
Überraschende Entscheidung eines Schweizer Gerichts: Bewohner einer von Überschwemmungen betroffenen indonesischen Insel dürfen den Zementkonzern Holcim verklagen. Sie machen ihn mitverantwortlich für den Klimawandel.
Müssen Großkonzerne, die viel CO2 ausstoßen, für die Folgen des Klimawandels haften oder nicht? Das ist die Kernfrage, mit der sich das Kantonsgericht Zug nun in einem Verfahren beschäftigen wird. Das Gericht hat eine Klimaklage von vier Bewohnerinnen und Bewohnern einer kleinen indonesischen Insel gegen den Schweizer Holcim-Konzern zugelassen, wie das Hilfswerk der Evangelisch-reformierten Kirche der Schweiz (HEKS) mitteilte.
Das Hilfswerk unterstützt die Klage der indonesischen Kleinunternehmer mit einer Kampagne. Dass das Gericht in Zug die Klimaklage angenommen hat, sei ein wichtiger Zwischenschritt, sagte der Jurist Johannes Wendland dem ARD-Studio Genf. Er ist beim HEKS für den Bereich Klimagerechtigkeit zuständig. „Die Klagenden sehen das selber auch so, sie sind sehr froh darüber.“
„Insel damit noch nicht gerettet“
Wendland betonte, die Entscheidung gebe den Klagenden und ihren Familien Hoffnung und Kraft. „Sie sind sich natürlich auch klar darüber, dass damit ihre Insel nicht gerettet ist. Sondern der Kampf und der Weg sind noch lang.“
Die vier klagenden Bewohnerinnen und Bewohner der Insel Pari machen den Zementkonzern Holcim mitverantwortlich für den Klimawandel. Sie verlangen, dass Holcim seinen CO2-Ausstoß reduziert und nötige Klimaanpassungs-Projekte auf der Insel finanziert. Außerdem verlangen sie umgerechnet rund 15.000 Euro Schadenersatz. Nach Medienberichten ist das weniger als der Stundenlohn des Holcim-Konzernchefs.
Schwere Überschwemmungen auf der Insel Pari
Hintergrund der Klage ist die exponierte Lage der betroffenen indonesischen Insel Pari. Der höchste Punkt der Insel liegt nur anderthalb Meter über dem Meeresspiegel. Vor vier Jahren wurden die rund 1.500 Insel-Bewohner von zwei schweren Überschwemmungen heimgesucht. Bis 2050 könnten weite Teile der Insel unter Wasser stehen.
Als sich das Gericht in Zug im September erstmals mit der Klimaklage der indonesischen Inselbewohner befasste, sagte die deutsche Juristin und Klimaschutz-Aktivistin Roda Verheyen zur Bedeutung des Falls: „Darf ein privates (Unternehmen) – ich sag mal ohne Rücksicht auf Verluste – weiter (CO2) emittieren, einfach machen, was es möchte.“ Das sei, was Holcim vorschlägt.
Verheyen erklärte weiter: „Oder ist das nicht so? Hat das Zivilrecht eine Schutzwirkung auch im Hinblick auf die Kleinen, die Privaten?“ In dem Fall der Insel Pari würden sich Hauseigentümer und Fischer fragen: „Wieso haben unsere Rechtspositionen eigentlich eine geringere Bedeutung, als die globalen Unternehmen.“
Holcim will Berufung einlegen
Der Zementhersteller Holcim erklärte am Abend, man werde Berufung einlegen gegen den Entscheid des Gerichts, die Klage anzunehmen. Man sei weiterhin überzeugt, dass Gerichte nicht der geeignete Ort seien, um der globalen Herausforderung des Klimawandels zu begegnen.
Da Holcim seinen Hauptsitz in Zug in der Schweiz hat, verhandelt das dortige Kantonsgericht die Klage. Nach Angaben der Datenbank „Carbon Majors“ gehört Holcim zu den 180 größten Gas-, Öl-, Kohle- und Zementproduzenten der Welt.
Holcim will deutsche Firma Xella übernehmen
Auf der Insel Pari selbst war Holcim nie tätig, aber bei der Zement-Herstellung entstehen große Mengen an CO2, und das schadet – einmal in die Atmosphäre ausgestoßen – offensichtlich Menschen überall auf der Welt.
Im Oktober wurde bekannt, dass Holcim den deutsche Baustoff-Hersteller Xella übernehmen will. Für das Duisburger Unternehmen will Holcim knapp 1,9 Milliarden Euro zahlen.