
Deutschland hatte ihnen Hilfe versprochen, doch dann die Aufnahmezusage zurückgezogen: Hunderte Afghanen in Pakistan befürchten nun, abgeschoben zu werden. Und hat Deutschland sensible Informationen weitergegeben?
Es war am vergangenen Freitag, einem Abend, den Neela (Name geändert) und ihre Familie nie vergessen werden. „Wir saßen mit einer Gruppe junger Frauen und Teenagermädchen im Speisesaal des Gästehaus und lernten fleißig Deutsch.“ Eine Zehnjährige sei weinend hereingekommen und habe ihre Schwester gesucht, um ihr die Hiobsbotschaft mitzuteilen. Alle hatten E-Mails im Namen der Bundesregierung bekommen, der Inhalt: Deutschland zieht seine Aufnahmezusagen zurück.
Betroffen ist eine Gruppe von etwa 640 Afghaninnen und Afghanen, die bislang in Pakistan warten – allesamt Menschen, die sich vor der Machtübernahme der Taliban in der Zivilgesellschaft engagiert hatten. Einige von ihnen sind – wie Neelas Familie – in Gästehäusern in der westpakistanischen Großstadt Peshawar untergebracht.
Neela ist die Tochter eines Journalisten, der als gefährdet gilt, sollte er ins von den Taliban beherrschte Afghanistan zurückkehren müssen. Er ist derjenige, der den Schutz für sich und seine Familie beantragt hatte. Alle zusammen sind seither in der sogenannten Menschenrechtsliste, einem der vier deutschen Aufnahmeprogramme. An ihrer Aufnahme habe die Bundesregierung „kein politisches Interesse“ mehr, teilte vergangene Woche eine Sprecherin von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) zunächst über die Medien mit. Das werde man den Betroffenen noch in einer E-Mail schreiben.
Überprüfungen der pakistanischen Polizei nur ein Zufall?
„Und genau in der Nacht, in der wir die E-Mail erhielten mit der Absage unserer Aufnahme, kam die pakistanische Polizei in unser Hotel und verlangte unsere Ausweis- und Aufenthaltsdokumente“, sagt Neela. Und sie fragt: „Kann das Zufall sein? Nach all dieser Zeit ist die absolute Mehrheit dieser 640 Flüchtlinge überzeugt: Nein, das kann kein Zufall sein.“
Tatsächlich ist das eine Frage, die sich stellt: Warum kamen pakistanische Polizisten so kurz, nachdem die Mails aus Deutschland eingetroffen waren? Wussten sie etwa, dass genau diesen afghanischen Familien die Aufnahmezusagen aus Deutschland genommen worden waren? Werden solche sensible Daten womöglich sogar von deutscher Seite weitergegeben?
Dementi vom Auswärtigen Amt
Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes sagte auf ARD-Anfrage klar: nein. Man gebe den Pakistanern zwar Listen der Afghanen, die eine Aufnahmezusage bekommen haben – um diese vor Verhaftung zu bewahren. Wenn sie sie aber verlören, melde man das der pakistanischen Seite nicht. „Austritte aus den Verfahren und mögliche Hintergründe werden nicht weitergegeben“, so die Sprecherin. Alles doch nur Zufall?
Die Chemnitzer Rechtsanwältin Mia Silberman jedenfalls ist eine von mehreren deutschen Juristinnen, die von afghanischen Mandanten berichtet, denen es so wie Neela erging. Deren Aufnahmezusagen waren widerrufen worden, und sie sollten innerhalb von sieben Tagen das von der Bundesregierung bezahlte Gästehaus verlassen. Doch nach dem Widerruf dauerte es nur einen Tag, bis die Polizei kam. „Die Frist endete an einem Mittwoch“, sagt Rechtsanwältin Silberman, „und am Donnerstagfrüh erhielt ich die Mitteilung, dass die Mandanten in das Hadschi-Lager (in Islamabad, Anm. d.Red.) gebracht wurden, um eben die Abschiebung nach Afghanistan vorzubereiten.“
Ein böser Verdacht also, der auch genährt wird durch die Aussage eines pakistanischen Polizisten – als er und seine Kollegen Anfang September ein von Afghanen bewohntes Gästehaus in Islamabad durchsuchten. Man bekomme durchaus Namenslisten von der deutschen Seite von Afghanen, die ihre Aufnahmezusage verloren hätten. Das sagte er vor mehreren Zeugen. Dem ARD Studio Neu-Delhi liegt ein entsprechender Mitschnitt vor. Das Auswärtige Amt aber wollte diese Aussage ausdrücklich nicht kommentieren.
Angst und Verunsicherung
Was wichtig ist: Der Entzug der Aufnahmezusage alleine muss für die Betroffenen noch nicht das Ende aller Hoffnung sein. Denn häufig können sie noch vor deutschen Gerichten klagen. Wenn sie aber inzwischen nach Afghanistan abgeschoben werden, sinken ihre Chancen, jemals nach Deutschland zu kommen, praktisch auf null. Und so bleibt – trotz des Dementis von deutscher Seite – ein Verdacht, der die Angst und Verunsicherung noch vergrößert. Das gilt für Neela, ihre Familie und allen Afghaninnen und Afghanen, die in Pakistan noch auf eine Weiterreise nach Deutschland hofften.
„Deutschland ist ein weltweit anerkanntes demokratisches Land und es hat nun sein Versprechen zurückgezogen, Dutzende von Familien aufzunehmen, denen in ihrer Heimat der sichere Tod droht“, sagt die junge Frau und fragt verzweifelt: „Gibt es denn überhaupt noch einen Ort für Gerechtigkeit und Menschenrechte in der Welt?“ Sie glaube, so Neela, dass trotz allem Deutschland dieser Ort sein kann.
