Versiegelung statt Vorsorge
Ein Lehrstück über die Geschwindig­keit des Klima­wandels und die Trägheit der Verwaltung

Von der Hoffnung auf eine „Schwamm­stadt“ zur „Roten Karte“ im Hitze­check: Der Schlag­abtausch zwischen der Augs­burger Baum­allianz und Umwelt­referent Reiner Erben offenbart eine tiefe Kluft zwischen strate­gi­schem Anspruch und städti­scher Realität bei der Klima­anpassung.

Von Bruno Stubenrauch

„3.001 gefällte Bäume nicht ersetzt“ (Symbolbild)

In der Politik ist die objektive Würdi­gung der gelei­steten Arbeit ein rares Gut. Danach sehnte sich Umwelt­referent Reiner Erben (Grüne) jüngst in einem Antwort­schreiben an die Baum­allianz Augsburg auf deren Offenen Brief vom Juli 2025. Doch die Umwelt­schützer denken nicht an Applaus. In ihrem neuesten Brandbrief vom 17. Dezember – eine Replik auf Erbens Vertei­di­gungs­rede – legen sie den Finger tiefer denn je in die Wunde einer Stadt, die zwischen technisch-histori­schen Zwängen und öko­logi­scher Not­wen­dig­keit fest­zu­stecken scheint.

Eine Chronologie des Konflikts

Der Konflikt entzündete sich im Juli an einer „Roten Karte“ der Deutschen Umwelt­hilfe (DUH) für Augsburg. Die Baum­allianz griff das Ergebnis des DUH-Hitze­checks auf: Augsburg versinke in Asphalt. Trotz der Lage zwischen zwei Flüssen leide die Stadt unter Hitze, vor allem wegen ihrer Ver­sie­ge­lung von über 50 Prozent. Die Forde­rungen: ein sofortiger Stopp von Baum­fällungen, die Um­wand­lung von Park­plätzen in Grün­flächen und die konse­quente Umsetzung einer „Schwamm­stadt“, die Regen­wasser speichert, statt es ungenutzt abzuleiten.

Reiner Erben konterte im Herbst diplo­matisch, aber bestimmt: Er verwies auf die 2.000-jährige Stadt­geschichte, die engen Räume im Bestand und die „unsicht­baren“ Hindernisse – ein Wirrwarr aus Glasfaser-, Gas- und Fern­wärme­leitungen im Boden, das Neu­pflan­zungen oft un­möglich mache. Man handele bereits, so Erben, etwa in der Pilger­haus­straße, wo Parkplätze Bäumen wichen. Doch Klima­anpassung sei teuer, personal­intensiv und eben keine „kommu­nale Pflicht­aufgabe“.

Die Replik: „Daseinsvorsorge ist keine Frei­willigkeit“

Genau hier setzt die Baumallianz nun zu ihrem jüngsten, rheto­risch geschlif­fenen Gegen­schlag an. Es gehe ihr nicht um persön­liche Angriffe, sondern um das „Vorsorge­prinzip“. Dass die Stadt­ver­waltung Klimaschutz intern als freiwillige Aufgabe ohne reguläre Ressourcen einstufe, sei das Kern­problem.

Die Allianz rechnet vor: 3.001 Bäume seien im Stadtgebiet aktuell nicht nach­gepflanzt worden – ein „Baum­stumpf­melder“ dokumen­tiere das Ver­säumnis. Während Städte wie München bereits seit 1996 Freiflächen­gestaltungs­satzungen nutzen, um Grün bei Bau­vorhaben verpflich­tend vorzu­schreiben, fehle ein solches Instru­ment in Augsburg bis heute.

Besonders scharf kritisiert die Allianz das geplante Bau­vor­haben am Uni­versi­täts­klinikum: Dass dort eine wichtige Frischluft­schneise bebaut werden soll, obwohl alter­native Flächen bereit­stünden, sei das Gegenteil von voraus­schau­ender Planung.

Die „Grüne Stadt“ als Standortvorteil

Der Brief der Baumallianz ist mehr als eine Mängelliste; er ist ein Plädoyer für ein Stadt­ver­ständnis nach der „Neuen Leipzig-Charta“. Eine grüne Stadt sei kein Luxusgut, sondern eine Frage der Gesund­heit. Wissen­schaft­liche Daten der TU München würden dies stützen: Ein Grün­anteil von 35 bis 40 Prozent könne die gefühlte Tempe­ratur um bis zu zehn Grad senken. Das Argument des Einzel­handels, jeder weg­fallende Parkplatz schade dem Geschäft, lässt die Allianz nicht gelten. Studien hätten längst gezeigt: Menschen kaufen lieber dort ein, wo es schattig und einladend ist.

Appell an den scheidenden Referenten

Der Ton zwischen Umweltamt und Allianz bleibt höflich, doch die Fronten scheinen verhärtet: Während die Ver­wal­tung auf „laufende Teil­aspekte“ und „begrenzte Budgets“ verweist, sieht die Baum­allianz die Stadt sehenden Auges die CO2-Ziele und die Netto-Null-Ver­siege­lungs­vorgaben des Freistaats reißen.

Der Appell zum Ende ihres Schreibens ist fast schon ein Ver­mächtnis an den scheiden­den Refe­renten: Reiner Erben möge sich in seinen letzten Monaten im Amt mit aller Kraft für echte Maß­nahmen statt für weitere Gutachten einsetzen. Denn die Hitze des nächsten Sommers werde sich nicht mit Ver­weisen auf kompli­zierte Leitungs­pläne kühlen lassen.

Artikel vom

18.12.2025

| Autor: Bruno Stubenrauch
Rubrik: Ökologie, Politik, Umwelt