Der Bau schmiegt sich in einen steilen Hang und kann nur – was typisch für die Stuttgarter Kessellage ist – über öffentlich zugängliche Treppen erreicht werden, so genannte Stäffele. Diese Treppen haben etwas Verwunschenes, sind oft von Beerenhecken und Weinbergmauern gesäumt, sie führen zu Häusern, Terrassen und Gärten, sind die Lebensadern der An- und Halbhöhen.
Lange Immobilien-Suche in Stuttgart
Die Familie Maret war schon länger auf der Suche nach so einem Altbau, denn ihre schöne Wohnung direkt am beliebten, aber manchmal auch etwas zu quirligen Marienplatz wurde mit den Kindern etwas zu klein. Am Vogelsang fanden die Marets dann ihr Traumdomizil.
Ein Haus aus einer interessanten baukulturellen Dekade, welches schon in Ansätzen im Stil der Neuen Sachlichkeit errichtet wurde. Die 30er Jahre: Das Ornamentale tendiert gegen Null, dafür dominiert das Zweckmäßige. Dazu eine einfache Putzfassade, rechtwinklige Formen, ein funktionaler, wenn auch kleinteiliger Grundriss.
Wunderschön: das zierliche Metallgeländer an den Loggia-Balkonen, original erhalten. Auch die fein gearbeiteten Gesimse am Erker. Das und der alte Baumbestand erinnern bei schönem Tageslicht an Siedlungs-Architekturen im südlicheren Europa. „Wir haben früher schon lange Zeit im Stuttgarter Westen gewohnt – und wollten zurückkehren, weil wir uns hier wohl fühlen“, sagt Marie Maret, die supersympathische Gastgeberin beim Hausbesuch. „Was uns hier so gefällt, das sind die kurzen Wege: zur Schule, zur nächsten Straßenbahn, zum Supermarkt, alles ist fußläufig oder mit dem Fahrrad schnell zu erreichen. Und dennoch ist es sehr ruhig in unserer Ecke.“
Angenehmes Raumgefühl in dem Haus in Stuttgart
Es ist ein herzlicher Empfang, als würde man sich schon lange kennen. Manchmal liegt das aber auch an der Architektur selbst, dass sich die Bewohner und die Gäste darin wohlfühlen. Verantwortlich für das angenehme Raumgefühl ist also nicht unwesentlich Sophie Frank, die Stuttgarter Architektin, die gar nicht weit von dieser Adresse wohnt und für die effiziente Sanierung minimalinvasive Eingriffe vorschlug.
Sophie Frank, Stuttgarter Architektin mit viel Erfahrung und einem Faible für den sensiblen Umbau von Bestandshäusern. Foto: SF
Denn die Marets wussten, was sie wollten – und was nicht: „Unser Plan? War ganz einfach: So günstig wie möglich, und so schön wie möglich sollte das Haus sein.“ Viele Bauherrschaften wünschen sich das, leider aber bekommen sie nicht immer, was sie wollen. Sophie Frank hat eine gründliche Expertise beim Umbau im Bestand. Schon acht Häuser sind es, die sie durch alle Leistungsphasen hindurch für die Zukunft fit gemacht hat, darunter waren die Baujahre von 1904 bis 1980.
Die vielen Bedingungen können reizvoll sein
Jedes Projekt macht einen individuellen Zugriff erforderlich, dabei dürfen die Kosten wie auch der Material- und Zeitaufwand das vorgegebene Limit nicht sprengen. Klingt anspruchsvoll. Sophie Frank nickt, sieht das aber wesentlich positiver. „Der Umbau im Bestand ist eine Herausforderung, keine Frage. Doch ich arbeite gern mit Bedingungen, die einem so ein Haus stellt, das ist für mich der besondere Reiz in meiner Arbeit.“
Und so steht man dann im Erdgeschoss mitten im hellen Küchen- und Wohnbereich – und kann sich nicht mehr vorstellen, wie das vorher war. „Die Planungsphase war ein konstruktiver Austausch, ein zweimonatiges Hin und Her zwischen mir und der Bauherrenfamilie: Dieser intensive Vorentwurfsprozess machte schließlich deutlich“, erinnert sich Sophie Frank, „wie umfassend sich die Bauherren Veränderungen im Erdgeschoss wünschten.“
Nun gibt es hier einen fließenden Raum, weiße Wände, durchgängig helles Eichenparkett. Das Ergebnis ist ein fast vollständig offener Grundriss, der sich um einen neu geschaffenen Schrankkern organisiert. Dieser strukturiert den Raum und schafft Bereiche mit ganz unterschiedlichen Qualitäten, die Raumfolge ist logisch und gerade für eine Familie mit zwei im Beruf stehenden Eltern so hilfreich.
Erker inklusive Stuttgarter Abendsonne
Morgens muss es flutschen. Dafür gibt es ein Esszimmer mit Balkon, einer Bar und Schränken für alles, was in Esstischnähe praktisch zu erreichen ist; eine großzügige Küche mit weißen Fronten und mit reichlich Arbeitsfläche, beschienen von der Morgensonne und mit direktem Zugang zur Terrasse. Weiter hinten schließt sich ein zum Garten und zur Küche offenes Wohnzimmer mit Erker inklusive Abendsonnenpanorama über der nächsten Halbhöhe im Stuttgarter Westen an.
