Unten werden in riesigen Hallen Lokomotiven und Waggons gebaut. Oben sitzt an diesem Dezembertag Michael Peter, 59, mit Blick auf die Berge. Hier in Allach im Nordwesten Münchens werden schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts Lokomotiven gefertigt, zunächst von Krauss-Maffei, inzwischen von Siemens. Erst im Sommer hatte der Münchner Dax-Konzern die Hauptverwaltung seiner Bahntechniksparte Mobility hierher verlegt. Das Geschäft mit Hochgeschwindigkeits- und Regionalzügen, S- und Trambahnen, Lokomotiven, Signaltechnik und ganzen digitalen Lösungen für die Bahnindustrie läuft und zwar weltweit.
„Wir sind klarer Technologieführer im Eisenbahnbereich“, sagt Peter, Chef von Siemens Mobility, mit 12,4 Milliarden Euro Umsatz und mehr als 43 400 Mitarbeitenden einer der größten Bahntechnikanbieter der Welt. Gerade erst gab es einen Großauftrag aus Vietnam. Profitieren wollen die Münchner auch von den geplanten Milliarden der Bundesregierung zur Modernisierung und zum Ausbau der Bahn in Deutschland. „Wir sind bereit für neue Aufträge und haben die notwendigen Ressourcen und Kapazitäten in Deutschland aufgebaut“, sagt Peter. Siemens ist einer der großen Ausrüster, von den Münchnern kommt nicht nur der Großteil der ICE-Flotte, sondern auch Signaltechnik und anderes. Der Verband der Bahnindustrie (VDB) hatte zuletzt fehlende Planungssicherheit und zu wenig Tempo kritisiert.
Wie kann die Deutsche Bahn unter der neuen Vorstandschefin Evelyn Palla schnell besser werden? Peter, der zwischenzeitlich selbst als neuer Bahn-Chef gehandelt worden war, hat konkrete Vorschläge. „Die Strecke Berlin – München wäre in drei Stunden möglich“, sagt er. Derzeit schaffen es die schnellsten ICE-Sprinter in knapp unter vier Stunden, in den vergangenen Wochen waren es wegen Baustellen aber teilweise über sechs Stunden. Die Strecke ist teilweise neu gebaut worden, mit dem modernen Zugsicherungssystem ETCS (European Train Control System) und neuen Stellwerken ausgerüstet. Drei Stunden seien mit weniger oder keinen Haltestellen zu schaffen, so Peter. Damit würde die Attraktivität der Verbindung zwischen Berlin und München, die auch für Geschäftsreisende interessant ist, steigen.
Siemens schlägt flexible Ticket-Modelle vor
Um die Pünktlichkeit kurzfristig zu verbessern, könnten weniger Züge helfen, so Peter. Die durchschnittliche Auslastung im Fernverkehr sei ohnehin gering. „Langfristig liegt die Lösung in intelligenten Systemen und Software, die eine optimale Auslastung und flexible Ticketing-Modelle ermöglichen“, sagt Peter. Das würde Effizienz und Komfort steigern, bedeute aber auch: Passagiere müssten in bestimmten ICEs immer einen Sitzplatz reservieren, auch bei kurzfristigen Reisen.
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Ein wichtiges Thema seien auch die Ein- und Aussteigezeiten, so Peter. Denn da geht viel Zeit verloren. Bei den bisherigen ICEs von Siemens gibt es am Einstieg zwei, drei Stufen, bei den doppelstöckigen TGV-Zügen des Konkurrenten Alstom auch Treppen nach oben, was regelmäßig für Schlangen an den Türen sorgt. Beim neuen ICE L (für „low floor“) setzt die Bahn dagegen auf einen stufenlosen Einstieg. Die neuen Züge kommen aber nicht von den Münchnern, sondern vom spanischen Hersteller Talgo, der solche Züge künftig auch an den Bahn-Konkurrenten Flix liefern will. Die ICE L sind zunächst zwischen Köln und Berlin unterwegs und fahren lediglich 230 Kilometer pro Stunde. Gezogen werden sie derzeit von Vectron-Lokomotiven von Siemens, die in München-Allach produziert werden. Talgo hat bisher keine Zulassung für die eigenen Lokomotiven.
Michael Peter, hier im Werk in München-Allach, ist Chef Siemens Mobility. (Foto: Siemens Mobility / Stephan Minx)
Siemens werde auch bei künftigen Hochgeschwindigkeitszügen nicht auf Stufen an allen Einstiegen verzichten, betont Peter. Der Grund seien die angetriebenen Drehgestelle mit Achsen und die Motoren, die bei Siemens-Hochgeschwindigkeitszügen unter dem gesamten Zug verteilt sind. Das sei aerodynamischer, effizienter, energiesparender und vor allem auch schneller, so Peter. Räder ohne Achse, die Voraussetzung für einen völlig stufenlosen Zug auch im Inneren sind, seien zudem nicht gut für die Laufruhe der Züge bei hohen Geschwindigkeiten.
Siemens-Hochgeschwindigkeitszüge vom Typ Velaro sind nicht nur in Deutschland, sondern unter anderem auch in Spanien, in der Türkei, in Ägypten und unter dem Ärmelkanal unterwegs. Der Velaro Novo, der Geschwindigkeiten von bis 360 Kilometern pro Stunde ermöglicht, wird künftig auch in den USA fahren. Das Konzept von Siemens ist ähnlich wie das bei Flugzeugen von Airbus: Außen und bei der Technik sind die Züge weitgehend baugleich, bei der Innenausstattung soll dann alles nach dem Wunsch der Käufer möglich sein. „Im Trend sind echte Business-Class-Sitze und weniger Gegenüber-Plätze“, berichtet Peter, denn: „Viele Fahrgäste legen mehr Wert auf ihre Privatsphäre.“ Abteile seien so gut wie gar nicht mehr gefragt.
