Am Ende ist es nur die halbe Wahrheit. Auch wenn die biographischen Lücken, wie sie diese höchst sehenswerte Ausstellung dem Besucher ganz nebenbei noch offenbart, zunächst für sich zu sprechen scheinen. Dafür, dass der Weg einer Frau in die Kunst, wo bis ins 20. Jahrhundert nicht ohnehin fast unmöglich, allemal beschwerlich war. Oder dass Maria von Heider-Schweinitz (1894–1974), wie so viele Angehörige der zweiten Expressionisten-Generation, einfach zu spät dran war, um nach dem Zweiten Weltkrieg, als längst Informel und Abstraktion den Kunstmarkt dominierten, noch zu reüssieren.

Kaum eine Handvoll Ausstellungen hatte sie von da an bis zu ihrem Tod. Und insofern hat die Erzählung von der „verlorenen Generation“ auch in ihrem Fall mehr als nur einen wahren Kern. Doch nicht nur hatte die in Darmstadt geborene Künstlerin die Kunst mit der Geburt ihrer drei Kinder über Jahre aufgegeben. Es ist ein Großteil ihres Frühwerks im Zweiten Weltkrieg verloren gegangen und verbrannt, und überdies hat Heider-Schweinitz aufgrund einer Reihe privater Schicksalsschläge in den Fünfziger- und Sechzigerjahren noch einmal über Jahre kaum gemalt.

Genügend Umstände, die einer nachhaltigen Präsenz im Kunstbetrieb nicht eben förderlich waren. Und doch war es womöglich etwas komplizierter. Oder auch ganz einfach. Jedenfalls erzählt ein Brief, den sie an den Malerkollegen Karl Schmidt-Rottluff schrieb, mit dem sie über Jahrzehnte eng befreundet war, darüber hinaus noch eine andere Geschichte. „Dass ich für meine Person nicht ehrgeizig bin“, heißt es da, „das hat wohl mein ganzes Leben bewiesen. Den Bildern aber wünsche ich Gerechtigkeit, sei es auch nach meinem Tode.“ Mag sein, das klingt ein wenig arg pathetisch.

„Den Bildern aber wünsche ich Gerechtigkeit“

Und wenn nun das Darmstädter Kunstarchiv Heider-Schweinitz eine vornehmlich mit Arbeiten aus dem Nachlass bestückte, auf Selbstporträts und Bildnisse konzentrierte Schau widmet, mag man von Wiedergutmachung mehr als 50 Jahre nach dem Tod der Malerin nicht sprechen. Von einer Entdeckung indes allemal. War die Künstlerin doch aus den genannten Gründen bis vor ein paar Jahren weitgehend vergessen. Bis zunächst das Frankfurter Museum Giersch und erst 2024 die Galerie Hanna Bekker vom Rath nach Jahrzehnten erstmals wieder ihre Bilder zeigten. Und ihrem Werk damit in jener Stadt, in der sie jahrzehntelang zu Hause war, eine Bühne für einen wahrhaft fulminanten Auftritt gaben.

Eigene Handschrift: Maria von Heider-Schweinitz, Ohne Titel (Weiße Lilie in dunkler Vase), 1936Eigene Handschrift: Maria von Heider-Schweinitz, Ohne Titel (Weiße Lilie in dunkler Vase), 1936Kunstarchiv Darmstadt

Dabei sah sich Heider-Schweinitz zur Malerei eigentlich gar nicht berufen. Bis ihr Richard Scheibe, ihr Lehrer für Bildhauerei an der Städelschule, und Karl Schmidt-Rottluff, den sie 1932 kennengelernt hatte, den Rat gaben, sich statt Ton und Stein und Bronze doch lieber Pinsel, Farbe, Leinwand zuzuwenden. Und doch, so zeigt die von Claudia Olbrych eingerichtete, „Bild und Selbstbild“ überschriebene Schau, war es zu einem dezidiert expressionistisch zu nennenden Stil zunächst noch weit.

Probiert sich die junge Malerin mit „Akt im grünen Licht“ oder dem „Trio im Freien“ in weichen, pastellfarbenen Kompositionen noch erkennbar aus, bevor sie sich von Mitte der Dreißigerjahre an – der Expressionismus war da längst als „entartet“ denunziert – ihres Stils allmählich vergewissert und zusehends freischwimmt. Zwar lässt sich ihre Bewunderung für Schmidt-Rottluff phasenweise schwerlich übersehen.

Von Gerechtigkeit für Heider-Schweinitz kann noch keine Rede sein

Doch schon das herrliche, 1936 entstandene „Ohne Titel (Weiße Lilien in dunkler Vase)“ oder das im gleichen Jahr entstandene, desillusioniert und einander entfremdet beieinandersitzende „Ehepaar“ markieren ihren Weg hin zu einer eigenen Handschrift, der Heider-Schweinitz – trotz später vorsichtiger Schritte auf dem Feld der Abstraktion – von nun an im Wesentlichen treu bleibt.

Dass voraussichtlich zwei Gemälde aus dem Nachlass Maria von Heider-Schweinitz’ Eingang in die Städtische Kunstsammlung auf der Mathildenhöhe finden sollen, mag man unterdessen als Zeichen werten dafür, dass es nicht nur dem Kunstarchiv, sondern auch Darmstadt ernst ist mit dieser Künstlerin. Freilich gibt es bis heute kein Werkverzeichnis, und auch der über Jahrzehnte aufrechterhaltene Briefwechsel mit Karl Schmidt-Rottluff ist nicht wirklich erschlossen. Von Gerechtigkeit für Heider-Schweinitz’ malerisches Schaffen kann also 50 Jahre nach dem Tod der Künstlerin noch keine Rede sein. Doch immerhin: Ein Anfang ist gemacht.

Maria von Heider-Schweinitz, „Bild und Selbstbild“ ist im Kunstarchiv Darmstadt, Kasinostraße 3, bis 9. Januar dienstags und freitags von 10 bis 13 Uhr, donnerstags von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Finissage der Ausstellung  am 11. Januar 2026 um 14 Uhr mit Sophie Lieb, Urenkelin der Künstlerin, und Katrin Thomschke, Hessisches Landesmuseum Darmstadt.