Leipzig. In der Welt von Instagram ist Melanie Müller (37) an diesem Donnerstag noch auf Mallorca. „Sonnige Frühstücksgrüße von der Playa“ steht unter einem Bild, das die Ballermann-Sängerin unter Palmen mit einem Weinglas zeigt. Kurze Zeit nach diesem morgendlichen Post betritt sie den Sitzungssaal 115 im Leipziger Landgericht. Im Berufungsprozess gegen die gebürtige Oschatzerin geht es um die Frage, ob die Blondine bei einem Auftritt vor mehr als drei Jahren in Leipzig den Hitlergruß gezeigt hat.
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Vom Amtsgericht war die frühere RTL-Dschungelkönigin im August 2024 wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Sie legte dagegen Rechtsmittel ein. „Das Ziel der Berufung ist ein Freispruch“, sagt ihr Anwalt Adrian Stahl.
Videos scheinen Tatvorwürfe zu bestätigen
Über eine große Leinwand im Gerichtssaal flimmern Handyvideos des inkriminierten Auftritts. Sie scheinen das zu bestätigen, was der Partysängerin zur Last gelegt wird. In der Nacht zum 18. September 2022 soll sie beim Oktoberfest der Rocker-Gruppierung „Rowdys Eastside“ zu „Ost, Ost, Ostdeutschland“-Rufen achtmal ihren rechten Arm gehoben haben. Die Menge grölte „Sieg Heil“, mindestens ein Besucher zeigte ebenfalls den Hitlergruß.
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Doch am Landgericht geht es nicht so sehr um das, was zu sehen ist. Eher darum, wie man es zu verstehen hat. Hat es die Blondine billigend in Kauf genommen, dass ihre Armbewegung als Hitlergruß verstanden wird? Dies hatte das Amtsgericht angenommen, während die Staatsanwaltschaft damals von einem „Augenblicksversagen“ aufgrund alkoholbedingter Enthemmung sprach. Eine verfassungsfeindliche Absicht mochte ihr auch die erste Instanz nicht unterstellen.
Tontechniker warnte vor Nazi-Parolen
Für Verteidiger Stahl war es schon deshalb kein Hitlergruß, weil dieser mit flacher Hand schräg nach oben bis auf Augenhöhe gestreckt werde. Seine Mandantin habe ihre Hand hingegen deutlich höher gehalten – als unpolitische Geste zum Anfeuern der Menge. Flankierend ist das Video eines Auftritts mit Kindergartenkindern zu sehen, bei dem Müller ihren rechten Arm gleichermaßen bewegt.
Es ist nur eine Vermutung, dass sie die Rufe gehört hat.
Adrian Stahl
Verteidiger von Melanie Müller
Interpretationsspielraum bieten auch die Rufe: Seine Mandantin habe auf „Zicke Zacke, Zicke Zacke“ nicht „heil, heil, heil“ gerufen, sondern „hoi, hoi, hoi“. Zumindest Teile des Publikums haben die Vorlage weniger verfassungskonform genutzt. Ebenso wie bei einem anderen Müller-Song: „Dieses Leben ist … geil, geil, geil“, sollte das Zusammenspiel zwischen Künstlerin und Fans üblicherweise lauten. An jenem Abend, erinnert sich Müller, habe sie ihr Tontechniker angestupst und darauf hingewiesen, dass einige NS-affine Zuschauer etwas anderes gerufen hätten, was so ähnlich klingt.
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Konzert wurde damals abgebrochen
Nach etwa 15 bis 20 Minuten habe sie das Konzert abgebrochen. Vorher will sie nichts von den Nazi-Parolen mitbekommen haben. „Es ist nur eine Vermutung, dass sie die Rufe gehört hat“, meint der Verteidiger. „Ein Beweis kann nicht geführt werden.“ Zumal sie bei dem Halbplayback-Auftritt In-Ear-Kopfhörer mit Geräuschunterdrückung getragen habe.
Sprachnachrichten nach dem Auftritt scheinen dies zu untermauern. „Ich habe das echt nicht geschnallt“, ist Müller in einem Chat zu hören. Andererseits gibt es da diese Warnungen des früheren Reality-TV-Sternchens an ihr Publikum: „Wenn hier irgendwas davon an die Öffentlichkeit kommt, verliere ich meinen Job“, soll sie sinngemäß gesagt haben, „ich hoffe, das bleibt alles unter uns.“
Sängerin will ihr Einkommen offenbaren
Widersprüchliches ist auch zu ihrem Alkoholkonsum am fraglichen Abend zu hören. Der Verteidiger spricht von einer leichten Alkoholisierung. Müller selbst beschreibt ihre Verfassung vor dem Auftritt schonungsloser: „Eigentlich war da schon Sendepause.“
Überhaupt fällt bei diesem Berufungsprozess auf: Melanie Müller ist gesprächiger als vor dem Amtsgericht. Selbst zu ihrem Einkommen wolle sie Angaben machen, kündigt ihr Anwalt an. In der ersten Instanz schwieg sie dazu. Der Richter schätzte es daher anhand eines „auffällig luxuriösen Lebensstils“ und verhängte eine üppige Geldstrafe von 160 Tagessätzen á 500 Euro – insgesamt also 80.000 Euro.
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Eine wichtige Zeugin blieb am Donnerstag fern
Enthalten war darin auch eine Strafe wegen Drogenbesitzes. Bei einer Durchsuchung ihrer Wohnung im August 2023 wurden 0,69 Gramm Kokain-Gemisch und eine Ecstasy-Tablette entdeckt. Mehr als 50 Handtaschen habe man im Kleiderschrank gefunden, erinnert sich ein Finanzbeamter im Zeugenstand. In zwei Taschen sei das Rauschgift gewesen. Müller weist auch diese Vorwürfe zurück: Die Drogen gehörten nicht ihr, sondern einer Bekannten, die im Gästezimmer geschlafen hat.
Nach drei Stunden ist der erste Prozesstag beendet, weil eine wichtige Zeugin fernblieb. Weiter geht es im Januar.
LVZ