Es soll Menschen geben, die kennen Yoko Ono nur als jene Frau, die an der Seite von John Lennon die Beatles auseinandergebracht hat. Ein eiskalter Engel. Auch wenn Paul McCartney dem häufig widersprochen hat. Es gibt Menschen, die kennen Yoko Ono als Musikerin an der Seite von John Lennon und als politische Aktivistin. Und es gibt eine Zahl von Menschen, die kennen die inzwischen 92-Jährige als Konzept-, Fluxus- und Performancekünstlerin, als Musikerin, Filmemacherin und als Friedensaktivistin, und das seit mehr als 70 Jahren. In Berlin wird die Künstlerin jetzt gleich an drei Orten gewürdigt: im Gropius Bau, in der Neuen Nationalgalerie und beim Neuen Berliner Kunstverein, der ihre Arbeit „Touch“ an der Ecke Friedrichstraße/Torstraße zeigt.
A dream, you dream alone, is only a dream. A dream, you dream together, is reality.
Yoko Ono
Yoko ist mehr als John
„Sie ist die berühmteste unbekannte Künstlerin der Welt: Jeder kennt ihren Namen, aber niemand weiß, was sie macht“, hat John Lennon (1940-1980) einmal über seine Frau Yoko Ono gesagt. Lennon hatte die 33-Jährige 1966 bei einer Kunstausstellung in London kennengelernt. 1969 haben die beiden geheiratet. Als Yoko Ono John 1973 für 18 Monate hinausschmiss, begründete sie das mit den Worten: „Ich brauchte wirklich etwas Freiraum, weil ich gewohnt war, Künstlerin zu sein und so …“ Schon das macht deutlich: Yoko ist mehr als John. Viel mehr. Heute lebt sie zurückgezogen in New York.
Eine Stadt feiert eine Künstlerin. Zu Berlin hat die in Tokio geborene und zeitlebens zwischen Japan und den USA pendelnde Yoko Ono eine besondere Beziehung. Sie bezeichnete die Stadt einmal als „Ort, an dem die Menschen mich verstehen“. Ihren 80. Geburtstag feierte Ono 2013 mit einem Konzert der Plastic Ono Band an der Berliner Volksbühne. Sie habe den Ort „wegen Bertolt Brecht ausgesucht“, sagte sie damals in einem Interview. „Ich liebe Berlin und war schon oft hier. Berlin ist Teil meines Körpers.“
Einladung zum Wünschen
Yoko Onos Werke, lange verkannt, sollen vor allem eines bewirken: mitzutun. Mitzutun am Werk, an der politischen Aktion, an der Auseinandersetzung. So begegnet dem Zuschauer im Gropius Bau – zufällig gegenüber dem Berliner Abgeordnetenhaus – als Erstes im öffentlich zugänglichen Lichthof ein Garten mit Wünschebäumen. Die Arbeit ist eine Einladung an Besucher, ihre Friedenswünsche tatsächlich und ganz persönlich auf kleine Zettel zu schreiben und an die Zweige der Bäume zu hängen. Damit nimmt die Künstlerin Bezug auf ihre Tempelbesuche als Kind in Japan: „Die Bäume in den Innenhöfen der Tempel waren übersät mit solchen Wunschknoten, die von weitem wie weiße Blüten aussahen“, erzählte sie einmal. Seit 1996 zeigt Yoko Ono auf der ganzen Welt Varianten ihres Werks „Wish Tree“.
Wünschebäume stehen im Lichthof des Gropius Bau. Das Werk von Yoko Ono (1996/2025) ist eine Einladung, Friedenswünsche auf Zettel zu schreiben und in die Bäume zu hängen. (Foto: Stefan Koslik)
Im Lichthof des Gropius Bau spiegeln die Bäume, laut Direktorin Jenny Schlenzka, auch die Geschichte des Hauses wider: Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude bei den Luftangriffen auf Berlin 1944 stark beschädigt. Die Kriegsruine blieb bis zum Wiederaufbau 1978 sich selbst überlassen und es wucherten hier verschiedene Laubbäume. „Wish Tree for Berlin“ gibt so nicht nur den aktuellen Wünschen der Besucher und Besucherinnen Raum, sondern bezieht sich auch auf die Vergangenheit dieses Gebäudes.
Im Gedenken an John Lennon
In fast 30 Jahren hat Ono bereits über zwei Millionen Wünsche gesammelt. Sie werden für den „Imagine Peace Tower“ in Island aufbewahrt, den die Künstlerin 2007 zum Gedenken an ihren verstorbenen Ehemann John Lennon entworfen hat. „Denn zuerst ist da eine Idee, und dann stellen wir uns diese Idee als etwas Wirkliches vor. Durch die Vorstellungskraft werden Dinge Wirklichkeit – physische Wirklichkeit“, so die Hoffnung der Künstlerin.
Yoko Ono und John Lennon 1968 (Foto: © Yoko Ono, Foto: Keith McMillan)
Yoko Onos Werk ist durchdrungen vom Friedenswunsch. Was passte besser in diese Zeit? Statt sich auf den Krieg und Zerstörung zu konzentrieren, wie wir es zwangsläufig oft tun, fordert uns Ono bei den „Wish Trees“ (Wünschebäumen) und vielen anderen Werken auf, das Heilende, das Gute zu formen. Nebenan, eine Viertelstunde vom Gropius Bau entfernt, finden sich in der Neuen Nationalgalerie eine Reihe ergänzender Projekte, die nicht nur zum Mitmachen, sondern auch zum Heilmachen auffordern. Eine Instruktion zum Falten von Papierkranichen für den Frieden, die nach und nach den gesamten Ausstellungsraum füllen sollen und an Yoko Onos Heimat Japan nach dem Abwurf von zwei Atombomben Anfang August 1945 am Ende des Zweiten Weltkrieges durch die Amerikaner erinnern.
