Im Silbersaal des Deutschen Theaters dreht sich an diesem Vormittag alles um einen Namen. „Central Quartier“ soll das Gebiet rund um den Münchner Hauptbahnhof künftig heißen. Die Initiative „Zukunft Bahnhofsviertel“ hat die Bezeichnung am Freitag in dem historischen Saal von 1896 vorgestellt, einem der wenigen Münchner Theatersäle, die zwei Kriege nahezu unbeschadet überstanden haben. Er liegt mitten in einem Viertel, das sich derzeit so stark verändert wie kaum ein anderes in der Stadt.

Der neue Name ist Teil eines größeren Versuchs, dem Bahnhofsviertel ein anderes Image zu geben – eines, das nicht allein für soziale Probleme steht, sondern für Urbanität und Aufbruch. Denn das Viertel rund um den Hauptbahnhof ist seit Jahrzehnten ein Ort der Extreme. Arbeiterstrich, Rotlichtmilieu, Drogenhilfe, Wettbüros und Spielhallen treffen auf Hotels, Theater, Restaurants und immer mehr Büros. Täglich strömen Hunderttausende Menschen durch die Straßen, doch nur wenige Tausend leben hier.

Aus Sicht der Immobilienwirtschaft entsteht rund um den Bahnhof derzeit ein neuer innerstädtischer Bürostandort, begünstigt durch die hervorragende Verkehrsanbindung und den Mangel an großen, modernen Flächen in der Innenstadt. Aus Sicht vieler Münchner jedoch bleibt das Viertel eine Problemzone. Diese Spannung ist der Ausgangspunkt der Initiative „Zukunft Bahnhofsviertel“.

Sie ist aus Forschungsprojekten der Technischen Universität (TU) München hervorgegangen und bringt Akteure zusammen, die sonst selten gemeinsam auftreten: Eigentümer und Projektentwickler, Vertreter von Hotellerie, Gastronomie und Einzelhandel, Kulturinstitutionen wie das Deutsche Theater, Vereine aus dem Viertel sowie Akteure aus Wissenschaft und Stadtgesellschaft.

Wer wollte, konnte einen neuen Namen fürs Bahnhofsviertel vorschlagen.Wer wollte, konnte einen neuen Namen fürs Bahnhofsviertel vorschlagen. (Foto: Catherine Hoffmann)

Ziel ist es, die Transformation des Viertels nicht nur baulich, sondern auch inhaltlich zu begleiten. Dazu gehört aus Sicht der Initiative auch die Frage, wie dieses Gebiet künftig genannt werden soll. In einem mehrstufigen Prozess wurden deshalb zunächst Kriterien für einen neuen Namen entwickelt. Es folgten Workshops, eine öffentliche Kampagne und eine Online-Umfrage. Mehr als 600 Vorschläge gingen ein. Eine interdisziplinäre Jury wählte schließlich den Namen „Central Quartier“ aus.

Identität entstehe nicht am Reißbrett, sondern durch Beteiligung, sagt der Architekt Mathieu Wellner von der TU München, der den Prozess moderiert hat. Er erinnert daran, dass solche Namensgebungen auch schiefgehen können. „Wir sind alle froh, dass es nicht so etwas wie ‚Rost‘ geworden ist“, sagt Wellner – ein Kürzel für „Rund um den Ostbahnhof“, das einst für das heutige Werksviertel im Münchner Osten im Gespräch gewesen sei.

Auch Wirtschaftsreferent Christian Scharpf (SPD) misst dem Namen Bedeutung bei. „So eine Namensgebung kommt nicht häufig vor, aber für das Bahnhofsviertel lohnt es sich besonders“, sagt er. Rund 250 000 Quadratmeter Fläche seien derzeit in Planung oder im Bau. Der neue Name solle helfen, diese Entwicklung sichtbar zu machen und positiv zu besetzen. „Bahnhofsviertel sind nie wahnsinnig sexy. Deswegen brauchen wir etwas, das ein anderes Bild vermittelt“, sagt Scharpf. Es gehe aber nicht um reines Marketing. Die Stadt habe ein eigenes Interesse daran, dass sich das Viertel stabil entwickle; Themen wie Sicherheit, Sauberkeit und Nutzungskonflikte blieben zentral.

Eine historische Einordnung lieferte der Stadthistoriker Franz Schiermeier. Die Ludwigsvorstadt, sagt er, sei im frühen 19. Jahrhundert entstanden und geprägt worden vom Ausbau der Eisenbahn, von Krankenhäusern, Vergnügungsstätten und dem Oktoberfest, später auch von Migration. Der Begriff „Central“ sei historisch plausibel: Nachdem der erste Bahnhof auf dem Marsfeld 1847 abgebrannt war, wurde an heutiger Stelle der Münchner Centralbahnhof errichtet. Und auch „Quartier“ entspreche heutigen Identifikationsräumen besser als abstrakte Verwaltungsgrenzen.

Zugleich warnte Schiermeier davor, den neuen Namen zu überschätzen. Er müsse mit Leben gefüllt und angenommen werden. „Central Quartier“ ist kein amtlicher Begriff, sondern ein Angebot. Ob er sich durchsetzt, wird auch davon abhängen, ob es gelingt, den baulichen Wandel mit spürbaren Verbesserungen im Alltag zu verbinden.