Die EU hat sich geeinigt und die Finanzierung der Ukraine-Hilfen für zwei Jahre gesichert. Der Kompromiss fällt aber anders aus, als Bundeskanzler Merz es sich vorgestellt hat.
19.12.2025 | 3:04 min
Es fehlt die Leichtigkeit. Acht Monate ist Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) im Amt und der gestrige Tag lief wie vieles in diesem Jahr. Irgendwann kommt es zu Entscheidungen – verspätet, vertagt, nachts, wann auch immer -, doch die Anstrengungen sind immens und häufig wohnt ihnen die Gefahr des Scheiterns inne.
In der Nacht auf Freitag wurde in Brüssel beschlossen, die Ukraine mit 90 Milliarden Euro gemeinschaftlichen europäischen Schulden weiter in ihrer Verteidigung gegen Russland zu unterstützen. Der Druck, den Merz im Vorfeld auf seine europäischen Kolleginnen und Kollegen aufgebaut hatte, war dabei sicher hilfreich, aber – wie häufig – hatte der Kanzler extrem hohe Erwartungen geweckt.
In seinen Augen gab es nur einen Weg: das eingefrorene russische Vermögen zu nutzen, um die Ukraine zu unterstützen. Das ist ihm nicht gelungen. Der Kanzler konnte den belgischen Premierminister Bart De Wever, in dessen Land der Hauptteil des Geldes liegt, nicht überzeugen.
Nach der Zusage von EU-Milliarden für die Ukraine sind die Menschen dort erstmal erleichtert. Russlands Präsident Putin kommentiert den EU-Entschluss mit Genugtuung.
19.12.2025 | 2:12 min
Ausgerechnet Orban bringt der EU Plan B
Vorab hatte es aus dem Kanzleramt ziemlich laut getönt: Wenn die russischen Vermögen nicht angetastet würden, gebe es keinen Plan B. Keine Einigung bedeute das Scheitern Europas, präsentiere Brüssel endgültig als handlungsunfähig.
Plan B kam dann gestern Nacht ausgerechnet in Gestalt des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban um die Ecke, der den Europäern gnädig erlaubte, einen Kredit aufzunehmen – allerdings ohne dass Ungarn dabei mitmacht. Die Tschechische Republik und die Slowakei übrigens auch nicht.
Deutschland und die EU-Kommission konnten sich mit ihrer Forderung zur Freigabe des eingefroren russischen Staatsvermögens nicht durchsetzen. Ulf Röller und Diana Zimmermann berichten.
19.12.2025 | 2:25 min
Europa hat also eine Entscheidung getroffen: Die Ukraine wird weiter unterstützt, das ist von existentieller Bedeutung für das Land und für die EU. Europa hat gehandelt, aber es hat die kleine Lösung gewählt, die nicht ganz so mutige, könnte man auch sagen.
Uneinigkeit Europas bloßgelegt
Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) klingt fast ein bisschen erleichtert, wenn er schreibt, diese Einigung „verringert auch Risiken einer direkten Nutzung der eingefrorenen russischen Vermögenswerte“. Den Abzug ausländischen Finanzkapitals aus Europa und speziell Brüssel etwa. Oder die vagen und doch immer bedrohlichen Ankündigungen Russlands, sich für das, was Moskau „Enteignung“ nennt, zu rächen.
Und doch war diese Einigung eben nicht das, was Merz wollte. Sondern ein Kompromiss, der die Uneinigkeit und die Angst Europas bloßlegt.
Wer steht am Ende für den milliardenschweren Kredit gerade, den die EU für die Ukraine aufnimmt? Da gebe es vier Optionen, sagt ZDF-Wirtschaftsexperte Florian Neuhann.
19.12.2025 | 2:11 min
Kehrt Debatte über Eurobonds jetzt zurück?
Und ein Kompromiss, der den Kanzler jetzt mit einem Wort in Verbindung bringt, das ihm womöglich noch Probleme bereiten wird: Eurobonds. So hat Emmanuel Macron – aus deutscher Perspektive könnte man sagen: rücksichtslos – benannt, was die gemeinsam finanzierten Schulden für die Ukraine nun sind.
Ein Reizwort spätestens seit der Griechenland-Krise, in der gerade Deutschland sich gegen Gemeinschaftsschulden mit aller Kraft zur Wehr setzte, und das Merz‘ Kritiker gerade in den eigenen Reihen auf den Plan rufen wird. Jens Spahn hatte nach der Regierungserklärung des Kanzlers am Mittwoch schon einmal vorsichtshalber vor Eurobonds gewarnt. Nun kommen sie trotzdem.
