erkennbar. So zum Beispiel in Videos aus Berlin oder Mainz, die millionenfach aufgerufen wurden.
Allerdings haben die Protestierenden weder den Weihnachtsmarkt in Berlin „übernommen“, noch haben sie ihn in Mainz „gestürmt“, wie teilweise behauptet wird. In beiden Fällen war der Anlass der Demonstration der Jahrestag des Sturzes des Assad-Regimes in Syrien. Weder in Mainz noch in Berlin haben die Demonstrationen auf dem Weihnachtsmarkt stattgefunden, sondern daneben. Zudem handelte es sich laut Polizei in beiden Fällen um angemeldete Kundgebungen, die friedlich verlaufen sind.
Ein weiteres Video aus Essen kursiert bereits seit Mitte November. Es zeigt einen Demonstrationszug, bei dem angeblich Muslime auf einem Weihnachtsmarkt „Es gibt keinen Gott, außer Allah“ rufen sollen. Diese Behauptung ist ebenfalls irreführend. Das Video ist ein Jahr alt, es entstand im Dezember 2024. Die Menschen liefen anlässlich des Sturzes des Assad-Regimes vom Hauptbahnhof durch die Essener Innenstadt, wo sich auch der Weihnachtsmarkt befindet. In den Sprechgesängen sind die Worte „Eins, eins, eins, die syrische Bevölkerung ist eins“ zu hören. Auch diese Demonstration war angemeldet, es kamen jedoch Berichten zufolge wesentlich mehr Teilnehmer als erwartet.
Vorurteile gegen Muslime werden verschärft
Dass derartige Falschbehauptungen sich im Netz so schnell verbreiten, liegt laut der Kommunikationswissenschaftlerin Christine Horz-Isak von der TH Köln an tiefsitzenden Stereotypen gepaart mit einer „fast strategischen Kommunikation“ der Videoverbreiter, die soziale Medien nutzen, um ein gewisses Narrativ über Muslime zu verfestigen. Das Weihnachtsfest eigne sich als hochemotionales Thema gut dafür. Durch die Masse an ähnlichen Inhalten würden Nutzer immer überzeugter von den Beiträgen und hinterfragten diese immer weniger.
Das zeigt auch ein Video, das bereits vor dem Beginn der ersten Weihnachtsmärkte 2025 geteilt wurde. Demnach sollen Muslime in Hamburg gegen die weihnachtliche Tradition protestiert haben, da diese nicht ihrem Glauben entspreche. Außer der Videobeschreibung ist kein Hinweis zu erkennen, dass sich der Protest auf einen Weihnachtsmarkt beziehen könnte. Dennoch kommentiert ein X-Nutzer zum Beispiel, dass die Protestierenden aktiv die Menschen auf dem Weihnachtsmarkt belästigen würden, um ihnen die Stimmung zu verderben.
In Wahrheit entstand das Video bereits im Oktober 2024 und zeigt eine Demonstration der inzwischen verbotenen Gruppe „Muslim Interaktiv“. Diese veranstaltete in Hamburg eine Kundgebung mit dem Motto „Stoppt den Genozid gegen unsere uigurischen Geschwister in Ostturkistan“.
Keine tanzenden Menschen auf Stuttgarter Weihnachtsmarkt
Dass derartige Videoclips von manchen Usern nicht hinterfragt werden, zeigt sich auch an einem Video aus der Stuttgarter Innenstadt. So sind auf einem Video lediglich Menschen in einer Fußgängerzone zu sehen, die sich rhythmisch zu einem Lied bewegen – im Hintergrund sind kahle Bäume mit Weihnachtsbeleuchtung. Ein User beschreibt das Video auf X mit den Worten „Arabische Musik knallt über den Stuttgarter Weihnachtsmarkt“.
Obwohl auf dem Video kein Weihnachtsmarkt zu erkennen ist, reagieren Nutzer mit Kommentaren wie „Sie hassen unsere Kultur und Traditionen“. Durch eine Geolokalisierung des Videoausschnittes wird allerdings klar: Das Video wurde in der Königstraße in Stuttgart, einer zentralen Einkaufsstraße, circa 250 Meter entfernt vom nächsten Weihnachtsmarkt aufgenommen.
Das Gerücht vom Sterben der Weihnachtsmärkte
Ein Thema, das seit Wochen diskutiert wird, sind verschärfte Sicherheitsvorkehrungen auf Weihnachtsmärkten. Auch dieser Aspekt wird genutzt, um beim Thema Migration Stimmung zu machen. Seit Oktober schon verbreitete sich in sozialen Netzwerken, aber auch in Medienberichten das Gerücht vom „Sterben der Weihnachtsmärkte“. Angeblich müssten dieses Jahr viele Weihnachtsmärkte abgesagt werden, weil die Sicherheitskosten zum Schutz vor Anschlägen zu hoch seien. An dem Gerücht ist allerdings nicht viel dran.
Zwar verschärfen viele Städte die Sicherheitsmaßnahmen auf Weihnachtsmärkten und haben teilweise hohe Kosten dadurch. So hat Bremen in diesem Jahr 2,8 Millionen Euro für die „Grundschutzinfrastruktur“ ausgegeben – andere Ortschaften berichten allerdings nur von geringfügig gestiegenen Kosten. Recherchen des NDR fanden im November nur zwei Fälle, in denen tatsächlich Weihnachtsmärkte aufgrund von Sicherheitskosten abgesagt wurden. Etwa zehn weitere Events finden dieses Jahr aus anderen Gründen nicht mehr statt. Insgesamt gibt es in Deutschland jährlich schätzungsweise 7.000 Weihnachtsmärkte.
Polizei bewacht Berliner Weihnachtsmarkt
Über die verschärften Sicherheitsmaßnahmen selbst gibt es auch falsche Behauptungen. „Polizeipräsenz, die mehr an eine Belagerung erinnert als an festliche Freude, aus Angst vor islamistischen Anschlägen“, schreibt ein User auf X und teilt dazu ein Video, das mehrere Polizeibeamte vor einem Weihnachtsmarkt in Berlin zeigt. Das Video ist echt und aus Berlin, allerdings waren die Beamten aufgrund einer Demonstration der rechtsextremen Partei „Die Heimat“ vor Ort.
Kürzlich ging auch ein Bild eines schwer bewachten Weihnachtsmarktes viral, der mit einem Weihnachtsmarkt aus dem Jahr 2014 verglichen wurde. Das Bild, das das Jahr 2025 darstellen soll, zeigt einen meterhohen Stacheldrahtzaun sowie Polizisten und Einsatzfahrzeuge. Laut einem Faktencheck von Correctiv ist es KI-generiert.
All diese Falschnachrichten tragen dazu bei, ein emotional aufgeladenes und bedrohliches Bild von Muslimen zu zeichnen – und das, obwohl die Menschen in den gezeigten Videos nicht einmal zwingend muslimisch sein müssen, sagt die Kommunikationswissenschaftlerin Horz-Ishak.