Schnoddrig zwischen Berlin und Hollywood: Die Schauspielerin und Sängerin Hildegard Knef veränderte mit Filmen, Büchern und Chansons das Selbstbild der Nachkriegsdeutschen. Jetzt wäre sie 100 Jahre alt geworden.
Das Feuer lodert im Kamin. Auf dem Sims steht eine geflügelte Engelsstatue, und darüber hängt ein großformatiger Frauenakt. Eine Szene, wie gemacht für ein Liebespaar. Und so zoomt die Kamera dann auch weiter heraus auf eine blondgelockte Frau im schwarzen Abendkleid und einen Mann mit Anzug und Krawatte, wie sie mit zwei Gläsern anstoßen.
Sie nippt nur kurz, er ext – und lehnt sich dann zurück, um die Augen zu schließen. „So lange habe ich es abzuwenden versucht“, hört man die Stimme der jungen Hildegard Knef aus dem Off. Sie klingt rau und warm, zugleich etwas müde. „Nun ist es geschehen“, fährt sie fort. „Es ist Wahrheit geworden. Du stirbst. Und ich hab’ dich umgebracht.“
Was wirkt wie der Auftakt eines Kriminalfilms, gehört zu einer Tragödie, die extrem ungewöhnlich war für die Nachkriegszeit, denn sie handelt offenherzig und empathisch von Doppelmoral und weiblicher Selbstbestimmung. „Die Sünderin“ markiert im Jahr 1951 zudem den endgültigen Durchbruch einer der wichtigsten deutschen Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts: Hildegard Frieda Albertine Knef, oder kurz: Hilde beziehungsweise die Knef. Im Erscheinungsjahr war sie 25 Jahre und ahnte weder, dass sie schon bald in Hollywood Marilyn Monroe und Marlene Dietrich als beste Freundinnen haben sollte, noch etwas von den Krisen, die ihr bevorstanden.
Was viele nicht wissen: Hildegard Knef, Prototyp einer Berlinerin, kam 1925 im schwäbischen Ulm zur Welt. Erst nachdem ihr Vater ein Jahr nach ihrer Geburt an Syphilis gestorben war, zog ihre Mutter nach Berlin. Die Hauptstadt fieberte und glitzerte da noch, zugleich bewegte sie sich bereits auf den Abgrund zu. Die Filmleidenschaft der jungen Knef zeigte sich früh, allerdings wurde ihre Jugend vom Krieg überschattet – inklusive Bombennächten, Angst und Hunger.
Beklemmend detailliert beschrieb sie die Zeit im Bunker später in ihrer international gefeierten Autobiografie „Der geschenkte Gaul“: „Wir saßen auf unseren Taschen, dämmriges Licht, das zuckend aus- und anging, Kinder, die schrien, ein alter Mann, der beim letzten Angriff seine Frau verloren hatte und uns immer wieder ein Foto von ihr zeigte, Flaksoldaten, die mit benagelten Schuhen die Gänge langschlidderten wie Kinder auf einem zugefrorenen Teich. Sprechen war verboten, draußen brannte es, und immer dieses sinnlose Geblubber der Flak auf dem Bunkerdach.“
Knef arbeitete in den letzten Kriegsjahren als Zeichnerin und besuchte die Schauspielschule der Ufa in Berlin-Babelsberg, die Teil der nationalsozialistischen Propagandaindustrie war. Später sollte sie sagen: „Ich war jung, schön, verliebt – und der Krieg war ein Arschloch.“
Kaum herrschte Frieden, wurde sie zur Symbolfigur des neuen deutschen Kinos, wie das ARTE-Porträt zu ihrem 100. Geburtstag zeigt („Hildegard Knef – So oder so ist das Leben“ – Freitag, 19.12. um 21.45 Uhr, bis 18. 3. 2026 in der ARTE-Mediathek verfügbar.) In Wolfgang Staudtes „Die Mörder sind unter uns“ (1946), dem ersten deutschen Kinofilm nach dem Zweiten Weltkrieg, verkörperte Knef eine KZ-Überlebende, die sich mutig dem moralischen Ballast der Zeit stellt.
Hildegard Knef: Der Skandal machte sie zur Legende
Das Publikum sah in ihr das Bild einer neuen Weiblichkeit: verletzlich, stolz, sinnlich – und kompromisslos echt. Doch als sie in „Die Sünderin“ die erste Nacktszene des Nachkriegskinos spielte, bekam sie die Kehrseite des Ruhms zu spüren.
Kirchenvertreter protestierten, Politiker schimpften – und Hildegard Knef? Sie zuckte die Schultern. „Ich hab mich nicht ausgezogen, um jemanden zu schockieren. Ich hab nur gespielt, was im Drehbuch stand.“ Der Skandal schadete ihr letztlich nicht – im Gegenteil. Er machte sie zur Legende.
Vom provinziell anmutenden Aufruhr in Deutschland angewidert, zog Knef nach Hollywood. Dort wollte sie ihre Karriere neu schreiben, den amerikanischen Traum leben. Sie drehte unter anderem mit Gregory Peck, Errol Flynn und Henry Fonda. 1955 debütierte sie zudem am Broadway in New York in dem Musical „Silk Stockings“ von Cole Porter.
Ihr unverwechselbarer Tonfall und ihre Mischung aus rauer Milde und Melancholie faszinierten das internationale Publikum. Doch auch in den USA blieb sie eine Außenseiterin: zu deutsch, zu eigenwillig, zu wenig bereit, sich glätten zu lassen. Knef wandte sich schließlich wieder verstärkt ihrer Heimat zu, wo man sie endlich als das erkannte, was sie immer war: eine Künstlerin zwischen den Welten.
Ganz in diesem Sinne erfand sich Knef in den 1960ern noch mal neu – als Chansonsängerin. Ihr Stück „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ wurde zur Hymne einer Frau, die sich nicht mehr entschuldigen wollte. Ihre Lieder waren autobiografisch und von einer tiefen Sehnsucht nach Würde und Eigenständigkeit getragen.
Sie sang, was sie lebte: von gescheiterten Ehen, von Krankheit, von Selbstzweifeln – und von ihrer unzerstörbaren Lebenslust.
Bis zu ihrem Tod im Jahr 2002 blieb Hildegard Knef ein Ausnahmephänomen mit der Aura einer Bilderbuch-Diva, die zwischen dem Glamour auch Verletzlichkeit zuließ. Ihren inneren Kompass besang sie in einem ihrer Lieder so: „Will nichts vom Leben und leb’ irgendwie. Ich glaub’, ’ne Dame werd’ ich nie.“ Am 28. Dezember wäre sie 100 Jahre alt geworden.