Ein Ort, der immer leise war, kann trotzdem fehlen. Still schlossen sich im Dezember 2025 die Türen des Restaurant-Biergartens Luise nach über 55 Jahren als Treffpunkt und Wohnzimmer Dahlems. Mit der Luise geht ein Ort verloren, der viel vom Lebensgefühl des Stadtteils ausmachte.

Wer nach Dahlem fährt, studiert meist oder wohnt hier. Der kleine Ortsteil im Berliner Südwesten ist selten Ziel für Streifzüge durch die Stadt, kein Ort, den man sich aussucht, wenn man Berlin in all seiner kulturellen und kulinarischen Dichte erleben will. Großstadt-DNA lässt sich hier nur in Spuren finden. Stattdessen wähnt man sich zwischen dem Nordeingang des Botanischen Gartens und der Clayallee, direkt am Grunewald, im Osten Dahlems, in einem Dorf, das nicht so recht passen will zur Stimmung dieser lauten, schnellen, übersättigten Metropole.
Nein, der Dorfkern von Dahlem ist kein Ort der großen Verlockungen. Die Domäne, der alteingesessene Alte Krug, ein paar Traditionsgeschäfte, viel Grün – und die Museen. Wobei ausgerechnet die bedeutendsten davon, das Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst, ihre Dauerausstellungen inzwischen im Humboldt Forum in Mitte zeigen. Geblieben ist vor allem das Museum Europäischer Kulturen – dazwischen gemütliche, stille Straßen, Villen und Vogelgezwitscher.
… und dann war da die Luise
Die Luise war ein Ort, der nie laut sein musste, um wichtig zu sein. Ein Biergarten, ein Restaurant, ein Treffpunkt – seit den 1960er-Jahren fester Bestandteil dieses Dahlems, das selten Schlagzeilen macht, aber umso stärker von seiner Kontinuität lebt. Direkt an der Königin-Luise-Straße gelegen, war die Luise nicht nur für Studierende der Freien Universität ein beliebter Ort für Bier, Gespräche und gemeinsames Fußballschauen, sondern für Familien und Nachbar:innen gleichermaßen: der große Biergarten bot Platz für hunderte Menschen unter schattenspendenden Kastanien, mit klassischer deutscher Küche, saisonalen und internationalen Spezialitäten und einem kleinen Spielplatz für Kinder.
Ursprünglich sollte die Luise zum 31. Dezember 2025 endgültig schließen, doch schon im Dezember 2025 wurden die Türen vorzeitig dichtgemacht. Die wirtschaftliche Lage, steigende Kosten und die Nachwirkungen der Pandemie haben den langjährigen Betrieb letztlich zu diesem Ende gezwungen. Dort, wo einst an lauen Abenden und langen Wochenenden gegessen, gelacht und debattiert wurde, entsteht jetzt Platz für etwas Neues, aber ein Ort des Miteinanders geht verloren.
Mit der Luise verliert Dahlem nicht nur einen Biergarten, sondern einen der wenigen Orte, an denen öffentliches Leben stattfand, generationsübergreifend, ohne sich je neu erfinden zu müssen. Dass ihr Ende leise kam, passt zur Luise. Und leider auch zu Dahlem.
Nun für immer ein Ort der Erinnerung
Ich bin in Dahlem aufgewachsen, seit ich fünf Jahre alt war. Seit Jahren wohne ich in Kreuzberg, bin aber mehrmals die Woche zu Hause. Meine letzte schöne Erinnerung an die Luise spielt im Sommer vor zwei Jahren. Das Restaurant hatte die Corona-Pandemie überstanden. Für die Gäste ging es augenscheinlich weiter wie zuvor, auch wenn die Luise seit der Pandemie hinter den Kulissen wirtschaftlich zu kämpfen hatte.
