Brüssel (Belgien) – Nach mehr als einem Vierteljahrhundert Verhandlungen droht das Mercosur-Freihandelsabkommen zwischen der EU und südamerikanischen Staaten zu scheitern.

Am Donnerstagabend einigten sich die EU-Staats- und Regierungschefs darauf, die geplante Unterzeichnung des Abkommens auf Januar zu verschieben. Ausschlaggebend: Widerstand von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (48) und Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (48). Sie verweigerten eine sofortige Unterzeichnung wegen innenpolitischen Widerstands in den beiden Ländern. Bundeskanzler Friedrich Merz (70, CDU), der noch auf eine Entscheidung in dieser Woche gedrängt hatte, blieb damit erfolglos.

Kern des Widerstands sind vor allem die Befürchtungen europäischer Landwirte vor zusätzlicher Konkurrenz aus Lateinamerika, etwa bei Rindfleisch und Milchprodukten. Fachleute bewerten diese Sorgen jedoch als überzogen. Das Abkommen enthält zahlreiche Sicherungsmechanismen – von begrenzten Importquoten über lange Übergangsfristen bis zu finanziellen Ausgleichsmaßnahmen.

Das Abkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay sowie dem beitretenden Bolivien würde eine Mega-Freihandelszone mit mehr als 720 Millionen Menschen schaffen. Sie stünde für rund ein Fünftel der globalen Wirtschaftsleistung und über 31 Prozent der weltweiten Warenexporte. Der Name Mercosur leitet sich von „Mercado Común del Sur“ (Gemeinsamer Markt des Südens) ab.

Ein Scheitern hätte „katastrophale Folgen“

Die Ökonomin und Wirtschaftsweise Prof. Veronika Grimm (54, TU Nürnberg) warnt in BILD vor den verheerenden Folgen, sollte das Abkommen nun scheitern. „Ohne Freihandel wächst der Druck auf die deutsche und europäische Wirtschaft weiter“, erklärt sie gegenüber BILD. Mehr Wettbewerb für einzelne Branchen rechtfertige nicht das Scheitern eines wirtschaftlich essenziellen Projekts, so die Expertin. Grimm warnt: „Wenn die EU diesen Deal jetzt nicht über die Bühne bringt, drohen katastrophale Folgen.“

Ökonomin und Wirtschaftsweise Prof. Veronika Grimm (54, TU Nürnberg) spricht sich deutlich für das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten aus

Ökonomin und Wirtschaftsweise Prof. Veronika Grimm (54, TU Nürnberg) spricht sich deutlich für das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten aus

Foto: IMAGO/IPON

Deal muss gelingen, „sonst schaufeln wir uns hier unser eigenes Grab“

Das Abkommen würde hohe Zölle abbauen und neue Märkte öffnen. Grimm sieht darin eine zentrale Chance für die deutsche Exportindustrie – insbesondere in einer Phase, in der wichtige Absatzmärkte wie China und die USA zunehmend wegbrechen. „Wir sind dringend darauf angewiesen, den Handel mit den Mercosur-Staaten zu intensivieren“, sagt Grimm.

Profitieren würden vor allem die Automobil- und Maschinenbauindustrie, sowie die Pharma- und Chemiebranche. Aber auch europäische Landwirte hätten Vorteile: Wein, Käse, Bier oder verarbeitete Lebensmittel aus der EU könnten deutlich günstiger nach Südamerika exportiert werden.

Grimm appelliert daher an die Staats- und Regierungschefs der EU, die politische Blockade aufzugeben und das Abkommen zügig zu verabschieden. „Wir dürfen diesen Deal nicht riskieren“, warnt sie. „Sonst schaufeln wir uns hier unser eigenes Grab.“

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Zur Person

Prof. Veronika Grimm zählt zu den wichtigsten Wirtschaftsexpertinnen Deutschlands. Sie lehrt Volkswirtschaft an der TU Nürnberg (Spezialgebiet: Energie) und ist Aufsichtsrätin von Siemens Energy. Seit 2020 ist sie eines von fünf Mitgliedern im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, den sogenannten Wirtschaftsweisen.