Der Tag, an dem die Finanzkrise im Münchner Rathaus so dramatisch aufschlägt wie vielleicht nie zuvor, beginnt für die Stadträte mit gemeinsamem, rhythmischem Klatschen. Der Applaus gilt dem Mann, der mit seiner Familie fast ein halbes Jahrhundert den Haushalt des Rathauses erfolgreich betreut hat: Peter Wieser. Allerdings nicht oben im großen Sitzungssaal, sondern unten in der Küche des Ratskellers. Mit dem Abschied der Familie Wieser gilt für die Zukunft des Restaurants im Rathaus das gleiche wie für den Finanzhaushalt der Stadt: Alle hoffen, dass es irgendwie gut weitergeht. Aber ein Weg dorthin muss erst noch gefunden werden.

Mit der gruppentherapeutischen Harmonie ist es deshalb im Sitzungssaal schnell vorbei, als die Stadträtinnen und Stadträte ihre Aufmerksamkeit von der Kulinarik auf die Kosten und Konten der Stadt richten. Das Geld wird im kommenden Jahr noch knapper werden als bisher schon, Kämmerer Christoph Frey (SPD) schwört den Stadtrat auf weitere harte Sparzeiten ein. Mit Mühe und Not kann er einen genehmigungsfähigen Haushaltsplan für das Jahr 2026 vorlegen, den der Stadtrat mit den Stimmen der grün-roten Koalition nach fast fünfstündiger, teils erbitterter Debatte beschließt.

MeinungFinanzen der Stadt München

:Es muss ein Wunder geschehen – sonst droht die ÜberschuldungSZ PlusKommentar von Heiner EffernPortrait undefined Heiner Effern

Die Stadt soll demzufolge im kommenden Jahr 9,577 Milliarden Euro einnehmen und 9,371 Milliarden Euro ausgeben. Erst einmal steht damit ein Gewinn von 206 Millionen Euro im Geschäft der laufenden Verwaltung in den Büchern. Davon fließen aber noch 175 Millionen in die Tilgung von Schulden. Es bleibt am Ende also ein Überschuss in Höhe von 31 Millionen Euro. Ein dünnes Polster angesichts der gesetzlichen Vorgabe, dass hier eine schwarze Null stehen muss, damit der Haushalt genehmigungsfähig bleibt.

Die Brisanz der städtischen Finanzlage erkennen alle Parteien im Stadtrat einmütig an, ihr Umgang damit unterscheidet sich jedoch stark. Nicht nur in der Frage nach den Ursachen, sondern auch darin, wie intensiv und wie leidenschaftlich sie in ihren Wortbeiträgen darauf eingehen.

Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) nutzt einen Großteil seiner Haushaltsrede, um eher kühl und staatsmännisch auf die bundesweite Krise der kommunalen Finanzen hinzuweisen und seinen mit Amtskollegen formulierten Appell an Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) zu erneuern. Die Lage in München sei nicht so schlimm wie in vielen anderen Städten und Kommunen, die keinen genehmigungsfähigen Haushalt mehr haben, sagt er. Dass München das mit vielen Sparbemühungen noch schaffe, sei keine Selbstverständlichkeit.

Oberbürgermeister Reiter räumt Fehler ein

Selbstkritisch räumt er ein, dass es nicht nur an Bund und Freistaat liege, dass sogar das reiche München an den erlaubten Grenzen des Haushalts entlangschrammt. Man sei in den vergangenen Jahren „ein bisschen zu optimistisch“ gewesen, dass die Einnahmen stärker wachsen würden, sagt der Oberbürgermeister. Die Stadt habe den Personalapparat zu üppig ausgestaltet und auch sonst „zu oft den Goldstandard“ gewählt. Dass man bei allen Leistungen besser sein wolle als der Rest der Republik, das müsse man in Zukunft überdenken.

Ein paar konkrete Überlegungen hat Reiter auch mitgebracht, wie die Stadt künftig besser haushalten kann. Zwei Beispiele: Statt nicht dringend notwendige Projekte zu starten, könnten Referate doch „aus Solidarität“ Geld an andere Referate abgeben, wenn diese es dringender brauchen für Projekte, die für die Bürger wichtiger sind. Und: In Zeiten knapper Kassen müsse sich die Stadt auf die Kernaufgaben der Verwaltung konzentrieren, statt immer neue Stabsstellen, Fachstellen und Projektteams zu gründen und dafür neue Stellen zu beschließen.

