Er hatte schon als Schüler Zeichenunterricht beim renommierten Porträt- und Landschaftsmaler Georg Rützel und studierte später acht Jahre lang an der Münchner Akademie der bildenden Künste. Er war ein talentierter Pianist, der aber auch Gitarre und Blasinstrumente beherrschte. Doch um die Kunst zum Beruf zu machen, brauchte es auch schon Anfang des 20. Jahrhunderts Mut. Und so verdiente sich der 1871 in Unterfranken geborene Otto D. Franz seinen Lebensunterhalt als Jurist, mehr als 40 Jahre lang mit einer Kanzlei in München.

Immerhin, und das würde ihn wohl trösten, ist der 1961 gestorbene Franz der Nachwelt dann doch als Künstler in Erinnerung geblieben. Einmal durch zahlreiche Gemälde, die sich heute in Museen und Privatbesitz befinden. Noch mehr aber durch seine Gerichtszeichnungen vom Hitler-Prozess 1924. Das Staatsarchiv München zeigt jetzt noch bis zum 7. März bislang unveröffentlichte Zeichnungen in der Ausstellung „Nahaufnahmen – Unbekannte Skizzen vom Hitler-Ludendorff-Prozess und ihr Zeichner Otto D. Franz“.

Prozess vor 100 Jahren

:Das Skandal-Urteil, das Hitlers Aufstieg ermöglichte

Vor Gericht geht es um Hochverrat und den Putschversuch vom November 1923. Hitler kommt dabei mit einem skandalös milden Urteil davon. Warum es dazu kam.

SZ PlusVon Barbara Galaktionow

Möglich wurde dies durch den Ankauf des Nachlasses von Franz im November 2024. Der Historiker Benedikt Martin Ertl hat die 89 Archivalien gesichtet, ausgewertet und nach Recherchen in weiteren Archiven und Zeitzeugen-Interviews zu dieser Schau verarbeitet. Im Mittelpunkt stehen die bislang unveröffentlichten Skizzen vom Hitler-Ludendorff-Prozess aus dem Jahr 1924, einschließlich der etwa 15 Zeichnungen, die damals in der Münchner Illustrierten Presse und der Illustrierten Presse in Leipzig veröffentlicht wurden. Dies sind deshalb wichtige Geschichtszeugnisse, weil es zwar Fotografien der Beteiligten vor der Infanterieschule gibt, in welcher der Prozess stattfand, im Saal selbst aber Fotografier-Verbot herrschte. Von der Atmosphäre und den Abläufen dort gibt es also nur schriftliche Beschreibungen – und Gerichtszeichnungen.

Franz hatte keine offizielle Akkreditierung oder Funktion, er besuchte den Prozess sozusagen als Privatmann, hatte aber als Jurist wohl leichteren Zugang. Und er war nicht der einzige Zeichner im Saal, denn das öffentliche Interesse an dem Verfahren, mit dem der gescheiterte „Hitlerputsch“ vom 8. und 9. November 1923 aufgearbeitet werden sollte, war riesig. Für die Berliner Illustrierte Zeitung etwa, die auflagenstärkste Illustrierte im Reich, saß Willibald Krain im Saal. Für die Hamburger Illustrierte Zeitung ein Hans Schweitzer, der vermutlich mit jenem Hans Herbert Schweizer identisch ist, der in den Dreißigerjahren eine wichtige Figur im Reichspropagandaministerium war. Auch von ihnen sind Zeichnungen ausgestellt, und im Vergleich fällt auf, dass Otto Franz der genaueste und technisch beste Zeichner war.

Seinen Lebensunterhalt verdiente Otto D. Franz als Jurist. Studiert hatte er allerdings auch an der Akademie der bildenden Künste München. Hier hat er seine Staffelei am Gardasee aufgebaut.Seinen Lebensunterhalt verdiente Otto D. Franz als Jurist. Studiert hatte er allerdings auch an der Akademie der bildenden Künste München. Hier hat er seine Staffelei am Gardasee aufgebaut. (Foto: BayHStA München)

Betrachtet man seine Saal-Zeichnungen, kommt es einem kaum wie ein Hochverrats-Prozess (zu einem Putschversuch mit 19 Toten) vor, eher wie eine Podiumsveranstaltung politisch Gleichgesinnter. Was zu dem von der Sympathie des Vorsitzenden Richters Georg Neidhardt für die Angeklagten geprägten Verfahren passt, das schon damals von allen Demokraten als Justizskandal empfunden wurde. Einmal, weil es generell rechtswidrig war: Zuständig wäre das Reichsgericht in Berlin gewesen, und der Angeklagte Hitler wäre nach bayerischem Recht als Österreicher zwingend auszuweisen gewesen. Vor allem aber wegen der unglaublich milden Urteile, die es Hitler erst ermöglichten, in der fast schon luxuriösen Haft in Landsberg „Mein Kampf“ zu schreiben und seine politische Karriere fortzusetzen.

