Lothar Späth kehrt zurück ins öffentliche Bewusstsein der Stadt – über seinen Tod hinaus. Der frühere Ministerpräsident von Baden-Württemberg, 2016 gestorben, soll auf dem Stuttgarter Waldfriedhof ein Ehrengrab erhalten. Dafür wird seine Urne von Möhringen nach Degerloch umgebettet.

Diese Entscheidung ruft Anerkennung und Kritik zugleich hervor. Viele halten die Ehrung für angemessen angesichts der politischen Bedeutung des früheren Regierungschefs und CDU-Politikers. Andere, vor allem in Möhringen, reagieren mit Unverständnis – nicht zuletzt mit Blick auf den Sparzwang der Stadt. Warum, fragen sie, braucht es ein neues Ehrengrab und eine Verlegung, wenn an anderer Stelle gespart werden muss?

Waldfriedhof: Stuttgarts Geschichte in Ehrengräbern verewigt

Die Diskussion lenkt den Blick auf einen Ort, der wie kaum ein anderer in Stuttgart für Geschichte steht: den Waldfriedhof. Auf dem über hundert Jahre alten Areal ist Zeitgeschichte verewigt. Hier ruhen Menschen, die Stuttgart geprägt und die Geschichte der Stadt mitgeschrieben haben – Oberbürgermeister wie Arnulf Klett und Karl Lautenschlager, der Unternehmer Robert Bosch, der Architekt Paul Bonatz, der Künstler Oskar Schlemmer oder Theodor Heuss, der erste Bundespräsident der Bundesrepublik. Die Ehrengräber der Großen sind ausgeschildert, sie liegen wie Markierungen eines historischen Gedächtnisses im weitläufigen Park.

Das Grab der Familie Breuninger Foto: Bogen Ein Satz für Lebende: Bedenkt das Ende, werdet nicht überheblich

Über die dunkle Erde eines gerade erst eingeebneten Grabs huscht ein Eichhörnchen. Es weiß nichts vom Tod. Der kleine Nager legt Vorräte für den Winter an. Die Menschen, die auf dem Waldfriedhof ihre letzte Ruhe gefunden haben, müssen sich um nichts mehr kümmern. Für sie gibt es kein Hetzen, kein Huschen mehr.

Die Kreise ihres Daseins sind abgeschlossen – wie es auf dem Grabstein des 1955 verstorbenen Mozart-Tenors Marcel Wittrisch heißt: „Nach ewigen ehernen großen Gesetzen müssen wir alle unseres Daseins Kreise vollenden.“ Es ist ein Satz für uns Lebende: Bedenkt das Ende, werdet nicht überheblich. Erkennt das Glück des Lebens. Euer Leben endet zwar – nicht aber, wenn ihr Glück habt, im Vergessen.

Das erste Grab auf dem Waldfriedhof für Ernst Hory. Foto: Bogen

Der Waldfriedhof ist ein großer Park mit üppigem Mischwaldbestand, 30,7 Hektar groß, mit rund 15.000 Grabstätten. Jeder Tote, jede Tote ein Schicksal. Viele sind alt geworden; nun werden bei ihnen nach und nach Familienmitglieder bestattet. Andere starben jung, im Wahnsinn der Kriege, ohne je die Chance gehabt zu haben, eine Familie zu gründen.

Erster Grundstein für den Waldfriedhof wurde 1913 gelegt

Und doch ist dieser Ort kein stilles Museum. Immer sind Besucher unterwegs. Eine alte Frau müht sich mit zwei Krücken voran, jeder Schritt ein Kampf, die Hüfte beschädigt, das Herz schwer. Wenige Meter weiter wird gelacht. Eine Gruppe von Ausflüglern steht vor dem Grab von Theodor Heuss, erzählt Anekdoten aus seinem Leben. Frohsinn auf einem Friedhof? „Die Tränen des Leides und der Freude haben einerlei Salz“, heißt es in der Bibel. Alles hat seine Zeit: die Zeit des Lachens und die Zeit des Weinens.

Hauptmann Hory war der Erste, der hier beerdigt wurde

Der erste Grundstein für den Waldfriedhof ist 1913 nach Plänen des Stuttgarter Stadtbaudirektors Albert Pantle gelegt worden. Die erste Beerdigung war aber erst am 31. September 1914. Demnach war Hauptmann Ernst Hory der Erste, der auf dem Waldfriedhof beerdigt wurde. Er war im Alter von 44 Jahren im Ersten Weltkrieg schwer verletzt worden und in einer Stuttgarter Klinik gestorben. Fast hätte Stadtbaudirektor Albert Pantle, der Erbauer des Waldfriedhofs und seiner Feierhalle, beim ersten Begräbnis um den eigenen Sohn weinen müssen. Der ist wenige Tage nach Hauptmann Hory im Krieg gestorben und bekam das dritte Grab des neuen Friedhofs.

Mit dem geplanten Ehrengrab für Lothar Späth wird diese Geschichte fortgeschrieben. Die Verlegung, über die kontrovers diskutiert wird, zeigt, dass der Waldfriedhof mehr ist als ein Ort der Ruhe. Er ist ein Spiegel der Stadt und ihrer Erinnerungskultur.

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