Kämmerer Christoph Frey (SPD) sagt, das oberste Ziel sei nicht nur, einen genehmigungsfähigen Haushalt aufzustellen, um die Handlungsfähigkeit der Stadt aufrechtzuerhalten – sondern auch, nicht in eine Überschuldung zu geraten. Der Schuldenstand wird Ende 2026 auf das Rekordniveau von 9,76 Milliarden Euro anwachsen, weil die Stadt weiterhin viel Geld in Investitionen wie den Bau von Schulen und Kitas steckt. Im kommenden Jahr investiert die Stadt 2,9 Milliarden Euro, im Zeitraum von 2025 bis 2029 sollen es 13,14 Milliarden sein. „Unser Investitionsniveau sucht deutschlandweit seinesgleichen“, sagt Frey. Dass die Kosten so exorbitant hoch sind, habe damit zu tun, dass man in diesem Bereich nicht mit der normalen Inflation kämpfe, sondern dass die Kosten beim Bauen noch einmal deutlich stärker gestiegen seien.

Stark gestiegen, etwa durch Tarifabschlüsse, sind in den vergangenen Jahren auch die Ausgaben für die städtischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. 2,585 Milliarden Euro umfasst der Personalhaushalt im kommenden Jahr. Mit den Kosten für die Pensionäre kommt die Stadt sogar auf Ausgaben von drei Milliarden Euro. Personalreferent Andreas Mickisch kündigt an, dass Referate weiterhin nur noch jede zweite Stelle nachbesetzen dürfen. Allein im Kreisverwaltungsreferat und im Sozialreferat soll die Quote bei 70 Prozent liegen.

Grünen-Fraktionschef Sebastian Weisenburger beschwört zum Ende der Amtszeit eine grün-rote Einigkeit: „Wir beschließen einen Sparhaushalt und halten trotzdem zusammen.“ Anders als die Koalitionäre in der schwarz-roten Vorgängerregierung, die sich zum Ende ihrer Amtszeit „angebrüllt“ hätten, obwohl noch alle Probleme mit Geld hätten gelöst werden können. Diesem Urteil über Streitkulturen hält CSU-Fraktionschef Manuel Pretzl später entgegen, wer so im Glashaus sitze, solle „nicht mit Ziegelsteinen um sich schmeißen“. Mit seiner Partei sei die Zusammenarbeit angenehmer gewesen als mit „dieser grünen Fraktion“.

Haushaltskonsolidierung

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In den nächsten Jahren will der Münchner Stadtrat Zuschüsse in Millionenhöhe kürzen. Fahrgäste sollen die Auswirkungen aber möglichst wenig spüren. Die Rathauskoalition aus Grünen, SPD, Rosa Liste und Volt macht dafür einen Vorschlag.

Die zeichnet sich für ihn vor allem dadurch aus, dass sie nicht nur die Finanzen unkontrolliert hat explodieren lassen, sondern auch ständig zu tief ins Glas der Macht schaut. „Machtbetrunken“, seien die Grünen, sagt Pretzl, um sich gleich zu korrigieren: „Machtbesoffen“ müsse man das nennen. Auch die CSU würde in der aktuellen Finanzlage Schulden machen, räumt er ein, aber so einen Schuldenberg „hätte es unter uns nicht gegeben“. Ob sie wirklich glaubten, dass diese Haushaltskrise ein reines rot-grünes Ausgabenproblem sei, kontert Grünen-Fraktionschefin Mona Fuchs später in Richtung CSU. „Ja“, tönt es vielstimmig aus den Reihen der Opposition.

Die SPD enthält sich in dieser Sitzung erst einmal jeglicher Äußerungen, die auf eine Präferenz für kommende Regierungsbildungen schließen lassen würden. Fraktionschefin Anne Hübner macht aber in einer leidenschaftlichen und völlig frei vorgetragenen Rede eindringlich klar, warum es aus Sicht der Sozialdemokraten keine Regierung ohne sie geben dürfe. „Wie ein Jagdhund an der Kette“ habe sie sich beim Warten auf ihren Auftritt gefühlt, doch dann geht es viel mehr um das soziale Herz der Stadt und wie man es erhalten kann. Und muss.

Man werde nicht jede Idealvorstellung behalten und künftig auch umsetzen können, räumt sie ein. Die SPD sei bereit, am Umbau des sozialen Netzes mitzuwirken und habe mit den Grünen auch schon damit begonnen. Im Jahr vor dem Ende der Amtszeit, das „geräuschloseste“ in der Koalition, flirtet sie dann doch ein wenig in Richtung der Grünen. Im Sinne einer „Friedenstaube“, die sie auch sein wolle, appelliert sie an die Kollegen, dass es ein gemeinsames Ziel gebe, das wohl alle im Stadtrat erreichen wollen: „Dass wir München so lebenswert erhalten, wie es ist.“