Machen wir uns für einen Moment ehrlich: Auf der Weltkarte des Pop ist die Schweiz zwar kein dunkler Fleck, keine Mad-Max-mäßige Wüstenlandschaft, aber beileibe auch keine Supermacht. Lange Zeit fielen einem, wenn es um Schweizer Musikexporte ging, vor allem der ewig tanzende DJ Bobo, Yello und die Hard-Rocker von Gotthard ein. NDW-Fans wussten mit dem Chansonnier Stephan Eicher etwas anzufangen. Und Eingeweihten sagte vielleicht noch der Name Andreas Vollenweider etwas, der Zürcher Harfenist heimste international Erfolge ein, schaffte es sogar mal in die US-Charts.
Ansonsten exportierten die Eidgenossen lange zwar viel Käse, Schokolade und Uhren, aber keine musikalischen Beiträge zur Popkultur. Seit ein paar Jahren ist das nun anders. Da wächst eine junge Generation an Musikern heran, die dies- und jenseits der Alpen ihr Publikum begeistert. Luca Hänni, Stefanie Heinzmann, Bonaparte, DJ Antoine, Monet192, Loredana, Faber und Steiner & Madlaina haben in den letzten Jahren bewiesen, dass Schweizer Musik mehr als Jodeln (jetzt dort übrigens Immaterielles Weltkulturerbe) und Alphorn umfasst.
Liebling des Feuilletons
Sophie Hunger, die immer zwischen Indie-Rock, Jazz und Folk rangiert, ist in dieser Hinsicht vielleicht die Vorhut gewesen. Ein Türöffner. Seit 2002 macht die mittlerweile in Berlin lebende Künstlerin mit der warmen Stimme Musik, zunächst als Sängerin bei den Gruppen Superterz und Fisher, seit 2006 solo. Damals legte sich die in Bern geborene Diplomatentochter, die eigentlich Emilie Jeanne-Sophie Welti heißt, den Künstlernamen „Sophie Hunger“ zu, Hunger ist der Mädchenname ihrer Mutter.
Schon ihr erstes, im Selbstvertrieb veröffentlichtes Album „Sketches on Sea“ fand Beachtung, der Durchbruch gelang ihr dann mit dem zweiten Album „Monday’s Ghost“ (2008). Als erste Schweizer Künstlerin überhaupt wurde sie hernach zum legendären Glastonbury-Festival (2010) eingeladen. Neun Alben sind bislang erschienen, daneben hat Hunger aber auch die Schauspielerei und das Schreiben für sich entdeckt. Zunächst als Kolumnistin (für die „Zeit“), nun auch als Schriftstellerin.
Roman baut auf Song auf
In diesem Jahr hat Hunger ihren Debütroman veröffentlicht. „Walzer für Niemand“ heißt der, benannt nach einem berührenden Song von ihr aus dem Jahr 2008, damals erschienen auf ihrem zweiten Album „Monday’s Ghost“. Die Idee dazu hatte Hunger schon vor rund 20 Jahren. „Es gibt eine Theorie unter Songwritern – ich weiß nicht, ob das vielleicht bei Schriftstellern sogar ähnlich ist –, die lautet: Ihr schreibt eigentlich immer dasselbe Lied, nur in anderen Variationen. Ich habe mich daraufhin gefragt, welcher Song das bei mir sein könnte, der phänotypisch für alle meine Werke steht. Das wäre dann wohl ,Walzer für Niemand’“, erklärte Hunger neulich im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die Grundidee für ihren Roman sei dann daraus erwachsen, dass sie überlegt habe, dieses Lied mit seinem Text noch einmal aufzufächern. Hunger: „Ich wollte es noch einmal neu als Roman interpretieren.“
Entstanden ist so ein ebenso abgründiger und tragikomischer wie poetischer Coming-of-Age-Roman, der davon erzählt, „was wir verlieren müssen, um etwas zu werden“, wie es ihr Verlag Kiepenheuer & Witsch formuliert.
Ziemlich beste Freunde
Es geht darin um ein Mädchen und ihren besten Freund Niemand. Die beiden sind Kinder von Militärattachés, entsprechend ist ihr Aufwachsen geprägt von ständigen Ortswechseln. Diese Prämisse legt schon nahe, dass es sich bei Niemand wohl um einen imaginären Freund handelt, der das Mädchen über die Einsamkeit hinwegtröstet. Daneben hilft den beiden die Musik, in ihr können sie sich verlieren, gemeinsam.
Doch dann bekommt die Freundschaft Risse. Während Niemand eine Obsession für die Volkskunde der Walserinnen, entwickelt, einem Bergvolk, von dem die Erzählerin abstammt, und während sie selbst erste eigene Lieder schreibt, bahnt sich eine Katastrophe an …
Hunger stellt „Walzer für Niemand“ in einer Mischung aus Lesung und Konzert Anfang 2026 in der Region vor: in Darmstadt und Karlsruhe.