Zwei Kassen wollen ihre Versicherten vor Brustkrebs und Darmkrebs warnen, eine will die noch nicht festgestellte Pflegebedürftigkeit ihrer Versicherten erkennen, eine andere vor einem Schlaganfallrisiko warnen und sechs Kassen wollen zu Impfungen gegen Pneumokokken, Herpes Zoster oder humane Papillomviren aufrufen. Welche das sind – da halten sich auch die Krankenkassen bedeckt. Nur die Barmer schreibt auf MDR-Anfrage, sie will nun Jugendliche zu einer vollständigen Impfung gegen humane Papillomviren bewegen.

Unklar ist außerdem, wie genau die Warnsysteme funktionieren sollen: Die Qualität der Daten, die Funktionsweise der Algorithmen, ihre Zuverlässigkeit – vieles bleibt offen. Die Barmer räumt ein: „Die uns zur Verfügung stehenden Abrechnungsdaten erhalten wir teilweise mit erheblicher Zeitverzögerung von bis zu neun Monaten.“

Datenauswertung mit KI?

Um die Daten auszuwerten, entwickeln Kassen eigene Algorithmen. Was das kostet und ob sie offengelegt werden – dazu schweigen AOK, Techniker Krankenkasse (TK) und Barmer. Die Barmer erklärt als einzige: Sie wolle bei der Analyse auf künstliche Intelligenz verzichten. Ein Grund dafür kann sein, dass KI-Ergebnisse nicht erklärbar sind – dabei müssen Ärzte die Diagnose für schwere Krankheiten natürlich nachvollziehen können. Mehr KI-Hilfe bei Diagnosen will dagegen TK-Chef Jens Baas. Er sagte im Herbst auf einem KI-Festival: „Es wird bald ein Kunstfehler sein, eine Diagnose ohne KI zu stellen.“

Egal ob mit oder ohne KI: Es ist ein Unterschied, ob eine Krankenkasse ihre Versicherten vor einer möglichen Krebserkrankung warnt oder auf eine fehlende Impfung aufmerksam macht. Darauf weist der AOK-Bundesverband auf MDR-Anfrage hin: „Ein Algorithmus zur Erkennung einer schwerwiegenden Gesundheitsgefährdung ist sicherlich aufwändiger als das Erkennen einer fehlenden Impfung.“

Bundesdatenschutzbeauftragte: Versicherte müssen richtig informiert werden

Die AOK sieht eher einen sehr großen Aufwand auf sich zu kommen. Denn obwohl sie die Daten ohne Zustimmung auswerten dürfen, müssen Kassen die Versicherten vier Wochen vorher darüber informieren. Wie dies geschehen soll, ist nicht ganz klar.

Die Bundesdatenschutzbeauftragte drängt darauf, dass eine Info auf der Krankenkassen-Webseite nicht ausreicht. „Die Versicherten müssen tatsächlich erreicht werden“, sagt ihr Sprecher Christof Stein. Denn sie können der datengestützten Auswertung jederzeit widersprechen. Das können sie nur, wenn sie informiert sind, zum Beispiel per Brief oder E-Mail.

Wettbewerb zwischen Krankenkassen durch Datenauswertung

Ob man vor einer Krankheit gewarnt wird, hängt nun davon ab, bei welcher Kasse man versichert ist: Während eine Krankenkasse ihre Versicherten vor Krebs warnt, bieten andere das ihren Versicherten nicht an. Die gesetzlich Versicherten profitieren also nicht gleichermaßen von den Datenauswertungen. Das Bundesgesundheitsministerium bestätigt das auf MDR-Anfrage: „Ob die Krankenkassen von den Datenverarbeitungsmöglichkeiten Gebrauch machen, ist ihnen selbst überlassen. Damit ist von der jeweiligen Krankenkasse abhängig, ob Versicherte von einem Auswertungsprogramm profitieren können.“