Ab der Universität Münster setzt Medizin-Dozent Dr. Dogus Darici auf innovative Lehrmethoden: Dafür erhält er den Landeslehrpreis.

Münster (gl) – Ein grauer Dezembervormittag in Münster: Um 10.05 Uhr füllt sich der Hörsaal des Instituts für Physiologische Chemie und Pathobiochemie. Ein vielstimmiges Gemurmel liegt in der Luft. Während die Studenten nach und nach eintrudeln, bereitet sich Dr. Dogus Darici vorne auf die Vorlesung „Grundlagen der Anatomie und Embryologie“ vor.

„Perspektive der Studierenden einnehmen“

Punkt 10.15 Uhr beginnt der Dozent. Was in den kommenden 90 Minuten geschieht, ist weit mehr als die

Zum vierten Mal hat das Land NRW den Landeslehrpreis verliehen. Wissenschaftsministerin Ina Brandes (CDU) zeichnete die Preisträger im Deutschen Bergbau-Museum in Bochum in folgenden Kategorien aus:

Lehre an Universitäten: Dr. Dogus Darici (Universität Münster)

Lehre an Kunst -und Musikhochschulen: Anne Kohler (Hochschule für Musik Detmold)

Lehre an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften: Prof. Dr. Lorenz Narku Laing (Evangelische Hochschule Bochum)

Lehre zur Gründung innovativer Start-ups: Prof. Dr. Malte Brettel (RWTH Aachen)

Lehre junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler: Prof. Dr. Andrea Upmann (FH Aachen)

Die Auszeichnungen sind je mit 50 000 Euro dotiert. Das Preisgeld kann zur individuellen Weiterentwicklung der Lehre an der jeweiligen Hochschule verwendet werden.

Vermittlung von Fakten. Darici versteht Lehre als „Beziehungsgeschehen“. „Gute Lehre beginnt damit, die Perspektive der Studierenden einzunehmen“, sagt Darici. Der 35-Jährige ist in der Kategorie „Lehre an Universitäten“ mit dem Landeslehrpreis des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft gewürdigt worden. Statt klassischer Frontalvorlesungen prägen dialogische Formate seinen Stil: Einstiegsfragen, Live-Abstimmungen mittels QR-Code, kurze Diskussionen und klinisch orientierte Fallbeispiele. Komplexe neuroanatomische und embryologische Zusammenhänge werden nicht nur erklärt, sondern gemeinsam erarbeitet. „Ich versuche wahrzunehmen: Was können sie schon, und wo brauchen sie Unterstützung? Ich möchte die Studierenden herausfordern, anstatt sie zu überfordern“, sagt Darici.

Der Mediziner, der nach Stationen in Gießen und Berlin im Jahr 2020 an die Universität Münster wechselte, setzt auf eine evidenz- und kompetenzorientierte Lehre. Anstatt sich auf spontane Eingebungen oder reine Erfahrung zu verlassen, stützt er sich auf Erkenntnisse der Lehr-Lern-Forschung. Diese beschäftigt sich mit Fragen wie: Wann ist der beste Zeitpunkt, um Inhalte zu wiederholen? Wie lässt sich die Aufmerksamkeitsspanne sinnvoll nutzen? Wie viel neues Wissen kann das Arbeitsgedächtnis aufnehmen, ohne überfordert zu werden? Evidenzbasierte Lehre bedeutet für ihn, Formate und Methoden gezielt an solchen Befunden auszurichten, und nicht, möglichst viel Stoff in kürzester Zeit durchzupauken. „Wir Lehrenden kennen den Stoff seit Jahren. Die eigentliche Aufgabe besteht darin, die Perspektive zu wechseln, sich in Studierende ohne Vorwissen hineinzuversetzen und ihre kognitive Belastung im Blick zu behalten. Das gelingt nicht mit 60 Folien am Stück“, sagt Darici.

Verbindung von Analogem und Digitalem

Die Studenten sollen nicht nur Fakten aufnehmen, sondern auch fachliche Kompetenzen und die Fähigkeit ihr Handeln zu reflektieren entwickeln. Als Fachberater erlebt Darici immer wieder, dass viele Studenten mit Herausforderungen zu kämpfen haben, beispielsweise bei Prüfungen oder beim Mitkommen im Semesterverlauf. „Oft liegt es daran, dass sie wenige Veranstaltungen besucht haben. Die Gründe dafür sind vielfältig: familiäre Verpflichtungen, Sprachbarrieren oder Isolation. Diese Aspekte müssen wir als Dozentinnen und Dozenten stärker berücksichtigen“, betont er.

Die Innovationskraft von Dr. Dogus Darici zeigt sich unter anderem in der Verbindung von Analogem und Digitalem. Hybrid übertragene Vorlesungen, digitale Abstimmungstools, problemorientiertes Lernen und viel Praxisbezug sind für ihn keine modischen Extras, sondern Werkzeuge, um Studenten aktiv einzubinden. Gleichzeitig bleibt sein Unterricht persönlich. Der Dozent sucht Blickkontakt, reagiert spontan auf Fragen und passt sein Tempo den Studenten an.

Ansatz kommt an

Bei denen kommt all das gut an. „Dogus Darici hat ein Talent dafür, komplizierte Themen so zu erklären, dass man sie wirklich versteht. Und er hat ein Gespür dafür, ob wir die Inhalte verstanden haben oder nicht“, sagt Lina, die im ersten Semester studiert. „Er sorgt für eine ruhige Lernatmosphäre und schafft es, unsere Aufmerksamkeit immer wieder zu fokussieren, wenn sie abdriftet“, ergänzt Kommilitone Florian. „Ihm ist wichtig, dass wir die Anatomie nicht einfach auswendig lernen, sondern verstehen. Das ist ein deutlicher Unterschied zu anderen Dozenten.“

Dem 35-Jährigen geht es um mehr als die reine Vermittlung von Inhalten. Er möchte, dass Studenten lernen, ihr Wissen anzuwenden und Zusammenhänge zu erkennen. Er versteht Evaluationen nicht als Kontrolle, sondern als Dialog. Regelmäßiges Feedback fließt direkt in die Weiterentwicklung der Veranstaltungen ein. Dass diese Haltung nun mit dem Landeslehrpreis gewürdigt wird, ist für ihn weniger Ziel als Bestärkung.

Für jeden Einzelnen Zeit nehmen

Kurz vor zwölf Uhr: Die letzte Live-Abstimmung flackert über die Leinwand, die Vorlesung endet wenige Minuten später. Der Saal leert sich, vorne bildet sich eine kleine Menschentraube. Rund zwanzig Studenten stellen Fragen und bitten um Einordnung. Darici hört zu, erklärt erneut – ruhig, klar und geduldig. Er nimmt sich für jeden Einzelnen Zeit, geht individuell auf Verständnisfragen ein und schafft so eine Atmosphäre, in  der Lernen wirklich möglich wird.

Texte und Fotos von die-glocke.de sind urheberrechtlich geschützt.
Weiterverwendung nur mit Genehmigung der Chefredaktion.