Schach ganz in Weiß
Beim „Mend Piece“ beteiligt sich das Publikum an einem Akt des Reparierens. Es können zerbrochene Tassen zusammengefügt und mit „Weisheit und Liebe wiederhergestellt“ werden. Im Zentrum eines zweiten Raumes steht ein großer Schachtisch mit 20 Brettern für 40 Spieler mit ausschließlich weißen Figuren („Play it by Trust“). Wer ist der Gewinner? Wer ist der Verlierer? Wer hat angefangen, Weiß? Wer kann die eignen Figuren noch von denen des Gegenübers unterscheiden? „Yoko Ono ist an diesen Tagen so notwendig wie nie“, sagt der Direktor der Neuen Nationalgalerie, Klaus Biesenbach, zugleich einer der Kuratoren der Ausstellung „Yoko Ono: Dream together“. Angesichts von aktuellen Debatten um Kriegstüchtigkeit, Wehrfähigkeit, Wehrpflicht, Terrorismus, Krieg und Handelskrieg ein nachdenkenswerter Ansatz.
Im Kunstwerk „Mend Peace“ (1966/2025) sind Besucher aufgefordert, kaputtes, weißes Porzellan mit Schnüren neu zu gestalten. (Foto: Annette Riedl/dpa)
Yoko Onos „Play it by Trust“ lädt in der Neuen Nationalgalerie bis zu 20 Besucher zum Schachspielen an einer langen weißen Tafel ein. (Foto: Stefan Koslik)
Schon im Foyer des unteren Raumes der Neuen Nationalgalerie, die sich zu besuchen in diesen Tagen im Übrigen auch wegen der neuen Ausstellung „Gerhard Richter. 100 Werke für Berlin“ lohnt, wird der Gast eingeladen, sich selbst zu reflektieren. Flusssteine sollen auf Haufen sortiert werden, die die eigene Befindlichkeit widerspiegeln: „Mound of Joy“ oder „Mound auf Sadness“ (Hügel der Freude oder Hügel der Traurigkeit)? Das Resultat des Tages widerspiegelt die Stimmung des Publikums Abend für Abend.
Zuschauen tut weh
Yoko Ono ist auch eine frühe feministische Künstlerin. Die Ausstellung „Music of the Mind“ (Musik des Geistes) mit 200 Werken im Gropius Bau spiegelt ihr gesamtes Schaffen seit den 50er-Jahren. Die Ausstellung war schon in etwas kleinerer Variante in London und in Düsseldorf zu sehen. 1964 wurde „Cut Piece“ uraufgeführt, im Gropius Bau sind zwei dieser dokumentierten Performances zu sehen. Ono sitzt auf der Bühne und Menschen dürfen hochkommen und mit einer Schere Stücke ihrer Kleidung abschneiden und mitnehmen. Vor allem Männer gehen dabei oft zu weit. Es wird gewaltvoll, es tut weh. Schon beim Schauen. Die Arbeit machte Ono zur Vorreiterin feministischer Konzeptkunst. Noch mit 70 Jahren hat sie selbst diese Perfomance durchgeführt. In „Cut Piece“ liefert sie sich dem Publikum scheinbar schutzlos aus. Später in „Bag Piece“ und „Strip Tease for Three“ verschiebt sich der Fokus von der Bühne auf das Publikum.
1964 wurde „Cut Piece“ von und mit Yoko Ono uraufgeführt, im Gropius Bau sind zwei dieser dokumentierten Performances zu sehen. (Foto: © Yoko Ono, Foto: Minoru Niizuma)
„Was Yoko Ono uns mitgibt, ist viel Großzügigkeit und viel Liebe“, sagt die Kuratorin der Ausstellung im Gropius Bau, Patrizia Dander. Auch nachdem John Lennon 1980 im Alter von 40 Jahren vor seiner Wohnung in New York von einem „Fan“ erschossen wurde, hat Yoko Ono ihre Kunst in den Dienst des Friedens gestellt, weiter zum Beispiel ihre ganzseitigen „War is over! If you want it“-Anzeigen in der New York Times und in anderen Zeitungen geschaltet, die in der Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie ebenfalls zu sehen sind. Und das ist ganz das Gegenteil von dem, was Yoko Ono zur Zeit der Beatles-Auflösung nachgesagt wurde: Sie ist nicht die 13. Fee, die Böse, die den Musikprinzen in einen 100-jährigen Schlaf schickte. Wenn überhaupt, dann ist sie ein guter Geist in unserer bösen Zeit.
Infos
Music of the Mind: Gropius Bau, Stresemannstr. 110, bis 31. August; Mi bis Mo 12-19 Uhr, Sa/So 10-19 Uhr; Dream together: Neue Nationalgalerie, Potsdamer Str. 50, bis 14. September; Di bis Mo 10-18 Uhr, Do bis 20 Uhr; Billboard: Der Neue Berliner Kunstverein an der Ecke Friedrichstraße/Torstraße, bis 31. August.