Ein Frühsommertag. Ich schlendere hungrig in den Biergarten und freue mich auf die große Karte, die es in Dahlem nur in der Luise gab: Quinoa-Salat, Schnitzel, Pizza – alles in guter Qualität, alles lecker. Gemeinsam mit meinem Mann möchte ich ein, zwei Stunden im Schatten der Kastanienbäume sitzen. Einfach Mittag essen, reden und die Atmosphäre genießen.
Da sehe ich eine Frau an einem der Biertische sitzen. Neben ihr ein Mann mit dunklen Locken, und plötzlich bin ich wieder sechs Jahre alt. Ich erkenne die Mutter meiner Grundschulfreundin sofort. Sie hat sich kaum verändert, nur die Falten um die Augen sind etwas tiefer geworden. Der Mann neben ihr ist, so glaube ich, der kleine Bruder meiner Schulfreundin, den ich zuletzt gesehen habe, als er zwei Jahre alt war. Ich weiß nicht einmal mehr ihren Namen, aber ich kenne sie so gut. Auch sie erkennen mich sofort und begrüßen mich voller Freude. In ihren Augen bin ich wahrscheinlich noch das kleine Mädchen mit den blonden Zöpfen, und doch ist es ganz selbstverständlich, dass wir uns hier – in der Luise – wiedersehen.
Schon als Kind bin ich mit ihrer Tochter lachend zwischen den Tischen der Luise herumgerannt, während unsere Eltern sich unterhielten, wir haben Fangen gespielt und Kieselsteine gesammelt. Es ist eine typische Begegnung für Dahlem, wo viele Familien seit Generationen wohnen. Und es ist eine typische Begegnung für die Luise. Ein Ort, an dem man sich ungezwungen über den Weg lief. Ein Ort ohne Anlass, Pose oder Eile. Die Luise war ein Ort, um Erinnerungen zu machen – und um erinnert zu werden.
Wo früher Familien feierten, soll jetzt gebaut werden
Berlin verändert sich schnell. Dahlem indes ist ein Ort geblieben, an dem vieles langsamer vonstattengeht. Gentrifizierung spielt in dem wohlhabenden Stadtteil eine untergeordnete Rolle, an vielen Stellen scheint die Zeit stillzustehen. Vielleicht ist es genau diese Eigenschaft, die einen nicht mehr loslässt, wenn man einmal in Dahlem gelebt hat.
Mit der Schließung der Luise ist nun dennoch etwas in Bewegung geraten. In den Medien war zu lesen, dass der Besitzer plant, auf dem Gelände des Biergartens acht Wohnungen zu errichten. Das Gebäude selbst soll erhalten bleiben und künftig neu verpachtet werden. Was dort entstehen wird, ist noch offen. Vielleicht gewinnt Dahlem an dieser Stelle einen neuen Ort. Keinen, der Menschen aus ganz Berlin anzieht, keinen neuen Hotspot. Sondern einen Ort für den Stadtteil selbst. Einen Ort, an dem Dahlemerinnen auf Dahlemer treffen.
Einen Ort, der beständig ist, und der wieder Raum schafft für genau das, was die Luise so lange ausgemacht hat: Alltag, Begegnung, Erinnerung.
Wenn wir schon mal da sind! Wir geben euch einen Überblick über den ruhigen Stadtteil Dahlem. Noch kein Ticket für die U3 Richtung Krumme Lanke gekauft? Dann sind hier weitere gute Gründe, um einen Ausflug nach Dahlem zu planen. Wie bei allen Klischees, ist auch an den gängigen Dahlem-Vorurteilen etwas dran! Auf diese 12 „Dahlem-Typen“ trefft ihr im vornehmen Süden fast immer! Übrigens: Nur einen Katzensprung von Dahlem entfernt befindet sich die beliebte Shoppingmeile Schloßstraße. Die Einkaufsstraße ist nur ein guter Grund, um noch heute nach Steglitz zu fahren – wir kennen noch mindestens 11 weitere. Alle besonderen Seiten Berlins entdeckt ihr in unserer Stadtleben-Rubrik.
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