19. Dezember 2025

Über 150.000 Bilder, 70.000 Nutzer, eine Woche Chaos: Wie die KI-Plattform snipKI mit einem simplen Tool einen viralen Trend auslöste – und was das über generative KI verrät.

Wer in der vergangenen Woche LinkedIn geöffnet hat, kam an ihnen nicht vorbei: bunte Infografiken, die Karrierewege als verspielte Illustrationen zeigen. Im Stil von Knetanimationen, als Retro-Videospiel oder düsterer Cyberpunk-Ästhetik. Darunter immer derselbe Absender: Myjourney by snipKI.

Was aussieht wie eine aufwendige Kampagne eines Marketing-Teams, ist das Werk der KI-Enablement-Plattform snipKI – entstanden an einem einzigen Abend. Mitgründer Jens Polomski hat das Tool in rund fünf Stunden zusammengebaut. Keine Programmierkenntnisse nötig, sagt er – nur die richtigen Prompts und ein bisschen Kreativität.

Das Ergebnis: Über 160.000 generierte Bilder von rund 90.000 Nutzern. Tausende LinkedIn-Posts. Vierstellige Follower-Zuwächse auf der LinkedIn Unternehmens Seite.

Vibe Coding statt Developer-Team

Die technische Architektur klingt wie ein KI-Buzzword-Bingo: Google AI Studio, Cursor, Gemini 3 zum Programmieren, Nano Banana Pro für die Bilder, Apify für die Datenerfassung, Firebase fürs Speichern. Das Prinzip nennt man „Vibe Coding“ – die Idee, dass man heute komplexe Tools bauen kann, ohne eine Zeile Code selbst zu schreiben. Programmieren, unterstützt durch generative KI und natürlicher Sprache. Natürlich gibt es hier noch Limitierungen und Risiken die bedacht werden müssen, die aktuellen Möglichkeiten erlauben aber schon Erfolge wie diese.

„Selbst ich als Nicht-Developer kann heute solche Ideen umsetzen“, sagt Polomski. Das Tool zeige „niedrigschwellig, wie leistungsfähig moderne KI-Modelle geworden sind“. Polomski beschäftigt sich mit dieser Entwicklung nicht nur in Experimenten wie MyJourney, sondern auch in Bildungsformaten wie dem KI-Führerschein, mit dem snipKI Unternehmen an den praktischen KI-Einsatz heranführt.

API-Kosten statt Werbebudget

Durch den viralen Erfolg sind in der ersten Woche über 25.000 EUR an API-Kosten für Google angefallen. Klingt nach viel, ist aber ein Bruchteil dessen, was eine vergleichbare Reichweite über klassische LinkedIn-Ads gekostet hätte. 70.000 Nutzer, die freiwillig mit einer Marke positiv interagieren und sie in ihrem Netzwerk teilen? Dafür zahlen Unternehmen normalerweise viel mehr.

„Wir wurden von dem Erfolg ziemlich überrascht“, gibt Polomski zu. Die Erwartung lag vielleicht bei ein paar hundert Bildern.

Was der Trend über generative KI verrät

Der MyJourney-Hype ist mehr als ein nettes LinkedIn-Spielzeug. Er zeigt drei Dinge:

Erstens: Die Demokratisierung von Software-Entwicklung ist real. Wer eine gute Idee hat und weiß, welche KI-Tools zusammenspielen, kann in Stunden bauen, wofür Teams früher Wochen brauchten.

Zweitens: Der perfekte Kanal macht den Unterschied. Ein Tool, das LinkedIn-Profile visualisiert und zum Teilen auf LinkedIn einlädt, ist virales Gold. Die Nutzer werden zu unbezahlten Multiplikatoren.

Drittens: Kreativität schlägt Technik. Nicht das ausgefeilteste Produkt gewinnt, sondern das, was Menschen emotional begeistert, in diesem Fall der Wunsch, die eigene Karriere als bunte Spielwelt zu sehen.

Vom kostenlosen Tool zum Kundenkontakt

snipKI arbeitet nach eigener Aussage mit über 600 Unternehmen zusammen und bietet eine Lernplattform sowie maßgeschneiderte KI-Führerschein Programme für Unternehmen, aber auch Einzelpersonen an. Das virale Tool dürfte als Türöffner funktionieren: Auf der Landingpage ist direkt ein Angebot für die Plattform integriert.

Polomski betont zwar, MyJourney sei „kein Marketing-Stunt, sondern ein Einstiegspunkt, um Unternehmen zu zeigen, wie sie KI kreativ und effektiv einsetzen können.” Aber dass snipKI jetzt deutlich mehr Menschen kennen als vor einer Woche, das ist kein Zufall, sondern genau der Punkt.

Die Lektion für alle, die noch überlegen, wie sie KI im Unternehmen einsetzen: Nicht die perfekte Strategie zählt, sondern den Mut, Ideen effektiv umzusetzen und zu testen, und sogar ganz ohne Hilfe von Entwickler-Ressourcen. Am besten an einem Freitagabend, wenn niemand damit rechnet.