20. Dezember 2025

Klaus Moegling

Friedenstaube in EU-Flagge

  1. Die EU rüstet auf – und vergisst ihre Friedenswurzeln

  2. Zwischen Unterstützung und Verhandlungsversäumnissen

  3. Was ein tragfähiger Verhandlungsansatz erfordern würde

  4. Die nukleare Dimension des Ukraine-Kriegs

  5. Die EU als transnationale Chance

  6. Fazit und Fußnoten


  7. Auf einer Seite lesen

Die EU setzt auf 800 Milliarden Euro Aufrüstung statt Diplomatie – doch wäre gerade sie historisch prädestiniert für Friedenspolitik.

Die EU befindet sich am sicherheitspolitischen Scheideweg. Der Krieg in der Ukraine scheint sie in eine langfristige Aufrüstungsphase zu zwingen. Aber wie zwangsläufig ist diese Aufrüstungsdynamik wirklich und welche sicherheitspolitischen Alternativen gäbe es? Ist mit der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie der USA nicht die historische Situation für ein neues Selbstverständnis der EU eröffnet? Und: Stellen die aktuellen Verhandlungen zur Beendigung des Kriegs in der Ukraine einen friedenspolitischen Neuanfang der EU dar?

Weiterlesen nach der Anzeige

Europas historisches Erbe: Vom Schlachtfeld zum Friedensprojekt

Von Europa ausgehend nahm sowohl die Aufklärung als auch die Kolonialisierung ihren Anfang. Europa ist der Ort, an dem sich Nationen in Dutzenden blutiger Kriege auf das Heftigste bekämpft haben – eine historische Tatsache, deren schreckliche Erfahrungen aber auch die Voraussetzung für den Versuch waren, miteinander in weiten Teilen Europas friedlich zusammenzuarbeiten und transnationale Strukturen in Form der Europäischen Union zu bilden.[1]

Wäre daher Europa als Kontinent und als Europäische Union nicht besonders geeignet, die Friedenssache voranzubringen? Die historische Rolle vieler europäischer Staaten im Rahmen der damaligen KSZE-Verhandlungen stimmt zunächst optimistisch, dass Europa grundsätzlich dazu in der Lage wäre, zur weltweiten Entspannung beizutragen.

Aktuelle Entwicklungen zeigen jedoch, dass die EU – trotz der gegenwärtigen Verhandlungsanstrengungen – mehr auf Waffen als auf Diplomatie und eine gesamteuropäische Sicherheitsordnung vertraut. Ein 800 Milliarden Euro teures Aufrüstungspaket ist mit der Begründung geschnürt, gegen ein – offensichtlich – aggressives Russland verteidigungsfähig zu sein.

Auch das im März 2025 veröffentlichte Weißbuch der EU legt einen eher Kurs der EU an, der auf militärische Stärke setzt, um bis 2030 als EU verteidigungsfähig zu werden („White Paper for European Defense-Readiness 2030“). Jedoch müssten für die EU im Sinne der Zielsetzungen der OSZE Friedensfähigkeit, Diplomatie und europäische Zusammenarbeit im Vordergrund stehen, die zwar durchaus eine notwendige Verteidigungsfähigkeit mit Augenmaß enthalten könnten, sich aber prioritär auf ihre zivilgesellschaftlichen und demokratischen Wurzeln der EU-Gründungsphase zurückzubesinnen hätten. Nicht die Festung Europa, sondern das Friedensprojekt Europa sollte wieder angestrebt werden.[2]

EU Aufrüstung und die Gefahr autoritärer Übernahme

Weiterlesen nach der Anzeige

Dies ist umso wichtiger, je stärker sich repressive Strukturen in den USA, in Russland, in China und anderswo durchsetzen. Die innergesellschaftliche Repression in diesen Staaten nimmt zu, gleichzeitig und in einem Zusammenhang damit treten diese Staaten nach außen immer gewalttätiger auf – trotz der noch vorhandenen systemischen Unterschiede.

Gerade, wenn externe Mächte versuchen, die EU auch von innen zu schwächen, ist es notwendig, dass die EU ihr demokratisches und friedensorientiertes Selbstverständnis wieder entdeckt und in Handlungsstrategien umsetzt. Ansonsten droht den meisten EU-Staaten – und auch der EU – die Übernahme autoritärer nationalkonservativer Kräfte und der Rückfall in die nationalstaatliche Zerrissenheit und Konkurrenz.

Angesichts der zu langen Zurückhaltung der EU hinsichtlich effektiver diplomatischer Aktivitäten hinsichtlich des Kriegs in der UKraine, die alle relevanten Akteure einbeziehen können, gilt es, der ursprünglichen Friedensidee Europas, die letztlich die ethische Fundierung im normativen Selbstanspruch der Gründungsphase der europäischen Vereinigung war, tatsächlich Geltung über wirksame Handlungen zu verschaffen und auch der 2012 erfolgten Verleihung des Friedensnobelpreises an die Europäische Union eine Realität friedensschaffender Maßnahmen folgen zu lassen.

Dies hätte m.E. zunächst bedeutet, dass die seit spätestens 2010 festgefahrenen OSZE-Verhandlungen auch von Seiten der EU wieder belebt werden und sich eine verbindliche Agenda geben müssten. Dies wäre der geeignete institutionelle Rahmen, in den sich u.a. die EU-Staaten friedenssichernd einzubringen hätten und wo sie u.a. auch auf Vertreter Russlands, der Ukraine, Kanada und USA treffen würden.

Hier hätte an eine friedensstiftende Verhandlungstradition angeknüpft werden können, die dann auch zu einem wesentlichen Bestandteil einer positiven europäischen Identität werden könnte.

Doch die anhaltende russische Aggression gegen den ukrainischen Staat[3], lässt dies wohl in weite Ferne rücken. Sicherlich kann die EU nicht tatenlos zusehen, dass in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft ein Staat zerstört, ein systematischer Beschuss ziviler Objekte, eine Zerstörung der Infrastruktur erfolgt sowie Tausende Zivilisten getötet werden und Hunderttausende Soldaten in einem imperialistischen russischen Eroberungskrieg fallen. Auch die Zerstörungen der Umwelt sind hierbei erheblich – eine Tatsache, die oft aus dem anthropozentrischen Blick gerät.