Ein Paket liegt im DHL Hub am Flughafen Leipzig.

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Stand: 16.12.2025 18:00 Uhr

Ermittler in Polen und Litauen haben offenbar ein aus Russland gesteuertes Netzwerk identifiziert, das hinter mehreren Brandanschlägen in Europa stecken soll. Nach Informationen von WDR, NDR und SZ gab es auch in Deutschland eine Durchsuchung.

Von Manuel Bewarder, WDR/NDR, Florian Flade, WDR und Laura Weigele, WDR

Im Mai 2024 brannte ein IKEA-Warenhaus in Vilnius. Wenige Tage später zerstörte ein Feuer ein riesiges Einkaufszentrum in Warschau fast komplett. Im Juli des vergangenen Jahres gingen dann Brandsätze in England, Polen und Deutschland in Flammen auf, versteckt in Luftfracht-Paketen. Nur knapp entging der europäische Luftverkehr einer Katastrophe.

Ermittler in Polen und Litauen sehen die Vorfälle Mitte 2024 inzwischen in einem Zusammenhang. Sie wollen ein Netzwerk von Personen identifiziert haben, das hinter diesen spektakulären Brandstiftungen und dem sogenannten DHL-Plot im Luftverkehr steckt. Seit dem Start des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine ist in Europa die Zahl von Sabotagefällen und Brandstiftungen gestiegen, hinter denen Moskau vermutet wird.

In den vergangenen Monaten wurden mehrere Verdächtige festgenommen – nicht nur in Polen und Litauen, sondern auch in Großbritannien, Spanien, in den Niederlanden, Bosnien-Herzegowina und Rumänien. Mittlerweile werden rund 20 Personen verdächtigt, an den Operationen beteiligt gewesen zu sein.

Aufbau wie eine Art Pyramiden-System

Der Aufbau des Sabotagenetzwerks gleicht nach Auffassung der Ermittler einer Pyramide: An der Spitze sollen als Drahtzieher ein paar offizielle Mitarbeiter der russischen Nachrichtendienste stehen. Sie wiederum führen jene Personen, die Aktionen koordinieren.

Für die Ausführung von Taten würden vor allem über Telegram sogenannte Wegwerfagenten angeworben. Das sind keine offiziellen Geheimdienstmitarbeiter, sondern Personen, die meist für einen geringen Geldbetrag aktiv werden und die staatlichen Hintergründe der Auftraggeber oft nicht kennen.

Russland wiederum rekrutiert offenbar gezielt immer wieder Ukrainer, um von sich abzulenken. Moskau hat entsprechende Sabotagevorwürfe in der Vergangenheit immer wieder zurückgewiesen und spricht von „Paranoia“ oder „Verschwörungstheorien“.

Durchsuchung in Berlin

Nach Informationen von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung sind bei den Untersuchungen auch Hinweise aufgetaucht, die nach Deutschland führen. Der Recherche zufolge soll es in diesem Sommer bei einem ukrainischen Staatsbürger in Berlin eine bislang noch nicht bekannt gewordene Durchsuchung gegeben haben. Der Mann soll zudem ausführlich befragt worden sein. Er lebte zu diesem Zeitpunkt in einem ehemaligen Hotel in der Xantener Straße, wo Flüchtlinge aus der Ukraine untergebracht waren. 

Welche Rolle der Ukrainer in dem Sabotage-Netzwerk gespielt haben könnte, scheint noch unklar. Der Recherche zufolge soll es Hinweise geben, dass an seine Adresse ein Paket geschickt wurde. Offenbar gibt es die Vermutung, dass der Ukrainer Kontakt zu zentralen Verdächtigen des Sabotagenetzwerks gehabt und diese womöglich sogar getroffen hat.

Die Ermittler halten es aber auch für möglich, dass lediglich die Adresse des Ukrainers genutzt wurde, um Lieferungen nach Deutschland abzuwickeln. Eine Gesprächsanfrage an den Mann blieb unbeantwortet. Aus seinem Umfeld hieß es, er habe von möglichen Sabotageversuchen nichts gewusst. Der Generalbundesanwalt wollte sich auf Anfrage nicht äußern.

