Solch ein Gast auf der Bühne zieht natürlich Publikum in den Saal. Sichtlich stärker besucht als zuletzt war der Kongress am Park beim jüngsten Sinfoniekonzert der Augsburger Philharmoniker. Und auch wenn mit dem „Deutschen Requiem“ von Johannes Brahms ein Goldstück aus dem Schatzkästlein des klassisch-romantischen Repertoires solitär das Programm bestritt, so war es doch wohl in erster Linie die Mitwirkung des Chors des Bayerischen Rundfunks, die dem Konzert von vornherein Glanz verlieh. Gilt der Chor doch im globalen Maßstab als einer der besten seines Fachs; und überhaupt, wenn eine Münchner Institution solchen Formats sich einmal nach Augsburg begibt, so will man sich das keinesfalls entgehen lassen.

Was den von Howard Arman einstudierten Chor so besonders macht, das teilt sich denn auch schon mit der ersten Phrase des vertonten Bibeltextes mit. „Selig sind, die da Leid tragen“ – leise und doch kompakt, mit wohldosierter Expressivität, prägnant in der Wortformulierung, geboten aufblendend an Sinnschwerpunkten, um sich gleich wieder zurückzunehmen. So souverän präsentiert sich ein Ensemble von Sängerinnen und Sängern, dem alles zu Gebote steht, Fülle und jegliche Farbe und eine dynamische Skala von breitester Dehnung. Wenn dieser Chor im ersten Teil des Requiems den über eineinhalb Takte gezogenen Terminus „ge-tröstet“ sphärisch in den Raum schickt im Modus einer tönenden Gewissheit, dann trifft das in den Kern der ideellen Absicht des Komponisten.

Was braucht der Mensch im Gedanken an den Tod?

Denn Brahms‘ „Deutsches Requiem“, auch wenn es Anleihen nimmt bei Traditionen der Vertonung der lateinischen Totenmesse, ist doch nichts weniger als eine herkömmliche Trauer- oder gar – „dies irae!“ – Schreckensmusik. Brahms‘ Anliegen, sich spiegelnd auch in den von ihm selbst zusammengestellten Bibeltexten in Luthers Übersetzung, war es vielmehr, eine Musik der Beschwichtigung und des Trostes zu schaffen, gerade wenn von den letzten Dingen, vom Tod die Rede ist.

Für Domonkos Héja am Pult von Chor und Orchester ist das „Deutsche Requiem“ denn auch alles andere als eine Musik des schmerzerfüllten Lebensausgangs. Überhaupt durchzieht ein eher diesseitiges Werkverständnis seine Interpretation, die sich auf der Ebene des Orchesters immer wieder Bahn schafft in sinfonisch-knackig formulierten Passagen. Für den BR-Chor ist es ein Leichtes, hier mitzugehen und jederzeit klanglich Paroli zu bieten. Ein Bollwerk der Stabilität ist der Chor dann auch in den Fugen, die Héja im Tempo recht zügig nimmt. Zahnradgleich greifen die Stimmen ineinander, bleiben konturfest auch im dichten Satzgefüge, krönend-packender Abschluss der betreffenden Requiem-Teile, ganz besonders des dritten mit seinem insistierenden Orgelpunkt.

Die ängstliche Ungewissheit bleibt bei Héja außen vor

Und doch, so effektstark sich Domonkos Héja durch das Requiem vorarbeitet, bleibt eines lange überdeckt: Dass da Fragen des definitiven Abschieds verhandelt werden, dass Wort und Ton hier in weltabgewandte Bereiche vordringen. Héja interessiert sich über weite Strecken nicht für die Zustände der ängstlich-bohrenden Ungewissheit, für das, was „danach“ kommen wird. Schon im zweiten, marschähnlichen Satz verschwimmt die rhythmische Unerbittlichkeit der Pauke, die daran gemahnt, dass „alles Fleisch“ vergänglich ist „wie Gras“. Und wenn im dritten Satz der Baritonsolist auf das Alles-ist-eitel verweist (die Menschen „sammeln und wissen nicht, wer es kriegen wird“): Da hätte man sich die umgebende orchestrale Klangrhetorik zweifelnder, brüchiger, verzagter gewünscht.

Dabei ist mit Modestas Sedlevičius ein vorzüglicher Interpret für die beiden heiklen Bariton-Soli als Gast verpflichtet worden, der nicht nur Spitzen kraftvoll meistert, sondern den Ausdruck auch stets eng am Text entlangführt. Jihyun Cecilia Lee vom hiesigen Staatstheater-Ensemble ist mit der Sopran-Solopartie betraut, eine ebenso glückliche Wahl: Schlank und doch blühend formt sie die Kantilene, gestaltet ungemein anrührend das Prophetenwort „ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet“.

Im siebten und letzten Werkabschnitt stellt sich dann doch noch ein, was zuvor nicht offenbar werden wollte, die Transzendierung des nur gelingenden Musizierens hinüber in eine ergreifende Aufführung. Der BR-Chor hat daran maßgeblichen Anteil durch äußerst innige, „eng(e)lische“ Momente, getragen von sonorem Holzbläser- und sattem Posaunenklang der Augsburger Philharmoniker – musikalische Beglaubigung der Schlussformel „Selig sind die Toten“. In anderem Sinne, ins Diesseitige gewendet, nicht weniger beseligt das Konzert-Auditorium: langer Applaus, mit Jubel vermischt.

  • Stefan Dosch

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  • Augsburg

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  • Johannes Brahms

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