Treffen Mensch und Natur aufeinander, gehen Flora und Fauna zumeist als zweiter Sieger vom Platz. Das trifft jedoch für den so genannten Sandkopf nicht zu, der gerade noch zum Stadtbezirk Stuttgart-West gehört, aber mitten im Wald unterhalb von Schloss Solitude und nicht weit entfernt von der Bergheimer Steige liegt.
Hier öffnen sich die Baumreihen und geben eine Lichtung frei, auf der sich im Laufe der Zeit mit dem Feuchtgebiet Daimlerplatz ein Paradies für Amphibien aller Art entwickelt hat. Und zu „ihrem“ Sandkopf, der Anfang des Jahres als Standort für Windräder ins Spiel gebracht wurde, hatten die Weilimdorfer schon immer ein besonderes Verhältnis.
Der Sandkopf, wie er sich Stuttgarter Spaziergängern heute präsentiert. Foto: Uli Nagel
Aus gutem Grund, denn dort oben gab es Kieselsandstein, ein damals begehrtes Baumaterial. Je nach Korngröße dient er unter anderem als Material für Pflastersteine, Treppenstufen und Gesimse, und in seiner grobkörnigsten Form für Hang- und Uferverbauungen. Um dieses wichtige Baumaterial abzubauen, zogen laut Aufzeichnungen aus dem Jahr 1850 die Menschen – bepackt mit großen Schaufeln – hoch zum Sandkopf.
Sumpfige Bombenlöcher im Wald
Allerdings darf man sich keine riesigen Gruben vorstellen. Vielmehr waren das große Löcher von fünf mal drei Metern. Das abgegrabene Gestein wurden mühsam mit dem Pferdewagen hinab nach Weilimdorf gebracht. „Und mit der Nutzung des Geländes durch Menschen begann auch die Geschichte des Feuchtgebiets“, sagt Kathrin Klein von Forst BW, denn das Gebiet ist Staatswald und wird vom Land betreut.
Zu diesen Löchern durch die Grabungen kamen während des Zweiten Weltkriegs weitere Löcher – oder besser Krater – hinzu. „Schuld war ein fehlgeleiteter Bombenabwurf“, so Kathrin Klein. Rund ein Hektar Wald wurde damals zerstört und die kahle Fläche versumpfte nach und nach.
Vertrag mit Daimler wurde 1949 unterzeichnet
Nur wenige Jahre nach dem Krieg entdeckte dann der Automobilhersteller Daimler das Gelände für sich. „Das Unternehmen suchte damals auf Stuttgarter Gemarkung eine Fläche, um ihre Unimogs und Lastwagen auf ihre Geländetauglichkeit zu testen“, sagt Klein. Dazu war diese etwas versteckte, aber freie Ebene wie geschaffen. Am 1. September 1949 wurde dann ein Vertrag mit der Forstverwaltung abgeschlossen.
Die Rinne war bis zu 1,20 Meter tief. Foto: Mercedes-Benz Trucks Classic
Mehrmals im Jahr hatte danach der Automobilbauer die Fläche genutzt, um unter anderem zu überprüfen, ob an den Achsbauteilen Wasser eindringen kann. Dazu wurden die Lastwagen tagelang im Rundkurs durch den tiefen Schlamm getrieben. Der Morast stand den Fahrzeugen teilweise bis zur Tür, denn nach und nach hatte sich eine Rinne gebildet, die bis zu 1,20 Meter tief war.
Immer wieder kam es vor, dass die Lastwagen stecken blieben. Nach den Testfahrten sahen die Fahrzeuge entsprechend übel aus. Und um den Dreck nicht durch die ganze Stadt zu fahren und mit nach Untertürkheim zu bringen, wurde sogar einen Waschplatz mitten im Wald eingerichtet.
Der Sandkopf wurde jedoch nur wenige Woche im Jahr als Testgelände benützt. In der Ruhezeit konnte sich Wasser in den Rinnen sammeln. „Und mit dem Wasser zogen auch die Amphibien auf dem Sandkopf ein und haben sich dort etabliert“, sagt die Waldexpertin.