Die Fenster wurden nicht getauscht, denn der Vorbesitzer hatte vor etwas längerer Zeit schon neue Teile einsetzen lassen, die waren soweit okay, auch wenn zeitgemäße neue Holzfenster mit den feingliedrigeren Profilen auch schön gewesen wären.
Anders das breitere, größer dimensionierte Fensterband, das vor der Arbeitsfläche der Küchenzeile frisch eingebaut wurde und einen eindrücklichen Blick in den steilen, natürlich bewachsenen Gartenhang erlaubt. Das ist ein echter Gewinn. Es wäre ein Frevel gewesen, diesen Hügel ausheben zu lassen. Die Aussicht ist perfekt – und genügend Licht kommt auch durch die erweiterte Fensteröffnung.
Farbige Stahlträger als Gestaltungsmittel
Ein zusätzliches Plus ist die farbliche Akzentuierung der unterschiedlichen Zonen im Raum. „Die Stahlträger werden bewusst auch als Gestaltungselemente eingesetzt. Sie schaffen Klarheit und Struktur, sie verbinden und zonieren“, sagt Sophie Frank. Bei den Farben diskutierte man – die Architektin plädierte für Rottöne, am Ende entschied sich die Familie Maret für ein kräftiges Blau und ein fröhliches Schwefelgelb. Die für die Traglast der Decke eingesetzten Stahlträger bleiben selbstredend unverkleidet. Im Schrankkern dann ein WC, sehr minimalistisch und wieder praktisch.
All das wirkt formal überzeugend und schön, auch hochwertig. Schränke von Montana, Eames-Stühle, auch ein alter Schrank aus Südfrankreich runden den stylischen Gesamteindruck ab. Doch die Marets mussten sich noch in einer weiteren Umbaudisziplin beweisen, die in diesem Land so komplex scheint – und an der so viele scheitern: dem energetischen Sanieren.
Heizung unter der Decke, Wärmepumpe im Garten
Bis dato wurde mit Gas geheizt. Und nun? „Die Entscheidung fiel schließlich auf eine reine Wärmepumpe; die bis dato bestehende Gasverheizung wurde aufgegeben. Erd- und Obergeschoss sowie die Garderobe im Eingangsgeschoss werden nun über Decken-Flächenheizungen versorgt. Mit dieser Technologie habe ich schon gute Erfahrungen gemacht.“ Sagt Sophie Frank. Und beweist damit auch, dass man nicht unbedingt die Außenfassade dämmen muss, selbst an einem kühlen Herbstmittag ist es auf der Etage angenehm warm.
Die Wärmepumpe steht im Garten und verrichtet leicht summend ihren Dienst. „Ja, nach einigem Überlegen wollten wir eine energetische Sanierung“, sagt die Bauherrin, „aber nicht um den Preis, dass der architektonische Charakter dieses Hauses entstellt wird. Jetzt sind wir glücklich, dass uns das gelungen ist.“
Tatsächlich: die für die 30er Jahre typische Fassade, die nicht einmal denkmalgeschützt ist, konnte so erhalten werden. Gleichzeitig war der Ressourcenverbrauch minimal. „Die Fassade haben wir nicht gedämmt, das ist für den Betrieb einer Wärmepumpe nicht notwendig gewesen. Lediglich die Keller- und die Bühnendecke mussten wir isolieren“, erklärt die Architektin.
Nicht unerwähnt lässt die Architektin, welche Abwägungen bei einer behutsamen Sanierung noch eine Rolle spielen. So muss nicht alles sofort umgesetzt werden. Man kann das eine oder andere verschieben. „Sinnvoll wäre eine Dachdämmung gewesen, die hat aber nicht ins Budget gepasst“, so Frank. „Als Kompromiss wurde die Bühnendecke gedämmt, bis bei der in fünf bis zehn Jahren anstehenden Außensanierung – Putz, Anstrich, Fenster, Fensterläden – auch das Dach erneuert wird.“
Auch im ersten Stock musste einiges gemacht werden, die Treppe wurde mit einfachen, aber effektiven Mitteln vom Fachmann aufgearbeitet, selbiges gilt für den geschwungenen Handlauf.
Daten zum Umbau des Stuttgarter Einfamilienhauses
- Baujahr: 1933
- Grundstücksfläche: 441 Quadratmeter
- Wohn- und Nutzfläche: ca. 240 Quadratmeter
- Planung: Juni 2024 bis November 2024
- Umbau: Januar 2024 bis Juli 2024
- Einzug: August 2024
Eine Etage höher befinden sich die Schlafzimmer der Eltern, die Kinderzimmer, das gemeinsame Badezimmer. Auch hier hat Sophie Frank viel, aber nicht zu viel verändert. Insgesamt mussten bei der kompletten Sanierung nur vier Wände herausgenommen werden, man glaubt es kaum, das hat schon etwas von einer Partie Solitaire. Immerhin, das Dachgeschoss wartet noch, soll aber in absehbarer Zeit in eine separate Wohneinheit verwandelt werden.
All das lässt einen beim Verlassen des Hauses staunen. Alle scheinen zufrieden zu sein, die Bauherrin, die Architektin, und auch die Zusammenarbeit mit den Gewerken, sagen sie, war problemfrei. Oder, anders formuliert, dieser architektonische Eingriff war angemessen. So könnte man noch viele verwohnte, angejahrte Häuser retten, auch jene, die nicht so schön sind.