Bei einer quellenkritischen Ausstellung rückt dann automatisch der Urheber in den Blick. War Franz ebenfalls ein Sympathisant der Angeklagten? Wie vieles andere – unter anderem die womöglich nicht sehr „arische“ Herkunft seiner Frau Clara – kann man das nicht gesichert sagen, weil viele seiner geschäftlichen wie privaten Unterlagen verloren gingen, als bei Luftangriffen im April und Juli 1944 erst seine Kanzlei, dann seine Wohnung zerstört wurden. Aus den erhaltenen Briefen seines älteren, in Berlin lebenden Bruders, besonders aus einem, in dem der den Ausgang des Putsches beklagt, kann man eine konservative Grundhaltung der Familie annehmen.

Franz ließ sich auch eine Zeichnung des angeklagten Haupttäters Erich Ludendorff von diesem signieren. Bereits 1932 wurde er NSDAP-Mitglied. Eines seiner Gemälde wurde 1938 von der NSDAP für die Parteizentrale angekauft. Und dann gibt es 21 erst viel später angefertigte Prozess-Zeichnungen, die Franz als Mappe mit persönlicher Widmung 1933 Hitler schenkte. Sie befinden sich bis heute in der sogenannten Hitler-Bibliothek in der Library of Congress in Washington.

Der Angeklagte Erich Ludendorff signierte die Zeichnung, die Otto D. Franz von ihm fertigte.Der Angeklagte Erich Ludendorff signierte die Zeichnung, die Otto D. Franz von ihm fertigte. (Foto: BayHStA München)

Andererseits ist Franz nie als Amtsträger oder Propagandist in Erscheinung getreten. In seinem Entnazifizierungsverfahren 1947 wurde er von der Spruchkammer als Mitläufer eingestuft, was die Wahrheit vermutlich gut trifft. Als Jurist beschäftigte sich Franz fast ausschließlich mit Zivilrecht und vertrat viele Künstler. Vor allem als Scheidungsanwalt war er bekannt, unter anderem waren der Dirigent Karl Böhm und der befreundete Illustrator Olaf Gulbransson seine Mandanten. Stets zeichnete er in seinen Verhandlungen nebenbei, weshalb folgender scherzhafter Spruch kursiert haben soll: „Nehmen wir nur schnell den Justizrat Franz dran, sonst karikiert er uns!“

Franz musizierte viel und war Mitglied mehrerer Kunstvereine und Künstlergesellschaften und oft an den Gruppenausstellungen im Münchner Glaspalast beteiligt, bis dieser 1931 abbrannte. Neben Porträts liebte er die Landschaftsmalerei. Als Inspiration dienten ihm Reisen, oft an den Gardasee oder an die Ostsee, aber auch nach Frankreich, Schweden oder die Niederlande. Zu einer Zeit, in der dies für die meisten noch unerschwinglich war. So erzählt die Schau auch eine spannende Biografie und beleuchtet zugleich einen selten beachteten Teil der Schwabinger Bohème.

Viel Platz hat die Schau dafür nicht. Nur ein Vorraum (mit den Gerichtszeichnungen) und ein Gang (mit dem Biografischen)  stehen ihr im Staatsarchiv zur Verfügung. Deshalb finden sich bei den meisten Exponaten QR-Codes, über die man auf dem Smartphone in die Vertiefungsebene gelangt, wenn man es genauer wissen will. In jedem Fall empfehlenswert ist der kleine Ausstellungskatalog.

Nahaufnahmen – Unbekannte Skizzen vom Hitler-Ludendorff-Prozess und ihr Zeichner Otto D. Franz“, eine Ausstellung des Staatsarchivs München, Schönfeldstr. 3, bis 7. März, mit Katalog (Schriftenreihe Kleine Ausstellungen Nr. 73)