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In this pool photograph distributed by the Russian state agency Sputnik, Russia's President Vladimir Putin shakes hands with Prime Minister Mikhail Mishustin during a meeting of the Council for Strategic Development and National Projects at the Kremlin in Moscow on December 8, 2025. (Photo by Kristina Kormilitsyna / POOL / AFP)Putin und Premier Mischustin beim Rat für Strategische Entwicklung im Kreml. © Kristina Kormilitsyna/AFP

Der russische Präsident stellt neue Gebietsforderungen. Trumps Friedensplan lehnt Putin faktisch ab und verwirrt mit Widersprüchen.

Wenn Europa plötzlich Krieg mit Russland anfange, dann gehe alles sehr schnell. „Das ist ja nicht die Ukraine“, Wladimir Putin lächelte fein. „In der Ukraine wenden wir chirurgische Methoden an, sehr vorsichtig.“ Der lächelnde Putin fuhr mit einem Kreis durch die Luft, den er mit Daumen und Zeigefinger gebildet hatte.

„Wenn aber Europa den Krieg beginnt, kann es sehr schnell zu einer Situation kommen, in der wir mit niemandem mehr verhandeln können.“ So reagierte Russlands Staatschef vergangenen Donnerstag auf die Warnungen des mit Russland sympathisierenden ungarischen Außenministers Péter Szijjártó, die strategischen Dokumente der EU sähen volle Kampfbereitschaft bis 2029 vor. Und das ermögliche 2030 den Beginn eines Krieges zwischen Europa und Russland.

Die Antwort war ein typischer Putin-Auftritt. Erst versicherte Russlands Staatschef, in der Ukraine gar keinen „Krieg im modernen Sinn“ zu veranstalten. Allerdings hat Putins „chirurgische“ Vorgehensweise dort laut Zählungen der UN nach drei Jahren und neun Monaten mindestens 14.534 ukrainischen Zivile das Leben gekostet. Und danach plauderte Putin vom Verschwinden aller verhandlungsfähigen europäischen Feinde im Kriegsfall – eine kaum verborgene Vernichtungsdrohung. Dass es der EU um jahrzehntelang vernachlässigte defensive Kampfkraft geht, verschweigt auch er.

Viele Beobachter:innen glauben, Putin, 73, habe weitgehend den Bezug zur Realität verloren, lebe in einer Blase aus geschönten Lageberichten sowie pseudohistorischen Feindbildern. Aber auf jeden Fall ist er bemüht, die Inhalte seiner Blase auch ins Bewusstsein der internationalen Öffentlichkeit zu befördern – mit Eifer und Erfolg. Und das bereitet ihm offensichtlich viel Vergnügen, er lächelt jetzt oft.

Die Rituale sind eingespielt. Liefert der europäische Gegner keine Stichworte, so springt inzwischen Viktor Orbáns prorussische Regierung ein. Auch die kremltreuen Journalist:innen, die zu Putins Briefings zugelassen werden, bemühen sich um möglichst unkritische, gut zu verwertende Fragen.

Außer auf seine Medien kann sich Putin auch auf ein Heer von Online-Bots, Bloggerinnen und Bloggern oder Berufsanhänger:innen stützen, die seine Narrative vervielfältigt Richtung Westen schießen. Sehr oft haben TV-Starpropagandisten wie Wladimir Solowjow oder prominente politische Handlanger wie Dmitrij Medwedew seine abstrakten Drohungen schon im Voraus mit den Namen europäischer Hauptstädte konkretisiert, die sie zu geeigneten Zielen russischer Raketen mit oder ohne Nuklearsprengköpfe erklärten. Putin droht nicht nur, er feiert inzwischen routiniert militärische Siege, auch wenn ein Großteil der Experten diese nicht bestätigen.

Etwa die endgültige Eroberung der Stadt Pokrowsk, die er sich vergangenen Montag von Generalstabschef Waleri Gerassimow vor laufenden Kameras verkünden ließ, die aber OSINT-Beobachter:innen ebenso dementieren wie vorher die Einkesselung von 15.000 Ukrainerinnen und Ukrainern bei Kupjansk. Putin will nicht informieren, er will verwirren und verunsichern, hat auch keine Hemmungen, sich selbst zu widersprechen.

Oft signalisiert er Zustimmung zu einer Idee, deren Details er dann in der Luft zerreißt. Das gilt besonders für die Friedensinitiativen Donald Trumps. Schon sprichwörtlich ist Putins „Wir sind dafür, aber es gibt Nuancen“, mit denen er den US-amerikanischen Waffenstillstandsvorschlag vom März ablehnte. Zu dem 27-Punkte-Plan, den ihm vergangene Woche der US-Sondergesandte Steve Witkoff vorlegte, äußerte er sich nur vage. Es gebe Punkte, über die man verhandeln könne, aber auch solche, denen Russland nicht zustimmen könne, sagte er indischen TV-Journalist:innen. Zustimmen aber wollte er keinem einzigen.

Stattdessen stellte Putin neue Gebietsansprüche: Moskau werde außer dem Donbass auf jeden Fall auch „Noworossija“ befreien, militärisch oder mit anderen Mitteln… Noworossija ist eine historische Landschaft, zu der die heutigen ukrainischen Regionen Saporischschja, Cherson, Mykolajiw, Dnipropetrowsk und Odessa gehören, also der gesamte Südosten der Ukraine. Das wären mit dem Donbass und der Krim 35 Prozent des ukrainischen Staatsgebiets; zurzeit hält Russland 20 Prozent davon besetzt.

Putin nimmt die laufende US-ukrainische Debatte über die freiwillige Räumung des Donbass offenbar nicht ernst – also den gesamten amerikanischen Konfliktlösungsplan. Dabei versicherte der russische Staatschef den indischen Journalistinnen, Trump wolle unbedingt eine Lösung für die Ukraine, „wirklich, ich bin sicher, er versucht das ehrlich.“

Wer Wladimir Putin zuhört, dem kommen inzwischen auch Zweifel an Trumps Friedenswillen.