Brandenburger Tor

exklusiv

Stand: 17.12.2025 18:00 Uhr

Der flüchtige Ex-Wirecard-Manager Marsalek beauftragte offenbar eine Desinformations-Kampagne in Berlin, um die Unterstützung für die Ukraine zu untergraben. Das geht aus Chats hervor, die WDR, NDR und SZ nun einsehen konnten.    

Von Manuel Bewarder, NDR/WDR, und Florian Flade, WDR

Im Mai 2022, wenige Monate nach Russlands Angriff, sollte eine Desinformations-Kampagne gegen die Ukraine mit Schwerpunkt in Berlin stattfinden: mit Aufklebern und Graffitis. So zumindest hatte es Jan Marsalek geplant. Der flüchtige Ex-Vorstand des Wirecard-Konzerns, der sich in Russland aufhalten soll, soll nach Erkenntnissen westlicher Sicherheitsbehörden als Agent für Moskau tätig sein.

WDR, NDR, Süddeutsche Zeitung und dem österreichischen Magazin profil liegen jetzt Chatnachrichten vor, die Marsalek nach seiner Flucht verfasst haben soll. Sie zeigen: Marsalek leitete offenbar aus Moskau per Handychat seinen bulgarischen Kontaktmann Orlin Roussev in Großbritannien an, die Aufkleber- und Graffiti-Aktion durchführen zu lassen.

Auf die Telegram-Nachrichten waren britische Behörden nach der Festnahme Roussevs gestoßen. Er bekannte sich mittlerweile der Spionage für Russland schuldig und wurde – wie andere Bulgaren auch – zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Sie hatten unter anderem eine US-Militäreinrichtung in Deutschland und Russland-kritische Journalisten ausgespäht. Beim Austausch dazu schreckten sie auch nicht vor Mordphantasien zurück.

Das Ziel: die Unterstützung für die Ukraine torpedieren

In weiteren Botschaften, die jetzt ausgewertet werden konnten, tauschen sich die beiden aus, wie sie Aufkleber und Graffiti herstellen können. Die sollten  den Eindruck vermitteln, dass in Berlin Sympathisanten ukrainischer Rechtsextremisten unterwegs seien.

So sollen etwa Motive wie Runen und Wolfsangeln ausgewählt worden sein, auch das Logo des ukrainischen Kampfverbandes „Azov“, der in der Vergangenheit wegen rechtsextremer Verbindungen umstritten war, sich eigenen Angaben zufolge davon inzwischen abgrenzt.

Für den Grünen-Vertreter im Parlamentarischen Kontrollgremium, Konstantin von Notz, ist die Operation beispielhaft für „einen Nadelstich von vielen, vielen anderen“. Er warnt deshalb davor, die Aktion kleinzureden: „Es mag harmlos wirken, aber es gibt einen Effekt mit relativ wenig Aufwand.“  Schon zu Sowjetzeiten waren sogenannte „Aktive Maßnahme ein verbreitetes Mittel, um dem politischen Gegner Schaden zuzufügen: Durch Lügen und Gerüchte sollen Konflikte im Westen befeuert werden.

  

Mehrere Personen für die „Operation Berlin“

Den Chats zufolge schickte Roussev am 1. Mai 2022 mehrere Personen für die „Operation Berlin“ in die Hauptstadt. Marsalek wiederum soll Kontakt zu  seinen Auftraggebern in Russland gehalten haben: „Habe die Berlin-Kampagne mit unseren Freunden besprochen, und sie finden sie toll“, heißt es im Chat. . . „Alle sagen, dass sie von den Medien nicht ignoriert werden kann (…) Der Kindergarten, dass Brandenburger Tor und das Anne-Frank-Museum haben ihnen sehr gut gefallen“.

An prägnanten Orten wie eben dem Brandenburger Tor,  dem Jüdischen Museum, dem Mahnmal für die ermordeten Juden Europas oder an einer Bundeswehr-Rekrutierungsstelle sollten die angeblich pro-ukrainischen, anti-russischen Aufkleber und Graffitis angebracht werden. Die dafür vorgesehenen Personen stellten dann aber überrascht fest, dass aufgrund des 1. Mai viele Polizisten in der Stadt unterwegs waren.    

Marsalek schlug daraufhin vor, die Aktion auf andere Stadtteile  auszuweiten. „Wenn möglich, sollten wir die Azov-Graffitis wahllos in der Stadt verteilen, vor allem auch in ,normalen‘ Gebieten, um die Bevölkerung zu ärgern“, heißt es in einer Nachricht von Marsalek. „Vielleicht sollten wir auch noch in andere Städte gehen, vielleicht ein bisschen in Ostdeutschland und echte Nazis anwerben. Und Wien, Österreich (…) Lass uns überall in der Stadt Azov-Graffitis anbringen. Die Leute müssen wissen, dass die Nazis wieder in der Stadt sind.“  

   

Hinweise auch auf Aktionen in München und Hamburg

Vor Gericht in London hatte eine der Angeklagten zugegeben, mit einem Vertrauten Roussevs in Berlin unterwegs gewesen zu sein: „Er brachte Sticker an verschiedenen Orten an“, erklärte sie und schränkte ein, dass es sich um vielleicht 15 Aufkleber gehandelt habe. Von einer Desinformationskampagne zulasten der Ukraine habe sie nichts gewusst, sagte sie.

Dass die Aktion tatsächlich durchgeführt wurde, belegen auch Aufkleber in Wien. Eine weitere Bulgarin hatte das Stickern gegenüber österreichischen Ermittlern gestanden. Es gibt auch Hinweise auf Aktionen in München und Hamburg.   

Aus den Nachrichten geht außerdem hervor, dass offenbar nicht alles nach Plan lief. Am 4. Mai 2022 schrieb Roussev an Marsalek, dass zwei der Angeheuerten, die „am jüdischen Mahnmal gemalt haben“, festgenommen worden seien.

Erfolge oder Übertreibung?

Roussev meldete aber auch immer wieder Erfolge: Es gebe Bilder und Videos der Klebe- und Sprühaktionen. So sei ein russischer Kindergarten um 4:30 Uhr morgens mit Graffitis bemalt worden. Auch auf der Berliner Mauer habe man Aufkleber hinterlassen. Insgesamt seien 4000 Aufkleber in Berlin verteilt worden. Eine Übertreibung?

Roussev hatte ein geschäftliches Interesse daran, die Aktionen möglichst erfolgreich darzustellen – um dann von Marsalek Folgeaufträge  zu erhalten. Die Berliner Polizei erklärte auf Anfrage, dass ihr zu fast keiner der skizzierten Aktionen Hinweise vorliegen. Sie bestätigte lediglich eine Anzeige im Mai 2022: An einem russischen Kindergarten sei eine Farbschmiererei „im Zusammenhang mit dem Russland-Ukraine-Konflikt“ festgestellt worden.

Laut Staatsanwaltschaft wurde das Verfahren eingestellt, da es keine Hinweise auf die Täter gegeben habe. Die Anwälte von Marsalek und Roussev antworteten bislang  nicht auf Anfragen.

Marsalek wunderte sich laut Chatnachrichten darüber, dass in den Medien nichts von der Aktion zu lesen sei. „Seltsamerweise bis jetzt null in der Presse“, heißt es in einer Nachricht vom 16. Mai 2022. „Die Gegner haben ihre Presse gut gemanagt“. Dass seine bulgarischen Agenten vielleicht am Ende doch nicht so fleißig und erfolgreich waren wie behauptet, kam ihm offenbar nicht in den Sinn – oder er behielt es für sich.