Weitere Anschlagspläne vermutet

Für die Ermittler ist das nicht der einzige Hinweis, der nach Deutschland führt: WDR, NDR und Süddeutsche Zeitung hatten bereits berichtet, dass in einer ostdeutschen Großstadt eine Durchsuchung bei einem Ukrainer gegeben hatte. Er gab an, 2024 auf die Bitte eines Bekannten eine Nachricht an einen Litauer geschrieben zu haben, wonach ein Paket verloren gegangen sei. Dieser Litauer war später festgenommen worden, weil er die Brandsätze per Luftfracht verschickt haben soll, die in Flammen aufgingen.

Ebenfalls im Sommer 2024 soll ein in Polen lebender Ukrainer via Telegram den Auftrag erhalten haben, Drohnenteile in Litauen auszugraben und nach Düsseldorf zu bringen. Derselbe Mann wird laut polnischer Zeitung Wyborcza verdächtigt, in Litauen Dosen abgeholt zu haben, die mit Sprengstoff gefüllt waren. Polnische Ermittler befürchten, dass das Netzwerk mit Sprengstoff und Drohnen weitere Anschläge geplant haben könnte.

Laufende Ermittlungen in Litauen und Polen

Vor wenigen Wochen, Ende November, gab es in Litauen eine erste Verurteilung mit Bezug zu dem Netzwerk: Der Ukrainer Daniil B. hatte den Brandanschlag auf das IKEA-Warenhaus in Litauen gestanden – er habe die Tat ausgeführt, um im Gegenzug 10.000 Euro und einen BMW zu bekommen. B., der damals noch 17 Jahre alt war, wurde zu einer Haftstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt.

Nach Angaben der polnischen Staatsanwaltschaft soll B. nach dem Brandanschlag in Litauen noch nach Warschau gefahren sein. Dort soll er noch vor Ausbruch des Feuers im Einkaufszentrum den Auftrag bekommen haben, Fotos und Aufnahmen zu machen.

Vor allem in Polen und Litauen werden die Ermittlungen vorangetrieben. Die Generalstaatsanwaltschaft in Litauen teilte im September mit, dass inzwischen insgesamt 15 Personen verdächtigt werden, an der Vorbereitung und Durchführung der Anschläge beteiligt gewesen zu sein. Bei Durchsuchungen seien Sprengsätze sichergestellt worden, die möglicherweise für weitere Anschläge vorgesehen waren. Auf Nachfrage hieß es, dass man aufgrund laufender Ermittlungen derzeit keinen neuen Zwischenstand mitteile.

Suche nach Drahtziehern

Im Nachbarland Polen gibt es nach Angaben der dortigen Staatsanwaltschaft sechs Verdächtige. Konkret geht es um Sabotage an Industrieanlagen und kritischer Infrastruktur sowie um Anschläge mit Brandsätzen in Paketen wie im DHl-Fall. Fünf Verdächtige sitzen laut Staatsanwaltschaft in Untersuchungshaft. Gegen einen der sechs Verdächtigen in Polen wurde bereits Anklage erhoben.

Allerdings befindet sich ausgerechnet ein Mann, den die polnischen Ermittler für einen mutmaßlichen Drahtzieher halten, nach Angaben der Staatsanwaltschaft in Aserbaidschan. Ein Russe namens Jaroslav M. Er gilt den Ermittlern als wichtiges Bindeglied in der Pyramiden-Struktur und soll sowohl zu Wegwerfagenten als auch zum Geheimdienst-Umfeld Kontakt gehabt haben. Auch für ihn gilt die Unschuldsvermutung.

Polen hat die Auslieferung des Mannes aus Aserbaidschan beantragt, wie die Staatsanwaltschaft erklärte. Einem Bericht der Washington Post zufolge gibt es aber hinter den Kulissen ein Ringen um die Auslieferung des Mannes: Russland soll sich ebenfalls um diese bemühen. Die Botschaft von Aserbaidschan in Berlin antwortete nicht auf eine entsprechende Anfrage.

Laut polnischen Behörden neigen sich die Ermittlungen ihrem Ende zu. Wann es genau zu einer Aufarbeitung vor Gericht kommen könnte, steht demnach noch nicht fest. Klar ist, die Sabotageaktionen haben mit der Zerschlagung dieses Netzwerks nicht aufgehört. Im Gegenteil: Vorfälle wie explodierte Sprengsätze erst jüngst an einer Bahnstrecke in Polen deuten auf eine weitere Eskalation hin.