
Am 20. November kam der Künstler Gunter Demnig wieder nach Mutterstadt, um 16 weitere Stolpersteine in Gedenken an NS-Opfer zu setzen. Es liegen nun 94 Erinnerungssteine und eine „Stolperschwelle“ auf Mutterstadts Gehwegen.
Seit 2021 beteiligt sich Mutterstadt an dem Kunstprojekt STOLPERSTEINE, das Demnig 1996 ins Leben gerufen hat. Über 116 000 Steine hat er bis heute in Deutschland und in Europa verlegt. Finanziert wird die Anfertigung der Stolpersteine mit den Inschriften – die übrigens per Hand, Buchstabe für Buchstabe, in das Messingblech eingeschlagen werden – vor allem durch Spenden.
Bürgermeister Thorsten Leva begrüßte auf dem Vorplatz zur NEUEN PFORTE alle, die gekommen waren, um bei der fünften Stolpersteinverlegung dabei zu sein. „Erinnerungskultur ist kein Selbstzweck“, sagte er, „sie verpflichtet uns zu Wachsamkeit, zu Respekt, zu Empathie und zu einem aktiven Einsatz für Demokratie, Menschlichkeit und Vielfalt.“ Er bedankte sich ausdrücklich bei allen Spenderinnen und Spendern dieser neuen 16 Stolpersteine und begrüßte herzlich den Künstler und dessen Kollegen Frank-Matthias Mann. Er bedankte sich auch bei Lothar Distler, der regelmäßig alle Steine im Ort blank poliert, bei den Mitarbeitern des Bauhofs, die jede Verlegestelle vorbereitet hatten, bei den Schülern der IGS, die zusammen mit ihrem Geschichtslehrer Peter Werner und dem Schulleiter Jens Pellkofer gekommen waren, bei Uli und Ute Valnion, die die Verlegung musikalisch begleiteten, beim Ortschronisten Volker Schläfer als Mitglied des Stolperstein-Teams, bei Gunter Holzwarth, der die Verlegung organisierte, bei Dr. Christina Wolf, die zum Leben der NS-Opfer recherchierte, bei Michael Hemberger, der für die Fotos, Publikationen und die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. Weiter hieß er die ehemalige Landtagsvizepräsidentin Hannelore Klamm, Verbandsbürgermeister Stefan Veth aus Dannstadt-Schauernheim und Irmgard Metzger, Zeitzeugin und Stifterin mehrerer Stolpersteine, willkommen.
Der Ablauf der Verlegungstour durch den Ort, die diesmal 2,5 Stunden dauerte, war so organisiert, dass während der Arbeiten des Künstlers die Schicksale und Lebensläufe der Opfer verlesen wurden. Bei den vier politischen Opfern schilderte Volker Schläfer die Lebensdaten, bei den zwölf jüdischen Opfern übernahmen das abwechselnd Ute Valnion, Uli Valnion und Christina Wolf.
Der erste Stein wurde – nach dem einleitenden Liedbeitrag von Uli Valnion „Die Gedanken sind frei“ – für Rudolf Steinkönig in der Ludwigshafener Straße 10 gesetzt. Viele Mutterstadter kennen die historischen Fotos Steinkönigs, die auch Grundlage für Postkarten waren. Dem Fotografen wurde von den Nazis vorgeworfen, im 1. Weltkrieg für die Franzosen gearbeitet zu haben. Das galt als „Hochverrat“ und so wurde er verhaftet und in das Lager „Neue Bremm“ bei Saarbrücken geschickt. Hier wurden nicht nur politische Häftlinge systematisch physisch und psychisch misshandelt. Steinkönig hatte das Glück, von seinem Sohn befreit zu werden. Sein Großneffe war bei der Verlegung dabei.
In der Ringstraße 9 wohnte Hieronymus Seppi, er war der Gemeindeeinnehmer der Gemeinde, den die Nazis – weil er SPD-Mitglied war – aus dem Amt entfernten. Stefan Veth berichtete, als Kind in dem Haus gewohnt zu haben.
Danach wurden Steine für jüdische Familien in der Speyerer Straße verlegt: vor dem Haus Nr. 66 für Martha, Salli und Hans Dellheim – der Familie gelang die Flucht in die USA. Zwei Steine setzte Demnig für Lisa und Fritz Löb in der Speyerer Straße 60: Lisa wurde in Ausschwitz ermordet und Fritz starb im Lager Gurs. Hier trugen Uli und Ute Valnion das Lied „Donna, donna“ vor – teilweise auf Jiddisch. Schließlich verlegte Gunter Demnig für Familie Löb aus der Speyerer Straße 46, die nach Chile fliehen konnte, fünf Stolpersteine.
Der nächste Stein kam vor das Geschäftshaus Neustadter Straße 2 für Adolf Löb, der hier mit seinem Bruder Bernhard ein Eisenwarengeschäft führte. Die Wohnung lag darüber und wurde am Tag des Novemberpogroms geplündert und zerstört. Adolf Löb war politisch engagiert und Mitglied des Bündnisses „Eiserne Front“, das sich gegen den Nationalsozialismus stellte. Er überlebte die Haft in verschiedenen Lagern und wurde 1953 amerikanischer Staatsbürger.
Die Bäckerei Maas befand sich in der Fußgönheimer Straße 9 und hier lebte auch die Familie. Emma Marx war die Schwester von Klara, die den Bäcker Isidor Maas geheiratet hatte. Emma wurde 1944 in Ausschwitz ermordet und der Stolperstein kam neben den bereits verlegten Stein für Klara.
Mit dem Stein in der Dammstraße 5 wird an Karl Röder erinnert, der SPD-Mitglied war und 1933 in Neustadt inhaftiert war. Er arbeitete auch nach dem Verbot der Partei im Untergrund für sie, wurde dann aber eingezogen und starb 1943 in Russland. Seine Enkelin Karin Kolesow war bei der Verlegung anwesend.
Der letzte Stein kam vor das neue Rathaus, denn August Biebinger wohnte in der Oggersheimer Straße 12 im Haus seines Bruders, das bis in die 1970er Jahre an dieser Stelle stand. Biebinger wurde im ersten Weltkrieg als Soldat schwer verletzt. Danach galt er als „geisteskrank“ und wurde von den Nazis in der „Heil- und Pflegeanstalt“ Frankenthal ermordet. An dieser Stelle spielte Uli Valnion begleitet von seiner Frau Ute, das Lied „Mein Vater wird gesucht“. Abschließend sagte Thorsten Leva: “Möge dieser Stolperstein uns im Vorübergehen erinnern, mahnen und dazu anregen, immer wieder neu hinzuschauen und für das einzustehen, was unsere Gesellschaft zusammenhält.“ Er bedankte sich dann noch einmal bei allen Mitwirkenden. Gunter Demnig und sein helfender Kollege Frank-Matthias Mann erhielten jeweils eine Flasche Mutterstadter Sekt. Der Künstler und Herr Mann sprachen der Gemeindeverwaltung, dem Bauhofverantwortlichen Marvin Metzger und seinen Kollegen Bastian Claus und Matthias Mugrauer, dem Stolperstein-Team und Ute und Uli Valnion, ein Lob aus für die Organisation und Durchführung der Verlegung in Mutterstadt, die beispielhaft sei.
Text: Dr. Christina Wolf / Volker Schläfer
Zuletzt aktualisiert am 16. Dezember 2025, 14:09