Das Christkind hat eine Sturmfrisur, man kann es nicht anders sagen. Rosi Fredrich streicht ihm immer wieder über den blonden Schopf, aber die Haare stehen weiter in alle Himmelsrichtungen. „Die Puppe lag aber auch lange in einer Kiste im Keller“, sagt die 83-Jährige. „Damals war es gar nicht so einfach, eine männliche Puppe zu finden.“ Tochter Nicola hatte sie sich gewünscht. Viele Jahre später wird der Puppenjunge nun seinen größten Auftritt haben: Als Jesuskind in der Familienchristmette in St. Paulus im Düsseldorfer Stadtteil Düsseltal. Mehr geht nicht für ein eigentlich längst vergessenes Spielzeug. Doch bevor es so weit ist, stehen noch zwei Proben für das Krippenspiel an Heiligabend an.
Neun Kommunionkinder nehmen ihre Sache ernst. Emmanuel gibt den ersten Hirten. „Warum bin ich nur aufgewacht? Es ist doch allertiefste Nacht?“, liest der Zehnjährige zaghaft vom Blatt ab. Die fünf Hirten stehen hinter dem steinernen Altar, vorn haben sich im Halbkreis die vier Kinder aufgestellt, die im Stück die Erzähler sind. Maria und Josef werden von zwei Elternteilen gemimt. Zwischen ihnen liegt in einem Pappkarton der Puppenjunge als Gottessohn. Über ihm hängt ein silberner Kometenstern, der Stern von Bethlehem.
Es gibt an diesem Samstag zwei Probendurchgänge, im ersten ist Ablesen erlaubt. An der Seite der kleinen Hirten stehen Rosi Fredrich und Ingrid Schlößer aus dem Pfarrverband Flingern/Düsseltal und Pastoralreferent Martin Kalff, der die Kinder auf ihre Erstkommunion vorbereitet. „Ihr macht das schon sehr, sehr gut“, sagt Kalff in einer kurzen Pause zu den Kindern. „Aber versucht doch mal, die Freude über den Stern und das Kind in der Krippe noch besser zu zeigen – auch in euren Gesichtern!“
Familiengottesdienste mit Krippenspiel gehören für viele Menschen fest zum Heiligabend. Pastoralreferent Kalff hat 800 Liedhefte für die Christmette drucken lassen und geht fest davon aus, dass sie alle gebraucht werden. „Es ist der bestbesuchte Gottesdienst im Jahr“, sagt er. „Das zeigt uns, dass der Weg in die Kirche an Weihnachten auch für viele Menschen dazugehört, die sonst vielleicht nicht so eine enge Beziehung zur Liturgie und zum Gottesdienst haben.“ Das Krippenspiel habe sowohl für Gemeinden als auch für Familien nach wie vor eine große Bedeutung. „Es gehört für viele einfach zum Heiligabend-Ritus dazu“, sagt Kalff.
Die Messe wird Pastor Ansgar Steinke feiern. Auch er schaut sich die Probe am Samstag an. „Die biblische Weihnachtsgeschichte hat so viel Kraft, ins Herz zu gehen“, sagt er. „Ich sehe in der Christmette immer viele Menschen, deren Stimmung sich ins Positive verwandelt – man sieht es an ihren Gesichtern.“ Es gebe auch viele, „denen die Tage rund um Weihnachten schwer sind“, wie Steinke sagt. „Die Weihnachtsmesse baut sie auf und zeigt ihnen, dass sie nicht alleine sind.“
Je länger die Probe dauert, desto sicherer werden die Kinder. Beim Gedanken, vor Hunderten Menschen zu sprechen, hat Theo, der den vierten Hirten spielt, aber großen Respekt. „Ein bisschen aufgeregt bin ich schon“, sagt der Achtjährige. Er will mit seinem Vater bis zur Aufführung noch ein wenig üben. Die Freundinnen Laura und Emilia, beide 9, können Theo, Emmanuel und den anderen Mädchen und Jungen einen guten Trick verraten, wie sie am Heiligabend gelassen bleiben können. „Man muss einfach zu Leuten gucken, die man kennt, dann muss man keine Angst haben“, sagt Emilia. Auch Probenleiterin Ingrid Schlößer spricht den Kindern Mut zu: „Ihr müsst immer daran denken: Die Leute haben den Text doch gar nicht. Keiner merkt, wenn ihr einen Satz vergesst.“
Aber selbst wenn am Heiligabend nicht alles perfekt sein wird: Wenn sich die Kirche füllt, die Hirten und Erzähler vorn am Altar ihre Positionen einnehmen und die Lieder erklingen, die fast alle auswendig mitsingen können, dann wird aus einer Krippenspielprobe gelebte Weihnacht – für die Kinder, ihre Familien und all jene, die an diesem Abend einen Platz suchen, an dem es ein bisschen heller wird.