Grünen-Chefin Franziska Brantner betrachtet den Kompromiss der EU-Staaten als vertane Chance. „Europa ist einen Schritt weiter in die Bedeutungslosigkeit gegangen“, so Brantner.
19.12.2025 | 4:13 min
Aus Russland höhnt es, „Ursula und Merz“ sollten zurücktreten. Das mag zeigen, wie sehr Kremlchef Wladimir Putin die 90 Milliarden Euro beunruhigen, mit denen die Ukraine nun weiter unterstützt wird.
Aber es weist doch auf einen Schmerz hin: Der Kredit für die Ukraine ist die kleine Lösung. Faktisch ist die EU handlungsfähig, aber das starke politische Signal ist ausgeblieben.
Die Ukraine-Verhandlungen in Berlin wurden als Durchbruch gefeiert. Aber wie viel näher ist man einem Waffenstillstand wirklich gekommen? Denn Russland saß nicht mit am Verhandlungstisch.
18.12.2025 | 35:04 min
Worte oft größer als die Taten
Auch beim Handelsabkommen Mercosur drängte der Kanzler nach 26 Jahren Verhandlungen massiv darauf, dass der Vertrag geschlossen wird. Schon für morgen wurde EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zur Unterzeichnung in Brasilien erwartet.
Doch Merz konnte Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni nicht umstimmen – die Entscheidung wurde vertagt. Wenn die Einigung nun tatsächlich im Januar folgen würde, wäre es immer noch ein Erfolg, aber sicher ist das eben nicht – und das von Merz deutlich und laut deklarierte Ziel war, das Abkommen jetzt zu unterzeichnen. Wieder klafft eine Lücke zwischen Worten und Taten.
Die EU hat die Abstimmung über das Handelsabkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten in den Januar verschoben. Tausende Bauern hatten dagegen protestiert.
19.12.2025 | 0:20 min
Was Merz in der Innenpolitik gelang
Dasselbe in der Innenpolitik: Niemals werde er gemeinsam mit der AfD abstimmen, hatte Merz im November 2024 im Bundestag geschworen – und tat es dann im Januar, ausgerechnet in der Migrationsfrage und ohne jede praktische Relevanz, doch.
Man müsse mit dem Geld auskommen, das man habe, sagte der Kanzler wiederholt im Wahlkampf. Schon am Tag nach der Wahl klang das anders, dann kam das Sondervermögen von 500 Milliarden Euro und de facto unbegrenzten Militärausgaben.
Solange Merz in der Opposition war, quälte er seinen Vorgänger Olaf Scholz (SPD), indem er forderte, Taurus-Marschflugkörper in die Ukraine zu senden. Sie sind immer noch nicht da.
In Sachen Ukraine hat Kanzler Merz viel angekündigt, aber wenig gehalten. Wann zum Beispiel bekommt die Ukraine den Taurus?
01.06.2025 | 3:59 min
Im Herbst sollten die großen Reformen kommen – ab übermorgen werden die Tage wieder heller. Heute wurde der neue Wehrdienst im Bundesrat beschlossen, aber was für ein Gezerre bis dahin. Auch das Rentenpaket ist durch, aber die Enttäuschung darüber, dass es den Vorstellungen der CDU so gar nicht entspricht, hat in der Unionsfraktion tiefe Wunden hinterlassen.
Auch in der Partei hat Merz an Rückhalt verloren. Dafür gab es am Freitagnachmittag ein klares und für Merz bitteres Indiz. Die frühere Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer setzte sich in einer Kampfabstimmung gegen den von Parteichef Merz favorisierten Bundestagsabgeordneten Günter Krings durch und ist nun Vorsitzende der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung.
Wiederkehrendes Muster in Merz‘ ersten Monaten als Kanzler
Ankündigungen im Wahlkampf, bevor das erzielte Wahlergebnis und der Koalitionspartner feststehen, mag man verzeihen. Bei Kanzler Merz aber hält der Impuls an, große Ziele mit viel Nachdruck zu benennen und erst danach zu erinnern, wie komplex die Lage in der Innen- und Außenpolitik ist.
Und so ist das, was in Brüssel passiert ist, ein Muster, dem Merz in seinem ersten Jahr als Kanzler mehrfach gefolgt ist: Gemessen an seinen Versprechen wirken die Erfolge klein oder halbgar. Vielleicht würde es helfen, wenn im nächsten Jahr die Taten größer oder die Worte kleiner würden.
Über dieses Thema berichteten verschiedene Sendungen am 19.12.2025, u.a. das gemeinsame Mittagsmagazin von ARD und ZDF ab 12:00 Uhr und das heute journal ab 22:00 Uhr.