Ein solcher Ort, dessen ursprüngliche Bestimmung vergessen ist, findet sich nördlich des Aussichtsturms, zwischen Höhencafé und „Milchbar“. Vor einem dicht bewachsenen Erdwall breitet sich dort eine baumbestandene Wiese aus, die von einer hüfthohen Mauer im Halbrund umfasst ist. Ihren Anfang markiert ein steinernes Haus, dessen Nordseite von einer Apsis begrenzt ist – einer Kapelle nicht unähnlich.
Das Kreuz ist wohl ein Relikt der Reichsgartenschau 1939 in Stuttgart
Noch mysteriöser: Im nahen Unterholz, überwuchert von Bäumen und Sträuchern, wacht auf einem Hügel ein moosbewachsenes Steinkreuz über das Areal. Wer die stark verwitterte Inschrift entziffert, kann den Namen „Manfred“ lesen. Kein Nachname. Keine Lebensdaten.
Ein unbekanntes altes Grab mitten im Park? Kaum vorstellbar. Befanden sich doch auf dem Gelände einst jahrhundertelang Steinbrüche. Tatsächlich dürfte dieses im Gebüsch verborgene Kreuz daran erinnern, dass auf der Reichsgartenschau 1939 an diesem Ort ein sogenannter Musterfriedhof angelegt war. Besucher der Schau sollten hier erfahren, wie sich die Ideologen des Nationalsozialismus die Bestattungskultur im „tausendjährigen Reich“ vorstellten.
Das im Unterholz verborgene Kreuz zeugt wohl von dem Musterfriedhof bei der Reichsgartenschau 1939. Foto: Torsten Schöll
Günter Riederer, Mitarbeiter im Stadtarchiv Stuttgart, versucht seit geraumer Zeit, über diesen weitgehend vergessenen Musterfriedhof mehr zu erfahren. „Jede Beschäftigung mit dem Höhenpark“, sagt er, „führt automatisch in die NS-Vergangenheit der Stadt.“ In diesem Sinne sei der Park, der doch eigentlich dem Vergnügen gilt, „doppelgesichtig“.
Im „Amtlichen Führer zur Reichsgartenschau 1939“ ist der „Musterfriedhof“ verzeichnet. „Eine Erfindung der Nationalsozialisten war er aber nicht“, sagt Riederer. Schon zuvor und auch später habe es im Rahmen von Gartenschauen immer wieder Ausstellungen zur Gräbergestaltung gegeben. Echte Grabstätten wurden das nie, so auch nicht auf dem Killesberg.
Historiker des Stadtarchivs in Stuttgart: Zutiefst politische Angelegenheit
„Eine zutiefst politische Angelegenheit“ nennt der Historiker des Stadtarchivs die Bestattungskultur im Nationalsozialismus. So legten beispielsweise bereits 1937 Richtlinien fest, dass bei der Grabgestaltung tunlichst „anzustreben“ sei, „den Gedanken der Volksgemeinschaft stärker als bisher zum Ausdruck zu bringen“. Des Weiteren mahnte das Reichsministerium des Inneren 1941 in einem „Merkblatt“ an, für Grabmale „schöne Natursteinarten“ aus „deutscher Erde“ zu verwenden. Selbst in Bezug auf die Grabbepflanzung sollte „das Fremde“, nach dem Willen der Nazis, „ausgeschlossen“ werden.
In Bildbänden zur Reichsgartenschau sind auf dem Musterfriedhof im Höhenpark unter anderem Grabsteine mit Hakenkreuzen zu erkennen, die der Stuttgarter Bildhauer und Kunstprofessor Alfred Lörcher entworfen hat. Die Gesamtgestaltung des Schaufriedhofs verantwortete der Degerlocher Gartenarchitekt Adolf Haag.
Einen Einblick in dessen Ideen zur nationalsozialistischen Grabkultur lieferte Haag in einem Beitrag für die Zeitschrift „Gartenkunst“: Darin forderte er die „sichtbare Unterordnung des Einzelgrabs“ sowie eine „Einheitlichkeit der Grabmale“.
Für heutige Besucher des Parks in Stuttgart sind die Relikte schwer einzuordnen
Die ganze Friedhofsanlage sollte „bestimmt sein von der Idee der Gemeinschaft“. Selbst entwarf der Stuttgarter Gartenarchitekt für den Musterfriedhof der Reichsgartenschau, ein archaisch anmutendes „Sippengrab“, wofür er schmale Grabstelen im Kreis anordnete.
Das Steingebäude am Rand der Wiese, das zugleich den Durchgang in den Friedhofsbereich bildet, wird 1939 noch als „Feierhalle“ bezeichnet. Anlässlich der Deutschen Gartenschau elf Jahre später, die ebenfalls in Stuttgart stattfand, wird dasselbe Bauwerk dann „Kapelle“ genannt und ist erneut Teil eines Musterfriedhofs, so Riederer, den wieder Haag konzipierte.
Heute kann der Parkbesucher mangels erklärender Tafeln vor Ort nicht mehr nachvollziehen, welchen Zweck Mauer und Kapelle einst hatten. Die Mustergräber sind längst verschwunden. Nur wer das etwas abseitsstehende Kreuz im Unterholz entdeckt, von dem auch Günter Riederer nicht weiß, in welchen Zusammenhang es zu dem verschwundenen Friedhof steht, erhält einen verborgenen Hinweis.