Einen Moment ist es da: Das Gefühl, mitten in New York zu sein. In Augsburg, in der Kresslesmühle, bei „Dem Hip Hop sein Haus“. Seit 2018 treffen sich dort Augsburgs Freestyle-Rapper und -Rapperinnen, an diesem Abend mit der Liveband Gilla Bounce. Was die Musiker da als instrumentalen Unterbau für die rund 15 Rappenden abliefern, schafft eine wahrhaft urbane Atmosphäre. Funkig-jazziger Boom Bap-Hip Hop mit Schlagzeug, Bass, Keyboards und DJ-Samples. Ein Mix aus Klassikern und selbstgemachten Tracks, präzise und groovig zugleich.
Die Band, ins Leben gerufen von Bassist Tobias Spreng, ist an diesem Abend die solide Basis für die improvisierten Raptexte wie die der Theater-Souffleuse Lena-Johanna Seibel (32) alias Johna Lux, die eigentlich aus der Punkszene kommt. „Wenn ich performe, bin ich frei“, sagt sie. Markus Riedelsberger (45) alias Mister OneTake, von Beruf Hausmeister, ergänzt: „Was dort zählt, sind ich und meine Worte, ohne viel Bling-Bling, man darf ehrlich und authentisch sein“. Zur Truppe hinzugestoßen ist er vor gut einem Jahr, die Hip Hop Community hier hat ihn so überzeugt, dass er dafür extra von Würzburg nach Augsburg gezogen ist. Als besonders freundlich nimmt auch Johna Lux die Sessions in der Kresslesmühle wahr: „Die Leute sind alle zum Anfassen“. Angst vor der Bühne braucht niemand zu haben, und man muss auch nicht immer auf höchstem Level abliefern. Für Johna selbst hat es eher zufällig angefangen. Eine andere Rapperin bat sie spontan aus dem Publikum auf die Bühne, weil sie ihren Pullover cool fand. Dort oben ist sie dann einfach geblieben.
Freestyle-Rapper in Augsburg: Auf der Bühne gibt man und bekommt etwas zurück
Wegen dieses zwanglosen Umgangs miteinander überzeugt auf der Bühne nicht nur die grundsolide Musik, sondern auch die Kreativität der Rappenden: „Außer ein paar Backup-Lines, die man auspackt, wenn einem mal nichts einfällt, ist Freestyle reine Impro. Alle Texte sind spontan, oder man reagiert auf das, was andere performen“, so Johna. „Beim Freestyle arbeite ich nicht mit Sätzen, die ich schon im Kopf habe und es muss sich auch nicht alles reimen“, sagt Chiara Lucht (27). Wichtig ist ihr, dass die Gedanken und Gefühle frei heraus kommen, assoziativ und unzensiert, dann ist das wie ein Akt der Selbstbefreiung. Für Joana hat das gar „Heilungspotential für die Performer und das Publikum“. Es geht um das Hören und das Gehörtwerden. „Auf der Bühne gibt man anderen etwas und bekommt etwas von denen zurück“ – das ist einer der Gründe, warum Mister OneTake das immer weitermachen wird, auch wenn Karriereaussichten hier eher mau sind.
Die Graffiti-Künstlerin und Rapperin Sophie Te (Sophie Tröster, 42) hatte „Dem Hip Hop sein Haus“ 2013 zunächst für das Jugendzentrum K15 gegründet. 2018 zog man in die Mühle und gemeinsam mit Tobias Spreng überführte sie ihre Aktivitäten 2023 dann in den Verein Cypher. Von Anfang an hatte sie dabei eine Plattform im Sinn, die öffentlich und ohne Eintritt funktioniert, ohne Kommerz und Konsum. Nun hat der Verein rund 60 Mitglieder, MCs, Producer und Förderer. Neben der Bühne in der Mühle gibt es eine Session mit Livemusikern (zuletzt im Neruda), man macht „Hausflüge“ zu Gastbühnen in ganz Bayern. Vor kurzem gab es einen Freestyleabend und eine Buchpräsentation über Battle-Rap in der Zwischenstandsnutzung Karo10.
Mitmachen kann bei dem Format in Augsburg jeder: „Rap ist erwachsen geworden“
„Wir sind für alle diejenigen da, die aus künstlerischen Gründen Lust auf philosophische Gespräche in Reimform mit Beats und Flow haben“, sagt Sophie. Das ist unabhängig vom Alter, denn „Rap ist erwachsen geworden“, so Mitorganisator Philipp Seitz alias Toris. „Mitmachen kann, wer Bock hat. Die Mannschaft ist der Star und auch wenn der ein oder andere schon ein bisschen Bekanntheit hat, wie zum Beispiel Der laute Gast, performen alle auf gleicher Augenhöhe“. Wenn neue Rapper hinzukommen, dann gilt vor allem das Old-School-Motto: Each one teach one. Jeder kann von jedem lernen. Über allem stehen allerdings ein paar wichtige Werte: „Bei uns gibt es keine Diskriminierung, und wir wollen die Diversität feiern“, betont Sophie. Wenn es mal in die falsche Richtung läuft oder sich jemand im Ton vergreift, schreitet sie durchaus mit verbalen Sidekicks auf der Bühne ein, ab und zu gibt es hinterher auch mal ein ernsthaftes Gespräch.
„Wir haben mittlerweile alles an Bord, Leute, die Beats produzieren, Leute am Mikro und Beatboxer, es fehlen nur noch die Breaker“, so Toris. Die gesamte Palette der Hip Hop Kultur steht im Fokus, und der Verein schafft die Räume, in denen sie sich entfalten kann. Vielfalt zählt auch für das „Affenstall“-Studio von Tobias Spreng. Er und Gilla Bounce haben viele namhafte Einzelkünstlern für Aufnahmen hierher geholt und mit „Dem Hip Hop sein Haus“ sollen noch ein paar mehr „Cypher-Track“-Videos entstehen. Man plant auch weitere Live-Gigs. Alles von den Beats über die Künstlerakquise bis hin zur Arbeit an den Social Media Auftritten wird in Eigenarbeit gemacht. Das rechnet sich nicht wirklich, sagt Keyboarder David Kremer, macht aber viel Spaß.
„Dem Hip Hop sein Haus“ kann man jeden zweiten Mittwoch im Monat in der Kresslesmühle beiwohnen, der Eintritt ist frei. Mitmachen kann grundsätzlich jeder. Infos unter www.cypher-ev.de und www.youtube.com/@GillaBounce.
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Andreas Garitz
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