Im Jahr 1975 hatten dann die Stadt Stuttgart und der Daimlerkonzern ein Einsehen – die Testfahrten wurden, wie es damals hieß, aus Naturschutzgründen eingestellt. Geblieben ist jedoch der Name des Unternehmens, denn seither wird das Gelände „Daimlerplatz“ genannt.
Daimlerplatz droht zu verlanden
Geblieben sind auch die Fahrrinnen, die sich mit der Zeit allerdings mit Laub und Morast füllten. Denn eines hatte die Forstverwaltung damals nicht bedacht: Die Lastwagen hatten beim Drehen ihrer Runden den Schlamm immer wieder aufgewühlt. Diese „Bewegung“ fehlte nun und das Gebiet verlandete immer mehr.
Bis 2002 blieb dieser unbefriedigende Zustand erhalten. Doch nachdem in der Schriftenreihe des Amtes für Umweltschutz zu den Amphibien und Reptilien in Stuttgart die Bedeutung des Feuchtgebiets Daimlerplatz hervorgehoben wurde, beauftragte das Amt für Umweltschutz die Erarbeitung eines Pflegekonzepts. Ein Jahr später gab es dann den trockenen Sommer, der es der Stadt ermöglichte, mit einem Bagger die alte Fahrspur vom Restschlamm zu befreien und das Gelände schonend zu bearbeiten.
Bald war wieder genügend Wasser in den Rinnen, um einer Vielzahl von Tieren eine Heimat zu bieten. „Darunter auch dem Kammmolch, der streng geschützt und in Baden-Württemberg stark gefährdet ist“, sagt Kirsten Kockelke, die beim Amt für Umweltschutz für das Artenschutzkonzept der Landeshauptstadt zuständig ist und in Stuttgart 31 Gebiete mit seltenen Tier- und Pflanzenarten betreut.
Der Kammmolch kommt in Stuttgart nur am Daimlerplatz und in einem kleinen Gebiet am Dachswald vor. Foto: mauritius images
Allerdings sind Feuchtgebiete wie der Daimlerplatz keine „Selbstläufer“. Im Gegenteil, die Seen müssen regelmäßig gepflegt werden. Das heißt, entschlammt und von Pflanzen befreit werden, da ansonsten eine natürliche Verlandung droht, so die Expertin. Die letzte Sanierung der mittlerweile vier Seen am Daimlerplatz liegt schon ein paar Jahr zurück, war jedoch so erfolgreich, dass der Kammmolch sich heute dort immer noch pudelwohl fühlt und sogar erfolgreich fortpflanzt.
Das Vorhaben wurde unter anderem von der Stiftung Naturschutzfonds des Landes Baden-Württemberg gefördert. „Ein Monitoring im vergangenen Jahr hat den Erfolg der Maßnahme bestätigt“, so Kirsten Kockelke. Das sei wichtig, denn neben dem Daimlerplatz gibt es diese seltene Molchart in Stuttgart nur noch in einem Gewässer im Dachswald.
Feuchtgebiet Daimlerplatz rund 0,7 Hektar groß
Was Kirsten Kockelke und Kathrin Klein jedoch wichtig ist: Menschen sollten das Feuchtgebiet, das 0,7 Hektar groß ist, nicht betreten und schon gar nicht ins Wasser gehen. Auch nicht ihre Hunde. Was ebenfalls streng untersagt ist: in den Gewässern Fische einzusetzen.
Doch nicht nur dieser Blödsinn ist schon vorgekommen. Auch exotische Wasserschildkröten werden häufig in Amphibiengewässer eingesetzt. „Da diese Amphibienlaich und Kaulquappen fressen, würde das auf Dauer jedoch das Aus der Kammmolche und der anderen dort vorkommenden Amphibienarten bedeuten“, weiß Kirsten Kockelke.
Dieser Artikel erschien erstmals am 19. Oktober 2025 und wurde am 21. Dezember aktualisiert.